Die grosse Zitterpartie
Energiestrategie 2050
Nach 15 Jahren Amtszeit ist Walter Steinmann als Direktor des Bundesamts für Energie in den Ruhestand getreten. In einer kleinen Rückschau zeigt er auf, was die Energiewende für die Schweiz nun bringt.
TEC21: Herr Steinmann, Sie sind nach 15 Jahren als Direktor des Bundesamts für Energie in Pension gegangen. Die Schweiz soll derweil die Energiestrategie 2050 umsetzen. Was heisst das für Bund und Kantone?
Walter Steinmann: Bund und Kantone haben Richtwerte erhalten in Bezug auf Energieeffizienz, Stromeffizienz und den Zubau an erneuerbaren Energien. Die Kantone erhalten zusätzlich mehr Geld aus der CO2-Abgabe, die sie für das Gebäudeprogramm verwenden können. Sie selbst müssen aber auch mehr eigene Mittel dafür bereitstellen. Damit soll wie bisher die Sanierung der Gebäudehülle gefördert werden und neu der Wandel der Gebäudetechnik in Richtung Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Vorbehalten ist jedoch das Referendum, das den Parlamentsbeschluss aufheben kann.
TEC21: Was würde denn geschehen, wenn das erste Paket zur Energiestrategie abgelehnt wird?
Walter Steinmann: Das vom Parlament gutgeheissene Paket ist nur eine Ergänzung. Tatsächlich sind wichtige Projekte des Bundes bereits am Laufen. Ich denke insbesondere an die Förderung der Swiss Competence Centers for Energy Research, an denen unter anderem der Gebäudesektor im Fokus steht. Das betreffende Forschungszentrum steht unter Federführung der Empa und wird zusammen mit der Hochschule Luzern betrieben. Es soll mithelfen, neue Technologien im Gebäudebereich marktreif zu entwickeln.
TEC21: Welche weiteren Energiebeschlüsse sind noch hängig?
Walter Steinmann: Ein wesentlicher Beschluss betrifft die Strategie Stromnetze, über die aktuell in den parlamentarischen Kommissionen beraten wird. Dabei wird auch über Auflagen für eine Erdverkabelung gesprochen. Und als weiteres Element ist KELS in Diskussion, als mögliches zweites Paket der Energiestrategie 2050. KELS steht für Klima- und Energielenkungssystem und beinhaltet den Umbau des bisherigen staatlichen Förderregimes zu einem System mit Lenkungsabgabe.
TEC21: In der breiten Öffentlichkeit wird der Atomausstieg als wichtigstes Element der Energiestrategie wahrgenommen. Was passiert nun, nachdem die Initiative im November abgelehnt wurde?
Walter Steinmann: Wir haben nur darüber abgestimmt, ob der Ausstieg vorzeitig erfolgen soll. Bei einem Ja hätten die drei alten Kernkraftwerke in Beznau und Mühleberg 2017 vom Netz genommen und stillgelegt werden müssen. Die übrigen wären in ihrem Betrieb auf maximal 45 Jahre Laufzeit beschränkt gewesen. Im Vergleich dazu sieht die Energiestrategie folgendes vor: Die KKW dürfen so lang am Netz bleiben, wie sie sicher sind. Im Vergleich zur Initiative ist aber auch ein Rückzug aus der Kerntechnologie vorgesehen.
TEC21: Es gibt also keine neuen Kraftwerke mehr?
Walter Steinmann: Ja, das ist Teil der Energiestrategie. Auf Gesetzesstufe ist geregelt, dass keine Bewilligungen für neue Kernkraftwerke erteilt werden dürfen. Wir gehen aber davon aus, dass rein aus wirtschaftlichen Gründen sowieso niemand in der Schweiz ein solches Kraftwerk bauen würde.
TEC21: Aber das Parlament hat kein absolutes Technologieverbot beschlossen; die Kernenergie darf in der Schweiz weiterhin erforscht werden?
Walter Steinmann: Primär das Paul Scherrer Institut (PSI), aber auch die Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne bleiben in diesem Forschungsbereich aktiv. Erforscht wird etwa die vierte KKW-Generation, von der man eine Marktreife ab 2030 erwartet, weiter geht es um Betriebseffizienz und Sicherheitsfragen. Wichtig ist auch die Forschung zum Umgang mit radio-aktiven Abfällen. Zusätzlich wird in Lausanne Fusionsforschung betrieben.
