Klu­ge Part­ner­wahl

Angela Deuber: Schulhaus, Thal-Buechen SG

Die Kinder in Buechen haben ein neues Schulhaus. Dass das eigenwillige Gebäude ohne Abstriche realisiert werden konnte, ist dem Mut der jungen Architektin zu verdanken – und dem Ingenieurbüro, das sie begleitet hat.

Publikationsdatum
10-04-2014
Revision
18-10-2015

Das Postauto von Rorschach fährt über den Hügel in einer weiten Kurve die Strasse nach Buechen hinunter. Rechts und links hundertjährige Häuser mit Holzschindelfassaden, dazwischen 1960er-Jahre-Bauten und immer wieder auch zeitgenössische Einfamilienhäuser. Von allem etwas, wohl ein typisches Dorf für diese Gegend. Und dann das: Der Bus fährt genau auf die Ecke eines Baus in Sichtbeton zu, der so gar nicht zu seiner Umgebung zu passen scheint. Der erste Eindruck lässt spontan an ein Tangram denken, das klassische Legespiel aus sieben verschiedenen Dreiecken. Der Bus kommt genau vor dem Schulhaus zum Stehen – es ist die einzige Haltestelle in der kleinen Teilgemeinde Buechen des Orts Thal. Buechen hat kein eigentliches Zentrum, keinen zentralen Platz, der die Ortsmitte markiert. Es gibt die Bushaltestelle, daneben einen Fussballplatz, ein Stück weiter die Kirche. Aber die neue Schule, eingeweiht im Sommer 2013, könnte ein solches Zentrum werden.

Doch gehen wir zurück auf null. Dort, wo heute die Grundschule steht, befand sich bis vor einigen Jahren ein Schulhaus von 1879, ein schwerer Bau mit markantem Sockel. Er entsprach nicht mehr den feuerpolizeilichen Sicherheitsanforderungen und schon gar nicht den Vorstellungen davon, wie Schule heute sein soll, mit Räumen für modernen Unterricht in ständig wechselnden Konstellationen. Also lobte die Gemeinde 2009 einen Wettbewerb mit Präqualifikation aus, in dem speziell auch junge Architekturbüros eine Chance erhielten. Gewonnen hat ihn Angela Deuber aus Chur. Die Architektin, die 2002 ihren Abschluss an der ETH gemacht hatte, konnte bis auf einen Stallumbau im Direktauftrag keinerlei Ausführungserfahrung vorweisen. Sie entschied sich für einen mutigen Vorschlag: einen Solitär, keinesfalls auf den ersten Blick gefällig oder leicht zu verstehen. Und die Jury entschloss sich, das Projekt auf dem ersten Platz zu rangieren.

Schliesslich hiessen die Thaler Bürger einen Kredit von 7.3 Mio. Fr. für das neue Schulhaus gut. Auch das zeugt von Mut – wenngleich die Entscheidung mit nur 52 mehr Ja- als Nein-Stimmen knapp ausging. Vor der Abstimmung galt es für Angela Deuber, öffentlich für ihren Vorschlag einzustehen. «Aber das war gar nicht so schwierig», erinnert sie sich. «Das Projekt ist am Ende leicht zu erklären, der Entwurf kann auf alle Anforderungen und Wünsche eingehen, und der gesamte Bau ist im Vergleich zu anderen Schulbauten günstig.» Nach der öffentlichen Diskussion gab es lediglich kleine Anpassungen, zum Beispiel Toiletten auf jedem Stockwerk statt wie ursprünglich geplant nur im untersten der drei Geschosse. Die Kostenschätzung – auch das mag angesichts der geringen Erfahrung der Architektin am Ende manchen Thaler Bürger, manche Bürgerin erstaunt haben – wurde am Ende nicht nur eingehalten, sondern unterboten. 630 Franken pro Kubikmeter standen auf der Schlussrechnung; ein akzeptabler Wert für einen Bau im Minergie-Standard.

