Sternstunde einer sterbenden Stadt
Outletdorf Bad Münstereifel, Deutschland
Wer Bad Münstereifel hört, denkt nicht unbedingt ans Einkaufen. Das änderte sich letzten August. Ein Investorenteam rettete die mittelalterliche Schönheit in der deutschen Eifel vor dem Verfall und machte sie zum Factory-Outlet – Dorfidylle inklusive.
Factory-Outlets sind gewöhnlich Potemkinsche Dörfer. Ihre pittoresk angemalten Fassaden suggerieren ein heiles Kleinstadtleben, wie man es hierzulande vom Outlet Landquart kennt. Hinter ihnen verkaufen Modemarken überschüssige oder extra für Preissensible produzierte Waren. Im nordrhein-westfälischen Bad Münstereifel ist das nicht anders. Auch hier bieten die Fashion-Brands dieser Welt Schnäppchen an – aber in Fachwerkhäusern, die mehrere hundert Jahre auf dem Buckel haben. Wer nun erfreut denkt: «Prima, verwandeln wir doch noch mehr dahinsiechende Kleinode zu Outlets, statt künstliche an der Autobahn zu errichten», sollte hinter die Kulissen schauen.
Visionäres Immobilienwagnis
Es mutet an wie im Märchen. Drei finanziell potente und lokal verbundene Unternehmer verlieben sich in die mittelalterliche Schönheit. Da von der Industrialisierung verschont, sind selbst ihre Stadtmauern komplett erhalten. Dass Verfall und Leerstand die fachwerkbeseelte Einkaufszone kennzeichnen, macht sie noch attraktiver. Nur so können die Investoren Haus um Haus günstig erwerben.
Ab 2009 kaufen sie 22 historische Bauten sowie ein Grundstück vor dem Stadttor zusammen. Dort stehen heute acht den Altbestand erweiternde moderne Läden. Nach einem Dutzend Ankäufen weiht man 2011 die unter Nothaushalt regierenden Stadtverantwortlichen ein, dass künftig Outlet-Händler den 19 000-Seelen-Ort beleben sollen. Anfangs jedoch meiden die Investoren bewusst das Wort Outlet und sprechen von einem «Mode-Zentrum». Die Gemeinde sagt Ja.
Warum auch nicht? Seit den 1990er-Jahren geht es mit dem traditionellen Kur- und Kneippbad wirtschaftlich bergab. Zwar wandern Bonner und Kölner nach wie vor fleissig im Eifelgrün, doch von einst über 300 000 Übernachtungen sind am Tiefpunkt 2010 nur noch 105 000 übrig. Mit dem Sparkurs der Krankenkassen bleiben immer mehr Langzeitkurgäste fern. Hotels schliessen, Händler geben auf, und 2000 Einwohner ziehen weg. Immer mehr Eigentümern fehlt das Geld, ihre Kleinode instand zu halten – man sieht förmlich den Putz von den Fassaden bröckeln.
Einklang von Gemein- und Privatwohl
Zurück zu den Investoren Marc Brucherseifer, Georg Cruse und Rainer Harzheim, bekannt als Bad Münstereifel Immobilien Management GmbH. Ihr Angebot, die sterbende Stadt mit einem Mode-Village wiederzubeatmen, ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Den Marken sichert es ein unvergleichliches Kaufambiente, den Baudenkmälern Erhalt und den Geldgebern, so die Hoffnung, Alterseinnahmen. Selbst für die Müllentsorgung und gepflegte Strassen und Grünflächen versprechen die drei zu sorgen – laufende Kosten, für die in dem mit Sparauflagen versehenen 32-Millionen-Stadthaushalt das Geld fehlt.
Und noch etwas spricht für den Pakt: Alle drei Herren leben vor Ort oder in der Gegend. Als 2012 das wahre Ausmass der Outlet-Planung an die Öffentlichkeit dringt, sich bürgerliche Gemüter über die «kapitalistische Vereinnahmung» beunruhigen und eingesessene Händler um ihre Existenz bangen, zeigt sich der Vorteil: Einem Geldgeber, der investiert, wo er wohnt, traut man strategische Weitsicht zum Wohl der Gemeinschaft zu. Auch deshalb werden die Zweifler nie zur ernsthaften Bedrohung des Plans.
Wachgeküsste Schönheit
2011 beginnen die Instandsetzungs- und Umbauarbeiten, am 14. August 2014 startet der offiziell als «City Outlet» deklarierte Fabrikverkauf. Die Kommune steuert verbreiterte Fusswege und Strassen vor den Stadttoren bei, Bauland für 1000 Parkplätze und eine beeindruckend zügige Abwicklung der Bauverfahren. Allein 26 genehmigungspflichtige Nutzungsänderungen galt es durchzufechten, um die mittelalterlichen Schätzchen zu Läden umbauen zu können. Die Investoren kosteten die Umbauarbeiten zweistellige Millionenbeträge, 40 Mio. Euro waren es laut der Zeitung «Die Welt».1
Wer heute durch die frisch sanierte Orchheimer- und Wertherstrasse flaniert, erlebt eine brummende Stadt. Über eine Million Besucherinnen und Besucher sind laut dem Betreiber bislang gekommen. Abgesehen von frischer Farbe und dezenten Outlet-Plaketten sieht eigentlich alles aus wie früher. Eine kommunale Gestaltungssatzung schützt das historische Stadtbild bis in die Farbwahl hinein. Von der Bauverwaltung entworfen und im Stadtrat verabschiedet, bedarf jede Veränderung dessen Zustimmung. Eins jedoch fällt auf: Auch die Läden alteingesessener Händler sind nun wieder in gutem Zustand und Neueröffnungen keine Seltenheit.
Und die Investoren? Sie fahnden weiter. Drei Objekte werden momentan instand gesetzt und eröffnen nächstes Jahr; die Marken Levi’s, Barutti und Betty Barclay ziehen im Spätsommer ins Outlet ein. Zur Diskussion steht auch ein zweistöckiger Bau vor dem Südtor, der 1700 Verkaufsquadratmeter zu den bestehenden 12 000 hinzuaddieren würde.
Ceci n’est pas un outlet
Erwartet hatte das nicht jeder. Zu wenig Läden und keine aus der Armani-Liga, orakelten Skeptiker. Das Konsumglück könne nicht von langer Dauer sein. Dabei messen sie nach Massstäben konventioneller Outlets. Aber das Publikum des Eifelstädtchens ist deutlich älter als typische Modeschnäppchenjäger. Und Marken, die am Wiederbelebungsexperiment teilhaben, rücken von effizienten 08/15-Handelsstandards ab: Den historischen Läden fehlen ebenerdige Eingänge, grosse Schaufenster oder uniforme Grundrisse.
Enge Gassen machen die Anlieferung zur logistischen Herausforderung, und alteingesessene Nachbarn sind nicht steuerbar – einige scheren sich weder um einheitliche Öffnungszeiten noch um Werbeumlagen. Auch dass man hier Tür an Tür mit dem örtlichen Imbiss verkauft, schreckt manches Label ab. Oft ist kaum ersichtlich,
in welchen Läden Direktverkauf stattfindet, so dezent wird beschildert. Warum also mieten Filialisten sich trotzdem ein? Die These: Stationäre Anbieter können im Umsatzringen mit Onlinehändlern nur durch Ambiente punkten. So gesehen trifft die Idee, ein Outlet im Echtstadtidyll anzusiedeln, den Zeitgeist.
Epilog: Mit dem Hybrid aus Outlet und Stadt entstand ein neuartiges Handelsformat. Weil sich immer mehr darbende Gemeinden den Turnaround wünschen, laufen aktuell in sechs deutschen Städten Planungen. Dass sie Realität werden, ist eher unwahrscheinlich. In der Eifel trafen mindestens drei glückliche Umstände zusammen: ein malerisches Städtchen, enormer Leerstand und so solvente wie visionäre Lokalinvestoren – gerade Letztere sind rar.
Über eines darf das vitale Stadtbild allerdings nicht hinwegtäuschen: Die Kommune ist so pleite wie eh und je. Denn Outlet-Händler zahlen zwar Gewerbesteuer vor Ort, der Betrag ist jedoch so gering, dass er der Stadt keine finanzielle Gesundung bringt. Da die Kaufofferten der Investoren attraktiv sind, schliessen weitere örtliche Händler. So gesehen steht Bad Münstereifel baulich fein da, nicht aber wirtschaftlich. Wirklich nachhaltige Stadtentwicklung braucht aber beides.
Anmerkung
1 «Eine Mittelalterstadt wird zum Mega-Outlet-Center», Die Welt, 14.8.2014.