Neuer Raum für die Bio­di­ver­si­tät

Mit dem Durchstich der Reuss in die neue 20 ha grosse Aue Reussegg in Sins AG kann diese nun ihre volle Dynamik entfalten. Es entwickelt sich ein Hotspot der Biodiversität, eine Oase für die Bevölkerung und ein Wasserspeicher, der gleichzeitig als Hochwasserschutz dient.

Data di pubblicazione
01-10-2024

Auen sind naturnahe Uferbereiche von Fliessgewässern und werden vom Wasser geprägt. Die Flussdynamik mit Erosion oder Überflutung führt zu einer hohen Vielfalt an Lebensräumen auf kleiner Fläche. Rund 80 % aller heimischen Tierarten und ca. 40 % aller in der Schweiz vorkommenden Pflanzenarten können in diesen wertvollen Ökosystemen vorkommen.

 Jede achte Tierart ist auf Auen­le­bens­räume angewiesen. Zudem dienen Auen als Wasserspeicher und Hochwasserschutz – Funktionen, die in Zeiten der Klimaveränderung an Bedeutung gewinnen. Durch die Begradigung der Flüsse in den vergangenen Jahrzehnten wurde ein Grossteil der Schweizer Auen zerstört. Im Reussegger Schachen in Sins wurde der Natur nun ein Teil der dynamischen Übergangsbereiche zwischen Land und Wasser zurückgegeben. Die Geländekammer bei Sins diente schon immer als natürlicher Rückhalteraum und wurde regelmässig überflutet. Eine Auenregeneration auf den rund 20 Hektaren bot sich dort deshalb an.
 

Komplexes Projekt

Mit der Fertigstellung der zweiten Etappe des Auenregenerationsprojekts Reussegg wurde der Auftrag erfüllt, den das Volk dem Kanton Aargau über eine Verfassungsinitiative vor 30 Jahren gegeben hatte: Mindestens ein Prozent der Kantonsfläche soll zu einem Auenschutzpark werden. Co-Bauherrschaften sind Pro Natura und das Departement für Bau, Verkehr und Umwelt (BVU). Mitfinanziert wurde das Projekt durch das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ). Letzteres lieferte mit 1.9 Mio. Franken aus dem naturmade-star-Fonds den grös­sten Beitrag, den der Fonds je an ein Einzelprojekt ausbezahlt hat. 

Das Projekt zeigt, mit welch langen Realisierungszeiten bei derartigen Pro­jekten gerechnet werden muss. Von der Projektidee bis zum Baustart sind 20 Jahre vergangen. Dies nicht zuletzt aufgrund der Komplexität, verursacht durch einen Ersatzneubau für die Trinkwasserfassungen, die Sanierung eines belasteten Standorts und die Sicherung der vorhandenen Starkstromleitungen.

Bedrohte Arten sind bereits zurückgekehrt. Dass die Aue im Reuss­­egger Schachen funktioniert, war bereits nach Abschluss der ersten Etappe klar. Beim Hoch­was­ser­ereignis im Sommer 2021 zeigte sich die Dynamik der Aue: Der 90 000 m2 grosse neue Lebensraum wurde überströmt, Böschungen angerissen, bestehendes Totholz unterspült und neues eingebracht. Mit dem Rückgang des Wassers öffneten sich unter anderem ausgedehnte Schlick- und Sandflächen. Bedrohte Tierarten wie Iltis, Fluss­regenpfeifer und Kiebitz haben sich in Sins wieder niedergelassen. 

In der zweiten Bauetappe wurde der bestehende Altarm mehr als verdoppelt. Dadurch entstand mehr Lebensraum für Arten, die an Stillgewässer gebunden sind. Da sich die Aue in einem Schwerpunktgebiet für die Förderung von Amphibien befindet, schufen die Verantwort­lichen weitere Tümpel und Teiche. «Diese haben wir so angelegt, dass sie weniger überflutet werden als die Teiche der ersten Bauetappe. Dies ist wichtig, da insbesondere Pionier­amphibien wie der Laubfrosch oder die Gelbbauchunke sich besser in Gewässern entwickeln, die keine Fische enthalten», erklärt Christian Rechsteiner, BVU-Projektleiter. Fehlen die Fische, werden Laich und Kaulquappen weniger gefressen. 

52 000 m3 Boden bewegt

Das anfallende Kies-, Erd- und Sandmaterial wurde innerhalb des Au­­engebiets an unterschiedlichen Standorten aufgeschüttet. Insgesamt wurden auf einer Fläche von 14 Fussballfeldern 52 000 m3 Bo­den­material bewegt. Durch unter­schied­­­­liche Unterhaltsmassnahmen wurde und wird die auentypische Habitatvielfalt geschaffen und gefördert. So ist beispielsweise geplant, entlang des Wanderwegs einen grossen Sandhügel aufzuschichten, damit Ufer­schwal­ben ihre ­Brutröhren hineingraben können. Weiter soll lokal gewonnenes Saatgut angesät werden, damit artenreiche Blumenwiesen gedeihen. Invasive Neophyten müssen von Anfang an konsequent bekämpft werden.

Nach dem Durchstich am 24. August – als das erste Mal Wasser aus der Reuss von oben in die Aue strömte – wird die zweite Etappe in Sins noch dieses Jahr abgeschlossen sein. «Wir sind mit unseren Arbeiten etwas im Verzug, weil dieses Frühjahr so nass war und wir deshalb nicht so häufig wie geplant bauen konnten», sagt Christian Rechsteiner. Die Reuss bringt aber bereits jetzt die volle Dynamik in die Auenlandschaft und sorgt für zusätzliche Strukturen wie Sandbänke, Ufer­anrisse sowie tiefere und flachere Uferbereiche. 

Damit Besucherinnen und Besucher der Aue Reussegg künftig einen möglichst guten Einblick in diesen Hotspot der Bio­diversität bekommen, entstehen entlang des Wanderwegs zudem vier Beobachtungshügel. Auch in diesem Naturschutzgebiet, das gemäss Christian Rechsteiner in rund acht Jahren erweitert werden könnte, dürfen die Wege nicht verlassen werden. Damit diese Vorschrift eingehalten wird, kommen dann möglicherweise Ranger zum Einsatz. 

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