Dass die Schule für vergleichsweise wenig Geld entstehen konnte und sich für eine etwaige Umnutzung doch flexibel zeigt, verdankt die Gemeinde vor allem der Konsequenz des Entwurfs: Angela Deuber entkoppelte die Trag- von der Raumstruktur und legte alle tragenden Elemente gut sichtbar in die äussere Schicht des Baus. Jedes Element im so entstandenen, regelmässigen Stützensystem ist nur so ausgeprägt, wie es statisch mit diesem Material tatsächlich notwendig war. Aus dieser Überlegung – und nicht etwa aus Formalismus heraus – ergeben sich auch die diagonalen Linien der Fassade und das Spiel zwischen massiv und leicht. Aus den Fluchttreppen an zwei der vier Gebäudeecken, aus dem Geländegefälle und aus den Kollisionen der Formen ergeben sich interessante Brüche, wie die zwei schrägen Stützen bei den Eingängen vorn und hinten. Im Inneren, wo die frei tragenden Decken statisch wirksame Bauteile überflüssig machen, dominieren rechte Winkel und damit klare Strukturen und Wege. Die statische Funktion jedes tragenden Bauteils ist im Prinzip ablesbar – wenn es die Lehrerinnen und Lehrer nur richtig erklären, können die Kinder leicht verstehen, wie dieses Haus  funktioniert. 

Doch die rein konstruktiv bedingten Formen vermitteln am Ende doch noch zwischen dem Schulhaus und seiner Umgebung: Beim Blick von drinnen nach draussen gleichen die stumpfen Winkel der Fenster denen der geneigten Dächer in der Umgebung; in der Perspektive greifen sie das Bild eines Dorfs am Hang auf, das Buechen ja ist. Und auch sonst interpretiert das Schulhaus ortsübliche Gegebenheiten neu: Ein Mäuerchen fasst das Wiesengrundstück, auf dem 19 Apfel- und ein Nussbaum stehen. 

An der Geschichte des Schulhauses Buechen lässt sich ablesen, welche Vorteile es haben kann, junge Büros zu beauftragen, die über wenig oder keine Ausführungserfahrung verfügen. Angela Deuber wusste, dass diese erste Bauaufgabe ihr einiges abverlangen würde, und liess sich von erfahrenen Berufskollegen beraten. Sie bestand nachdrücklich darauf, einen versierten, von ihr selbst gewählten Bauleiter an der Seite zu haben – auch gegen anfängliche Widerstände des Auftraggebers. Aus dem gleichen Grund arbeitete die Architektin mit dem bewährten Ingenieursteam um Patrick Gartmann zusammen, das sie bereits kannte. 

So sicherte sie ihren stark konstruktiv bedingten Entwurf bis zur Schlüsselübergabe – schliesslich wollte sie vermeiden, direkt bei der ersten Bauaufgabe in einen Teufelskreis von Zugeständnissen und Änderungen zu rutschen. Doch der wohl wichtigste Vorteil der jungen Architektin: Sie konnte sich während der gesamten Planungs- und Ausführungszeit ganz und gar dieser einen Baustelle widmen, hatte sie doch weder weitere Bauten in Realisierung noch ein Büro zu leiten und Mitarbeiter zu führen. Die Arbeit am Schulhaus war auch für Angela Deuber eine lehrreiche: Sie werde, so sagt sie, beim nächsten Projekt wieder so entschieden auftreten und für ihre Überzeugungen einstehen – wenn nicht sogar noch entschiedener.

Für Buechen ist das neue Schulhaus eine Erfolgsgeschichte. Dank ihm können die Kindergärtler und Unterstufenschüler im Dorf bleiben; dafür hatte sich der Gemeindepräsident – ein Buechener – vehement eingesetzt. Und der Ort gewinnt dank der ausdrucksstarken Architektur von Angela Deuber ein wiedererkennbares Zentrum, das Identität schaffen wird. 

 

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