Wege zu einer hörenswerten Stadt
Lärm durchdringt als unsichtbarer, akustischer Nebel die Städte. Ein interdisziplinäres Team an der Hochschule Luzern untersucht, wie der Klang der Stadt verbessert und Stadträume akustisch gestaltet werden können. Als Baustein für gute Klangqualität sind die Aussenräume zu kartieren.
Bei der Akzeptanz von höherer baulicher Dichte gehört die Stadtakustik zu den wichtigsten Faktoren, die zu berücksichtigen sind. Dies ergab eine Einwohnerbefragung im Kanton Zürich im Jahr 2014. Es braucht deshalb weitergehende planerische, gestalterische und architektonische Überlegungen, um die Klangqualität von urbanen Gebieten aktiv zu verbessern. Das multidisziplinäre Forschungsprojekt «Stadtklang, Wege zu einer hörenswerten Stadt»1 will die Perspektiven zur Wahrnehmung und Gestaltung der akustischen Umwelt aufzeigen. Daran arbeiten ein Forscherteam an der Hochschule Luzern gemeinsam mit Experten des Bundesamts für Umwelt (Bafu), der Empa, kantonalen und städtischen Behörden sowie Wirtschaftspartnern.
Zum Auftakt stellt eine gleichnamige Publikation die Ausgangsthese dar: Die Situationsanalyse von Klangräumen bildet die Grundlage für eine Gestaltung von akustischen Stadt- und Siedlungsräumen. Bei solchen Analysen spielen akustische und bauliche Vorgaben ebenso eine Rolle wie subjektive Wahrnehmungen, Nutzungen und Interaktionen. Hierfür braucht es unkonventionelle, disziplinenübergreifende Kartierungsformen, die im Forschungsprojekt entwickelt werden.
Das Raumverständnis in den entwerfenden Disziplinen Architektur und Landschaftsarchitektur ist stark von einer dinglichen Auffassung geprägt: Die erfassten baulich-räumlichen Eigenschaften werden der gesellschaftlichen Wirklichkeit gegenübergestellt, anstatt sie als Teil des sozialen Gefüges zu begreifen. Die Kultur- und Sozialwissenschaften verstehen Räume dagegen als Produkt aus Wahrnehmung, Interaktion und Aneignung der Umgebung durch verschiedene Akteure und ihren gegenseitigen Beziehungen.
Interdisziplinäre Klangraumbetrachtung
Um Klangräume interdisziplinär erweitert zu betrachten, wird ein dynamisches Raummodell benötigt. Dieses bildet die gleichberechtigten Wechselwirkungen ab, die zwischen dem architektonisch gebauten, gestalteten Raum (inklusive messbarer Schallpegel), dem subjektiv erlebten akustischen Raum (inklusive moderierender Einflussfaktoren, vgl. «Stadtklang wahrnehmen») und dem Repräsentationsraum entstehen. Mit dem Repräsentationsraum sind gesellschaftliche, historische Zuschreibungen, konstruierte Bilder oder kollektive Konventionen gemeint.
Die Kartierungsaufgabe besteht nun darin, die baulich-räumlichen Komponenten, die akustischen Eigenschaften und die sinnlichen oder symbolischen Wahrnehmungselemente als Klangraum darzustellen. Ein Innenhof mit bestimmten materiellen und akustischen Eigenschaften kann beispielsweise eine klanglich angenehme Atmosphäre besitzen (erlebter Raum) und von den Nutzenden als geschützter Ruheort in der anonymen Stadt gesehen werden (Repräsentationsraum).
Ein wesentlicher Beitrag der Architektur und Landschaftsarchitektur besteht darin, geeignete Darstellungsformen für den gebauten Raum und die Wahrnehmungssituationen zu finden. Ausgehend von einer solchen Situationsanalyse können neuartige Kartierungsformen entwickelt werden, als Teil eines umfangreicheren Forschungsprojekts zur Klangraumgestaltung.
Empirische Situationsanalyse
Wie lassen sich Klangräume situativ beschreiben? Eine Situationsanalyse muss sich verschiedener Techniken und Methoden der Sozial- und Kulturwissenschaften bedienen. Möglicherweise lassen sich empirisch-ethnografische Erhebungen des erlebten Raums, Vermessungen und Normensetzungen des gebauten Raums sowie statistische Erhebungen und diskursanalytische Verfahren miteinander kombinieren.
Die Disziplinen Architektur und Landschaftsarchitektur können zusätzlich einen genuinen Beitrag leisten, der bislang in der Klangraumforschung nicht systematisch eingesetzt wurde: eine zeichnerische oder kartografische, zwei- oder dreidimensionale Erfassung und Zusammenschau der unterschiedlichen Komponenten. Zahlreiche Forschende haben sich seit den 1960er-Jahren mit der Beschreibung von Aussenräumen als Klangräume befasst. Daraus ist eine vielfältige Erfassung der akustischen Eigenschaften von Aussenräumen sowie der Wahrnehmungsdimensionen entstanden.
