Stör­fak­tor Mensch

Intelligent bauen

Mit viel Technik die Welt retten: Dieser Glaube ist im Schweizer Bauwesen stark ausgeprägt. In der Praxis zeigt sich aber ein ambivalentes Verhältnis zwischen Nutzerinteressen und Gebäudetechnik. Differenzen sind vorprogrammiert, wenn Planer die Bedürfnisse des Gebäudenutzers den Energie- und Klimazielen der Gesellschaft unterordnen.

Publikationsdatum
21-12-2017
Revision
21-12-2017
Viola John
Redaktorin TEC21 / Konstruktion und nachhaltiges Bauen

Bis zum Jahr 2050 strebt die Schweizer Energiepolitik eine drastische Verringerung des Energieverbrauchs an; das wird sich insbesondere auf den Gebäudepark auswirken. So soll nach Angaben des Bundesamts für Energie BfE die energetische Optimierung aller Gebäude ab dem Jahr 2030 obligatorisch sein.1

Beim Energieverbrauch von Gebäuden schlägt vor allem die Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser zu Buche, für deren Erzeugung hierzulande noch immer hauptsächlich fossile Energieträger zum Einsatz kommen. Derzeit wird in der Schweiz nach Schätzungen des BfE eine Gebäudefläche von 800 Mio. m2 beheizt, verteilt auf ca. 1.8 Mio. Gebäude. Hierfür wurden im Jahr 2016 knapp 70 TWh (70 Mrd. kWh) nicht erneuerbare Energie in Form von Heizöl und Erdgas verbraucht.2 Im Jahresdurchschnitt mussten ca. 3.75 Mrd. Liter Heizöl und knapp 3.25 Mrd. Kubikmeter Erdgas bereitgestellt werden. Ab 2050 soll damit Schluss sein – zum Verheizen dürfen dann weder Heizöl noch Erdgas verwendet werden.3

Diese Zahlen verdeutlichen: Nicht nur angesichts der laut Prognosen steigenden Bevölkerungszahl und des Ziels einer weiter wachsenden Wirtschaft stellt die für 2050 angepeilte Senkung des Energieverbrauchs eine Herausforderung dar. Damit die Energiestrategie erfolgreich umgesetzt werden kann, ist ein struktureller Wandel erforderlich: Der fossile Energieverbrauch von Gebäuden muss konsequent minimiert und eine effiziente Nutzung von erneuerbaren Energieträgern im Gebäude­betrieb ermöglicht werden.

Gebäudetechnik als Problemlösung?

Um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen, setzt man im Bauwesen zunehmend auf eine umfangreiche Gebäudetechnik. In einer Studie, die 2016 im Rahmen des Programms EnergieSchweiz erarbeitet wurde, untersuchten Experten aus Technik, Verbänden und Hochschulen die Poten­ziale der Gebäudetechnik hinsichtlich Energie- und Treibhausgas-Einsparung im Schweizer Gebäudepark. Die Ergeb­nisse wurden in zwei Szenarien («Referenzszenario» und «Effizienzszenario») zusammengefasst.4 Die Analyse be­zieht die Faktoren Raumwärme, Warmwasser, Lüftung, Klimakälte, Beleuchtung und allgemeine Gebäudetechnik ein.

Das Fazit fällt optimistisch aus: Beim «Referenzszenario» – es ist mit dem Szenario «Weiter wie bis­her» der «Energieperspektiven 2050»5 des BfE vergleichbar – liesse sich der Energiebedarf des Schweizer Gebäudeparks bis 2050 gegenüber 2010 um 23 % reduzieren. Erreichen könnte man dies mit der konsequenten Verwendung von heute bereits marktgängiger Gebäudetechnik und der Einhaltung aktueller gesetzlicher Vorgaben (vgl. Kasten unten «Energieperspektiven 2050»). Die Treibhaus­gas­emissionen könnten sogar um 38 % gesenkt werden, unter anderem weil dieses Szenario davon ausgeht, dass zur Bedarfsdeckung zukünftig ein höherer Anteil an erneuerbaren Energien eingesetzt werden kann als heute. Berücksichtigt werden in diesem Szenario neben der Gebäudetechnik auch Einsparungen durch die verbesserte Wärmedämmung der Gebäudehülle.

Eine weitere Verbesserung bezüglich Energiebedarf und Treibhausgasemissionen stellt das ebenfalls untersuchte «Effizienzszenario» in Aussicht – es ist mit dem Szenario «Politische Massnahmen des Bundesrats» der Energieperspektiven vergleichbar. Die Ergebnisse legen nahe, dass es durch zusätzliche energiepolitische In­strumente möglich wäre, den Energiebedarf bis 2050 um weitere 15 % und die Treibhausgasemissionen um zusätzliche 39 % zu reduzieren (vgl. Kasten unten «Energieperspektiven 2050»). Dazu müsste man beispielsweise fossile Energieträger bei Heizung und Warmwasser mit erneuerbaren substituieren, Lüftungs- und Klima­kälte­anlagen sowie Beleuchtungen ersetzen beziehungsweise nachrüsten und effizient betreiben.

