Zu­kunfts­fä­hi­ge LHO?

Rückblick und Ausblick

Mit der anstehenden ordentlichen Revision hat der SIA Gelegenheit, die LHO am Puls der Zeit auszurichten und die gesellschaftliche Bedeutung der Planungsberufe zu stärken.
 

Publikationsdatum
04-12-2019

Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein beschäftigt sich seit nunmehr 140 Jahren mit Vergütungsfragen. Ausgehend von den damals ebenfalls in Beratung befindlichen «Grundsätzen für das Verfahren bei öffentlichen Conkurrenzen» regte der Zürcher Architekt Alexander Koch den SIA 1876 an, auch eine Norm zur Berechnung des Honorars für architektonische Leistungen zu schaffen. Er schlug vor, das Architektenhonorar in Abhängigkeit von Bauklassen (Komplexität der Baute) und der Bausumme zu bemessen.

Hintergrund war sein äusserst rationales Verständnis der Leistungsvergütung: «Arbeit ist Arbeit und muss in diesem Falle bezahlt werden. Ja wenn man nur nach diesem Massstabe rechnen wollte, so müsste eigentlich schlechte Arbeit höher bezahlt werden als gute, denn es ist Thatsache, dass ein schwacher Arbeiter mehr Mühe hat seine Arbeit schlecht zu erstellen, als ein guter die gleiche Arbeit gut zu liefern.»1 Kochs Vorschlag wurde in der Folge von den einzelnen Kantonalsektionen des SIA elaboriert und letztlich per Vereinsbeschluss im Jahr 1877 verabschiedet.

Mit dem damals für 20 Rappen beim Verlag Orell Füssli erhältlichen Abdruck wurde der Grundstein für die heute bekannten Leistungs- und Honorarordnungen (LHO) gelegt. Gut 15 Jahre später vervollständigten schliesslich Grundsätze zur Honorierung von Ingenieurleistungen das erste interdiszi­plinäre Regelwerk mit der Sammelbezeichnung ­«Honorar-Normen für Architekten, Ingenieure und Maschinen-Ingenieure».

Dieses Regelwerk verfolgte in den anschliessenden rund 100 Jahren den ursprünglichen Ansatz mit einer Berechnung des Honorars nach der Bausumme weiter und war dabei deutlich mehr als die Niederschreibung eines «Gentlemen’s Agreements». Es war Ausdruck der zunehmenden, internationalen Normung und des Bestrebens, die bedeutsame Arbeit von Architekten und Ingenieuren angemessen zu entgelten.

Entwicklung zur Leistungs- und ­Honorarordnung

Genau wie die technischen Normen wurden auch die Ordnungen in periodischen Zeitabständen laufend ­revidiert: Seit ihrer Entstehung und bis 1984 wurden die LHO 102 (Architektur), 103 (Bauingenieurwesen), 104 (Forst­ingenieurwesen) und 108 (Maschinen- und Elektroingenieure) im Schnitt etwa alle 15 Jahre aktualisiert. Auslöser dafür waren jeweils die Erweiterung der allgemeinen Bestimmungen und eine Tarifanpassung an die Gegebenheiten der Zeit.

Mit der umfassenden Beschreibung von allgemeinen Bestimmungen wurden nach und nach auch die Interessen aller Baubeteiligten besser eingebunden: Während in den ersten LHO-Ausgaben bis in die 1950er-Jahre kaum Pflichten des Planenden gegenüber dem Bauherrn verzeichnet waren, wurden in der Folge immer mehr gegenseitig geschuldete Leistungen in die Ordnungen aufgenommen. