Le­bens­raum statt Stadt­mist

Über 50 Jahre lang deponierte Solothurn seine Siedlungs-, Industrie- und Gewerbeabfälle im Westen der Stadt. Obwohl sich bereits kurz darauf eine starke Belastung des Untergrunds zeigte, dauerte es fast 40 Jahre bis zum Sanierungsentscheid. Die Arbeiten laufen bereits, doch ein Unsicherheitsfaktor könnte das Projektende verzögern: der Umgang mit PFAS.

Publikationsdatum
08-12-2023

Zwischen 1925 und 1976 entsorgte die Stadt Solothurn etwa 360 000 m3 Haushaltsabfälle an drei Standorten in der Landwirtschaftszone im Westen der Stadt. Der sogenannte «Stadtmist» ist mit 16 ha flächenmässig grösser als die Altstadt von Solothurn. Die älteste der Deponien liegt im «Unterhof»: Sie war von 1925 bis 1947 in Betrieb und enthält Keramik- und Glasteile, Aschen, Schlacken, Rückstände aus unkontrollierten Verbrennungen sowie weitere Abfälle aus der damaligen Zeit. Die Deponie «Spitelfeld» hat mit einer Fläche von 102 000 m² die grösste Ausdehnung und ist hauptsächlich mit Siedlungs­abfällen befüllt. Die jüngste Deponie, der «Obere Einschlag», war ab 1970 aktiv. Auf einer Fläche von rund 24 000 m2 wurde hier über sechs Jahre Hausmüll eingelagert. Als 1976 die Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) in Zuchwil in Betrieb ging, wurde die Stadtmist-­Deponie stillgelegt.

Heute verunreinigt vor allem das Sickerwasser die beiden Entwässerungsgräben, den Brunn- und den Brühlgraben, die rund 200 m südlich in die Aare münden. Die Belastung liegt weit über den zulässigen Grenz­werten für Kupfer, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Blei und Ammonium. Eine Sanierung war und ist dringend erforderlich.

Totalsanierung versus In-situ-Verfahren

1990 begann man die drei Standorte zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass sich die Schadstoffe hauptsächlich auf den Deponiekörper konzentrieren. Bei der Deponie Spitelfeld wurden zudem chlorierte Kohlen­wasserstoffe (CKW) in tieferliegenden Schichten des gewachsenen Erdreichs nachgewiesen. Als Aufsichtsbehörde hat das kantonale Amt für Umwelt als Projektziel die Beseitigung oder eine ausreichende Vermin­derung der Gefährdung der Schutzgüter festgelegt. Gestützt auf die Untersuchungsergebnisse wurde ein Totalaushub der Deponieflächen in einem etappierten Verfahren vorgeschlagen. Diskussionen zwischen Bund und Kanton um eine Sanierung des Spitelfelds ohne vollständigen Aushub haben die Stadtmist-Sanierung lange verzögert. Weitere Untersuchungen des Kantons zeigen aber, dass die Dekontamination durch Aushub wesentlich umweltverträglicher und erfolgversprechender ist, als die Anwendung eines In-situ-Verfahrens. Im Herbst 2020 hat auch der Bund, vertreten durch das Bundesamt für Umwelt (BAFU), dem Totalaushub des Spitelfelds zugestimmt.

Umfangreiche Auf- und Vorbereitung

In sechs bis acht Jahren sollen die Deponien ausgehoben und das Material aufbereitet sowie einer sicheren Entsorgung zugeführt werden. Gerechnet wird mit einer Rückgewinnung von 56 000 t Baustoffen und 10 000 t Metallen. Rund 40 000 t werden voraussichtlich in der KVA in Zuchwil verbrannt und in Energie umgewandelt. Ab Juli 2022 errichtete man auf dem Gelände der Deponie Unterhof einen Installationsplatz mit einer temporären Abfallbehandlungsanlage. In der Halle (30 m × 75 m × 20 m) wird das ausgehobene Material soweit möglich aufbereitet.

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Die beauftragte Unternehmung installierte versuchshalber vor dem Baustart auf Teilen der Deponie Spitelfeld eine Aerobisierungsanlage. Dank dieser vorgängigen Belüftung (in der Regel ein halbes Jahr vor der Sanierung) werden die Geruchs- und Gasemissionen aus dem Deponiekörper verringert beziehungsweise unterbunden. Hierbei wird das Deponiesickerwasser abgepumpt und Umgebungsluft in den Deponiekörper eingebracht. Der Lufteintrag bewirkt einen Wechsel von einem vorher sauerstoffarmen zu einem sauerstoff­reichen Millieu. Die aus dem Deponiekörper angesogene Luft wird mittels Aktivkohlefiltern gereinigt und die Sickerwässer werden zum Installationsplatz geführt, vorbehandelt und in die Kanalisation abgeleitet.

Die Sanierungsabfolge der drei Deponien richtet sind nach der Zusammensetzung der abgelagerten Abfälle, die einen wesentlichen Einfluss auf den Rückbauprozess und die nachfolgenden Behandlungsschritte hat. Die Sanierungsetappen folgen grundsätzlich der zeitlichen Abfolge der Ablagerung (von alt zu jung): Begonnen wird beim Unterhof im Bereich des Installa­tionsplatzes. Dann geht es weiter von Ost nach West im Spitelfeld zum Oberen Einschlag. Zum Schluss folgt dann noch der Restaushub im Unterhof.

Nach der Entfernung und Rekultivierung der Deponie Spitelfeld – die Arbeiten begannen im Mai 2023 – wird das Problem der chlorierten Kohlenwasserstoffe (CKW), die zu einem grossen Anteil in den tieferen Untergrund versickert sind, einfacher zu beseitigen sein. Sie befinden sich in einer Tiefe von fast 20 m. Ein Total­aushub kann dieses Problem nicht lösen. Wie die Sanierungsmassnahmen jedoch aussehen werden, steht noch nicht abschliessend fest. Der Kanton geht davon aus, dass die bereits heute im Untergrund ablaufenden natürlichen Abbauprozesse der CKW im Bereich der punktuellen Herde mittels Lanzen und geeigneten Zugaben stimuliert und beschleunigt werden.

Keine Grenzwerte für PFAS

Eine in der langen Planung noch nicht bekannte Herausforderung sind sogenannte per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Diese Stoffe sind nahezu unzerstörbar. Dank ihrer wasser- und schmutzabweisenden ­Eigenschaften sind die gesundheitsgefährdenden Substanzen lange Zeit vielfältig in Textilien, Farben, Papierbeschichtungen etc. eingesetzt worden und gelangten in Wasser- und Nahrungskreisläufe. Seit Kurzem sind sie auch bei Deponiesanierungen ein Thema. Im Januar 2023 hat der Bund erstmals Grenzwerte für PFAS kommuniziert. Wird in Abfällen PFAS nachge­wiesen, definiert das BAFU seitdem projektspezifische Grenzwerte für deren Entsorgung. Auch beim Stadtmist konnte ein Vorkommen von PFAS nicht ausgeschlossen werden.

Neue Beprobungen wiesen insbesondere in den jüngeren Deponiebereichen des Spitelfelds und des Oberen Einschlags PFAS nach. Ebenso fanden sich diese Substanzen in den Produkten der Abfallbehandlungsanlage. Der Kanton und die Stadt Solothurn beantragten beim BAFU projektspezifische Grenzwerte für den Stadtmist. Ein Testbetrieb soll nun Aufschluss darüber geben, ob und wie die Problematik der PFAS während der laufenden Sanierung gelöst werden kann und mit welchen Kosten dies verbunden wäre. Der Test soll von Herbst 2023 bis Frühling 2024 dauern und sowohl im Labor als auch mit Versuchen auf der Anlage vor Ort durchgeführt werden. Die Kosten liegen bei rund 600 000 Franken und sind in den bisherigen Projektkosten nicht eingeplant.

Parallel zum Testbetrieb gilt es, zusammen mit den Deponiebetreibern Lösungen für die Abfälle mit einer verbleibenden PFAS-Belastung zu finden. Seitens der Deponiebetreiber besteht für solche Abfälle – auch bei Einhaltung der durch den Bund festgelegten Grenz­werte – momentan eine grosse Unsicherheit. Nach Abschluss der Versuchsphase werden Stadt und Kanton im Frühling 2024 Bilanz ziehen und eine Gesamtbetrachtung zum weiteren Vorgehen machen. Dabei muss auch ein möglicher Baustellenunterbruch bis zur Entwicklung einer verlässlichen PFAS-Praxis im Rahmen des Vollzugs des Schweizer Umweltrechts in Erwägung gezogen werden, schrieb der Kanton in einer Medienmitteilung im September 2023.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 39/2023 «Sünden der Vergangenheit».

Sanierung «Stadtmist» Solothurn

 

Bauherrschaft
Bauherrengemeinschaft von Stadt und Kanton Solothurn, c/o Amt für Umwelt Kt. Solothurn

 

Totalunternehmen
ARGE Vision Solothurn (Eberhard Recycling, Eberhard Bau und Ebiox; Federführung Eberhard Recycling)

 

Projektdauer
Die Sanierungsarbeiten (Totalaushub und ­Rekultivierung) begannen im Sommer 2022 und dauern voraussichtlich 6–8 Jahre an.

 

Projektkosten
Die Gesamtkosten der Sanierung (inklusive nachfolgende CKW-Tiefen­sanierung im Spitelfeld) betragen rund 120 Mio. Fr. (Preisbasis Sommer 2016)

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