Bereits mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Mitteln und dem vorhandenen Fachwissen wäre also potenziell eine Menge machbar – bei der Heiz­energie zur Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser ist das Einsparpotenzial am grössten. Doch nicht alles, was theoretisch und technisch möglich ist, lässt sich innerhalb kurzer Zeit sinnvoll und wirtschaftlich umsetzen. Ein wichtiger Aspekt dabei: Relevant für das Erreichen der Energieziele bis zum Jahr 2050 sind nicht etwa in erster Linie Neubauten, sondern jene Gebäude, die vor 1970 errichtet wurden. Sie können nur unter grossem Aufwand energetisch ertüchtigt werden, machen aber immerhin ca. 55 % des Schweizer Gebäudeparks aus.6

Während man bei Neubauten bereits in der Planungsphase den aktuellen Stand der Technik berücksichtigen kann, muss das Energiekonzept bei Bestandsbauten nachträglich angepasst werden. Dabei stellt die Gebäudetechnik nur einen Teil­aspekt neben anderen effizienzsteigernden Massnahmen dar – wie etwa dem baulichen Wärmeschutz, der passiven Nutzung von Solarenergie, der optimalen Tageslichtnutzung und der Bauteilaktivierung. Sinnvoll ein­gesetzt, kann die Gebäudetechnik solche passiven Massnahmen der energetischen Gebäudeoptimierung unterstützen und ergänzen.

Performance Gap trotz hoher Investition

Hochtechnisierte Gebäude sind dagegen durchaus kritisch zu betrachten. Viele ihrer Komponenten sind nicht nur energie- und ressourcenintensiv in der Herstellung, sondern auch teuer in der Anschaffung. Sie müssen während des Betriebs regelmässig gewartet werden, haben im Vergleich zu manch anderen Bauteilen am Gebäude eine geringe Lebensdauer und müssen auch im Zuge der an sie gestellten Anforderungen häufig ersetzt oder nachgerüstet werden. Nach Angaben der Gruppe der Schweizerischen Gebäudetechnik-Industrie GSGI beläuft sich heutzutage das Investitionsvolumen für die Technik am Bau vielfach auf weit über 30 % der Gesamtinvestitionssumme.7

Bauherren stehen also vor der Frage, ob sie die höheren Anfangsinvestitionen für die technische Gebäudeausrüstung überhaupt tätigen können. Zudem ist ein Monitoring während der Betriebsphase unerlässlich, um die technischen Komponenten bei Bedarf nachzujustieren. Denn trotz optimaler Planung lässt sich häufig nicht von einem errechneten Energiebedarf auf den tatsächlichen Verbrauch im Gebäudebetrieb schliessen, und je höher der Grad der Technisierung in einem Gebäude, desto grösser ist das Potenzial für Massnahmen zur Betriebsoptimierung.

Dass der Nutzer – der Mensch – die Energiebilanz eines Gebäudes stark beeinflusst und einen Unsicherheitsfaktor für die tatsächliche Effizienz der Gebäudetechnik darstellt, ist bei der Umsetzung der Energiestrategie zu berücksichtigen. Ob jedoch Gebäude, die den Nutzer unter grossem technischem Aufwand dazu zwingen, nicht in die Betriebs­abläufe einzugreifen, um den Planungserfolg nicht zu gefährden, die optimale Lösung für dieses Problem darstellen, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Der Mensch im Zentrum

Das ambivalente Verhältnis von Mensch und Gebäudetechnik verdeutlicht eine aktuelle Studie zum Hunziker-Areal in Zürich.8,9 Das 2000-Watt-Leuchtturmprojekt «mehr als wohnen» umfasst 13 Häuser, die mit unterschiedlichen Lüftungssystemen ausgestattet wurden – neun mit Abluftanlagen und vier mit Komfortlüftungsanlagen mit Zu- und Abluft, davon zwei mit zentralem und je eins mit dezentralem beziehungsweise mit Verbundlüftungssystem. Beim Monitoring nach Fertig­stellung des Areals zeigte sich im ersten Be­triebsjahr, dass jene Häuser, die mit einer Komfort­lüftungs­anlage (Zu- und Abluftsystem mit Wärmerückgewinnung) ausgestattet sind, signifikant – um mindestens das Doppelte – mehr Heizwärme verbrauchen, als zuvor berechnet worden war.

Zudem ist der Stromverbrauch für die Lüftung bei diesen Gebäuden höher als bei den übrigen Häusern. Die anderen neun Gebäude auf dem Areal, bei denen nur Abluftanlagen inklusive Aussenluftdurchlässen eingebaut wurden, weichen weniger vom Planungswert ab. Mittels thermografischer Untersuchungen der Gebäudefassaden in den Wintermonaten liess sich nachweisen, dass bei den auffälligen Gebäuden einige Fenster nachts dauerhaft geöffnet waren. Die Häuser mit zentralen Zu- und Abluftanlagen hatten einen höheren Anteil an offenen Fenstern als jene mit dezentraler Zu- und Abluftanlage oder mit Verbundlüfter.