TEC21: Wird der Ausstiegsbeschluss die Entsorgungsvorhaben verändern?
Walter Steinmann: Nein, das 2008 beschlossene Vorgehen für die Standortsuche nach einem Endlager bleibt dasselbe. Wir befinden uns am Ende der zweiten Etappe, mit der die bisher sechs möglichen Standortregionen auf drei oder zwei reduziert werden sollen. Die Entscheide dazu werden vom Bundesrat im Jahr 2018 gefällt. Die übrig gebliebenen Standorte werden danach genauer untersucht, beispielsweise mit Sondierbohrungen.
TEC21: Der Partizipationsprozess ist sehr umfassend organisiert. Allerdings wird bereits Kritik aus den betroffenen Regionen laut.
Walter Steinmann: Die Regionen müssen einbezogen sein; sie dürfen und sollen kritische Fragen stellen. Wir sind eine Demokratie, daher müssen die Experten nachvollziehbare Antworten geben können. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird es dereinst eine nationale Volksabstimmung über die Rahmenbewilligung für den Standort X oder Y geben. Daher müssen wir bereits im Vorfeld Antworten auf alle Fragen finden. Wir wollen mit offenen Karten spielen und auch die Risiken transparent machen.
TEC21: Zurück zur Energiestrategie: Die Nachfrage nach Fördermitteln für Gebäudesanierungen sind zuletzt eher rückläufig gewesen. Kommt der Beschluss des Parlaments zur Neuregelung der Finanzierung nicht etwas spät?
Walter Steinmann: Das Parlament hat tatsächlich lang darüber diskutiert. Wir gehen aber davon aus, dass wir ab 2018 mit der Umsetzung beginnen können. Die rasche Umsetzung ist nicht nur für den Gebäudesektor wichtig. In den letzten fünf Jahren hat sich die Situation vor allem auf dem Strommarkt massiv verändert. Die Strompreise sind stark gesunken und liegen heute bei zwei bis drei Euro-Cents pro Kilowattstunde. So ist die Wasserkraft derzeit nicht rentabel. Das erste Paket der Energiestrategie enthält deshalb Unterstützungsmassnahmen für die Wasserkraft.
TEC21: Also ist die Energiestrategie nicht nur da, um Neues zu fördern, sondern um Bestehendes zu stützen?
Walter Steinmann: Ja. Ursprünglich war die Einspeisevergütung, die über den Netzzuschlag finanziert wird, primär für die neuen Erneuerbaren gedacht. Doch das Parlament hat beschlossen, dass 0.3 Rappen aus der Erhöhung des Netzzuschlags von 1.5 auf 2.3 Rappen für die Wasserkraft reserviert werden. Zwei Drittel davon sind als Marktprämien für den Bestand und ein Drittel für den Ausbau oder Neubau von Anlagen mit mehr als 10 MW Leistung vorgesehen.
TEC21: Der Stromkonsument wird also Teile der Strategie bezahlen.
Walter Steinmann: Ja, das ist so. Das Fördermodell ist aber nicht neu. Seit 2009 bezahlen wir für jede verbrauchte Kilowattstunde einen Netzzuschlag, um den Ausbau der erneuerbaren Energien inklusive Wasserkraft zu fördern. Den Zuschlag eingerechnet, bezahlt ein Haushalt rund 40 Franken im Jahr mehr als heute; das ist tragbar. Darüber hinaus sollen mit einer Revision des Wasserrechtsgesetzes die Wasserzinse flexibilisiert werden. Diese machen 25 bis 40 % der Produktionskosten aus, was bei den derzeit tiefen Marktpreisen unglaublich viel ist. Ab 2020 soll das flexible Wasserzinsmodell gelten, sodass ab dann besser auf die Preisschwankungen auf dem europäischen Strommarkt reagiert werden kann.
TEC21: Was wäre in der Strategie vorgesehen gewesen, wurde aber vom Parlament nicht durchgewunken?
Walter Steinmann: Wir wollten die Energieversorgungsunternehmen stärker als Dienstleister im Bereich Effizienz einbinden, wie dies in anderen Ländern geschieht. Dort werden diese belohnt, wenn sie weniger Strom verkaufen, oder gebüsst, wenn sie mehr verkaufen. Unsere Vorstellung hat das Parlament nicht akzeptiert. Trotzdem bewegen sich die Stromversorger genau in diese Richtung und engagieren sich für Strom- und Gebäudeeffizienz.