Neben der Soundscape-Bewegung sind die Untersuchungen im Nationalfondsprojekt NFP 25 «Stadt und Verkehr» zu einer «urbanité sonore», die aurale Architektur der Amerikaner Barry Blesser und Linda-Ruth Salter sowie die auditive Architektur der Universität der Künste Berlin zu nennen.
- Unter soundscape wird, basierend auf der Theorie von Raymond Murray Schafer, das Zusammenspiel aller akustischen Erscheinungen verstanden, die sich in einem Raum und durch diesen produzieren. Die soundscape eines Orts setzt sich aus verschiedenen sound events zusammen. Für deren Aufzeichnung und Kartierung hat Murray Schafer Notationssysteme für ausgewählte Laute zusammengestellt.
- Demgegenüber erfassen die Analysen im Rahmen des NFP 25 zwar Klangeigenschaften von Plätzen aus verschiedenen Hörperspektiven. Sie setzen diese jedoch nicht in Bezug zu den baulich-räumlichen Strukturen und materiellen Eigenschaften der Plätze.
- In der aural architecture wird die akustische Raumwahrnehmung folgendermassen umschrieben: Jeder Klang wird von den akustischen Eigenschaften des Raums, der Umgebung und der Objekte, auf die er trifft, transformiert. Im Gegenzug bringt der Klang die Architekturen zum Erscheinen. Blesser und Salter beschreiben die menschliche Fähigkeit, Räume hörend zu erfahren und zu gestalten.
- Von der Forschungsgruppe auditive Architektur wird eine architektonische Klangumwelt als eine Situation in ihrer Ganzheit definiert, «die sich durch die Wahrnehmung als Klang im Bewusstsein der Hörenden manifestiert. Eine Klangumwelt entsteht daher aus der Interaktion zwischen dem Hörenden und der Schallumgebung. Die als Gesamtheit der an dem Ort des Hörens als Klang wahrnehmbaren Schwingungsvorgänge ist konstitutiver Bestandteil erlebter Architektur.» Für die Beschreibung von Klangumwelten wird eine differenzierte Methodik angewandt, die unter anderem Schallaufnahmen mit Kunstkopftechnik, Hörprotokolle, Interviews und angeleitete Soundwalks umfasst.
- In der Schweiz beschäftigen sich Andres Bosshard und Trond Maag seit Jahren intensiv mit Möglichkeiten zur Klangraumgestaltung. Sie verwenden dazu Kartierungsvarianten, bei denen die klangräumliche Situation mithilfe stilisierter Schallwellen dargestellt wird. Schallintensität und räumliche Schallausbreitung werden schematisch erfasst. Diesen Ansatz gilt es weiterzuverfolgen und für die Klangraumforschung fruchtbar zu machen.
Von Zeichen und Zeichnungen
Die Forschungsaufgabe darf vorerst spielerisch verstanden werden: Verschiedene Komponenten einer konkreten Hörsituation werden in Form von Piktogrammen perspektivisch in der baulich-räumlichen Situation dargestellt. Die Vielschichtigkeit der Analyseebenen ist dabei zentral. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit gehören folgende Elemente dazu: Schallquellen und -pegel, Stufen der Klangqualität, baulich-räumliche Konfiguration inklusive materielle Elemente der Klangartikulation. Für Kartierungen sind Messungen, Hörprotokollen und Expertenbegehungen erforderlich; zusätzlich ist zu ermitteln, wie sich baulich-gestalterische Elemente auf die Klangartikulation auswirken.
Die spielerische Herangehensweise zeigt, dass Piktogramme die komplexe Hörsituation an einem konkreten Ort entschlüsseln sowie einfach, anschaulich und rasch nachvollziehbar darstellen können. Die exemplarische Visualisierung stellt Hörsituationen in und um einen Wohnhof in Luzern dar. Sie zeigt positive Effekte wie auch neuralgische Stellen und problematische Quellen auf und gibt erste Anhaltspunkte, wo gegebenenfalls Handlungsbedarf besteht. Weiterentwickelte, verfeinerte Kartierungsformen können dazu beitragen, den Handlungs- und Gestaltungsbedarf für Hörsituationen darzustellen.
In Verbindung mit anderweitig erhobenen Daten wie Messungen und Hörprotokollen fördern sie Erkenntnisse, wo und wie eine aktive Klangraumgestaltung angestrebt werden kann. Die Absicht ist dabei nicht eine durchgehend «angenehme» Klangqualität, sondern ein differenzierter Mix unterschiedlicher Klangqualitäten, wobei die negativen Extremsituationen vermieden werden sollen. Dazu ist es in einem nächsten Schritt erforderlich, die analysierten Hörsituationen systematisch zu bewerten. Nur so entsteht ein nachvollziehbares Bild des wahrgenommenen Klangraums.
Anmerkung
1 Publikation «Stadtklang, Wege zu einer hörenswerten Stadt», Hochschule Luzern, Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP), vdf 2016.