Auf ihr Komfortempfinden angesprochen, erklärten 20 % der befragten Bewohner der Gebäude mit zentralen Zu- und Abluftanlagen, die Luftqualität in ihrer Wohnung sei schlecht bis sehr schlecht. Rund 10 % klagten über Zugluft, während bei den Gebäuden mit Abluft und Aussenluftdurchlässen fast 40 % der Befragten häufig oder immer Zugluft spürten. Mehrere Bewohner gaben an, im Winter bei geöffnetem Fenster zu schlafen. Offenbar entspricht der technisch generierte Komfort im Innenraum bei diesen Bauten nicht den individuellen Bedürfnissen aller Gebäudenutzer.

Bereit für 2050?

Um die ambitionierten Energie- und Klimaziele bis 2050 zu erreichen, sind verlässliche Annahmen über den zukünftigen Energieverbrauch des Schweizer Gebäudeparks erforderlich. Nur so gelingt es, erneuerbare Energiequellen möglichst effizient und ressourcenschonend einzusetzen. Wird das Nutzerverhalten dabei nicht einkalkuliert, dürfte der Performance­ Gap einer erfolgreichen Umsetzung der Energiestrategie einen Strich durch die Rechnung machen. Es ist daher unerlässlich, die Bedürfnisse der Gebäudenutzer bei der Planung noch stärker in den Fokus zu rücken. Bedient der Nutzer das Gebäude und seine technischen Komponenten aus Sicht des Planers «falsch», sollte die Konsequenz daraus sein, die Planungsziele zu über­denken beziehungsweise entsprechende Unsicherheiten von vornherein in Form von Sensitivitätsanalysen in die Kalkulationen einfliessen zu lassen.

Ein Gebäude hat viele Funktionen zu erfüllen und steht an der Schnittstelle zwischen dem Menschen und seiner Umwelt. Es soll ihm eine sichere, gesunde und erschwingliche Unterkunft bieten – einen Raum zum Leben – und dabei gleichzeitig den Umweltinteressen des Planeten dienen. Ordnen Planer die individuellen menschlichen Bedürfnisse den gesamtgesellschaftlichen Energie- und Klimazielen aber unter, so dürfte es schwierig werden, Letztere zu erreichen. Denn beides geht Hand in Hand. Und die Gebäudetechnik erfüllt keinen Selbstzweck, sondern muss als Teil eines ganzheitlichen Gebäudekonzepts wirken.

Anmerkungen
1 B. Revaz: «Energieziele und Gebäudepark», Vortrag am Gebäudetechnik Kongress Luzern 2017.
2 Bundesamt für Energie BfE: «Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2016», Bern 2017.
3 Vgl. Anmerkung 1.
4 Bundesamt für Energie BfE: «Potenzialabschätzung von Massnahmen im Bereich der Gebäudetechnik», Bern 2016.
5 Bundesamt für Energie BfE: «Energieperspektiven 2050», Bern 2013.
6 Bundesamt für Statistik: «Bauperiode», Neuchâtel, 2016, www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bau-wohnungswesen/gebaeude/periode.html
7 Hugo Graf: «Mit «intelligenter» Gebäudetechnik die Ziele der Energiestrategie erreichen», Intelligent Bauen 4/2017, S. 17.
8 M. Mühlebach et al.: «mehr als wohnen – ein Leuchtturmareal in Betrieb», 19. Status-Seminar Forschen für den Bau im Kontext von Energie und Umwelt, wETH Zürich 2016.
9 M. Ménard: «Building Energy Performance Gap – Nutzer-, Analyse- oder Normen-Problem?», Vortrag am Gebäudetechnik-Kongress Luzern 2017.


Energie­perspektiven 2050

Im Szenario «Weiter wie bisher» wird der in der Vergangenheit beobachtete Trend zur Energieeffizienz entsprechend den aktuellen Marktbedingungen fort­geschrieben, unterstützt und verstärkt durch die zum heutigen Zeitpunkt bereits in Kraft getretenen bzw. geplanten energiepolitischen Instrumente (z.B. moderate Fortschreibung MuKEN; Gebäudeprogramm 200 Mio. Fr.; Förderung Erneuerbare aus Gebäudeprogramm; moderate Fortschreibung Standards).

Das Szenario «Politische Massnahmen des Bundesrats» überprüft den Energienachfrage- und den Stromangebotspfad der vom Bundesrat am 18. April 2012 verabschiedeten Massnahmen (z. B. Verschärfung MuKEN; Ersatz Widerstandsheizungen; Gebäudeprogramm 300 Mio. Fr. ab 2014, 600 Mio. Fr. ab 2015; Standardverschärfungen Geräte, Haustechnik; Ersatzneubauten; verbindliche Anwendung der Norm SIA 380/4 bei Mehrfa­milienhäusern und gemischten Wohn­gebäuden) sowie ihre Auswirkungen unter Verwendung von heute vorhandenen Technologien und Forschungsergebnissen. In erster Linie wird auf eine Effi­zienzsteigerung gesetzt.

Quelle: Bundesamt für Energie BfE: «Energieperspektiven 2050», Bern 2013.

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