TEC21: Hiess es nicht, dass auch Unternehmen mehr für das Strom- und Energiesparen tun müssten?
Walter Steinmann: Gemäss geltendem Energiegesetz können sich grosse Stromverbraucher den Netzzuschlag rückerstatten lassen, wenn sie ein internes Effizienzprogramm realisieren. Wir haben dazu weitergehende Vorschläge gemacht, die aber nicht akzeptiert worden sind.
TEC21: Der Umbau der Energiesysteme ist europäisch angelegt. Die Vernetzung spielt eine wichtige Rolle. Was ist aus dieser Warte zu den Vorhaben im Gebäudebereich zu sagen, die sich auf eine autarke, abgekoppelte Energieversorgung konzentrieren?
Walter Steinmann: Ich hoffe, dass sich diese unterschiedlichen Strategien nicht beissen, sondern eine Ergänzung bilden werden. Ein Teil der bisherigen zentralen Versorgung wird durch eine dezentrale Energieerzeugung ersetzt. Daher ist nun zu überlegen, wo die Steuerung dieser Systeme stattfinden wird. Unsere Annahme ist: auf Quartierebene. Dazu brauchen wir auf dieser Ebene intelligente Netze. Daneben gibt es aber weiterhin grosse, transnationale Stromflüsse.
Beispiel Deutschland: Die Kernkraftwerke im Süden werden stillgelegt, aber die neuen Gaskraftwerke, Windkraftwerke und auch die Kohlekraftwerke sind im Norden. Daher braucht es Stromautobahnen in den Süden und hoffentlich bis zu den Alpen. Bei uns in der Schweiz könnte der Strom ideal gespeichert werden.
TEC21: Was heisst das für die Insel Schweiz?
Walter Steinmann: Wir sind keine Insel, sondern über die bestehenden Leitungen bestens vernetzt. Wir verfügen über hohe Durchleitungskapazitäten, die wesentlich zur Versorgungssicherheit im Winter beitragen und mit denen die inländischen Stromwerke bislang sehr viel Geld verdient haben. Darum müssen wir uns um gute Anschlüsse kümmern. Eine Fortsetzung der Südlink über die Alpen, die erst von der Nordsee bis nach Baden-Württemberg geplant ist, wäre wünschenswert.
TEC21: Wo sind die Anknüpfungspunkte oder Übernahmestellen?
Walter Steinmann: Ein wahrscheinlicher Knotenpunkt zur Weiterleitung nach Süden liegt bei Philippsburg, nördlich von Karlsruhe. Dort befindet sich das bestens erschlossene Kernkraftwerk. Wir müssen mit den deutschen Kollegen und dem Netzbetreiber von Baden-Württemberg über die möglichen Anschlüsse diskutieren. Unser Blick richtet sich auf die Versorgungssicherheit für die Schweiz, aber auch auf diejenige Europas. Denn die Transitfunktion bleibt wichtig: In den Wintermonaten kann nämlich Strom aus Italien über die Schweiz nach Süddeutschland geleitet werden.
TEC21: Der Energiemarkt bewegt sich derzeit auf dünnem Eis.
Walter Steinmann: Die Strom- und Energiewelt befindet sich in einem totalen Wandel. Getätigte Investitionen werden, anders als noch vor Kurzem gedacht, keine Gewinne abwerfen. Repower, Axpo und Alpiq haben im aktuellen Geschäft Schwierigkeiten. Daneben gibt es Unternehmen, die gut aufgestellt sind. Und die übrigen EVU, ohne namhafte Produktionsbeteiligung, können die neuen Möglichkeiten austesten.
TEC21: Ist die Energiestrategie Ihr persönliches Highlight der 15-jährigen Bundesamtskarriere?
Walter Steinmann: Ganz sicher; wir haben dafür fünf Jahre gearbeitet. Zuvor war die Liberalisierung des Strommarkts auf der Agenda. Wichtig ist mir aber auch, dass wir gute Verfahren für die Standortabklärung für radioaktive Abfälle vorweisen können. Und daneben haben wir viel in Energieforschung investiert; vor 15 Jahren war an der ETH nicht mehr viel los. Da konnten wir zu einer Renaissance für die breite und interdisziplinäre Forschung unter Beteiligung der Industrie beitragen.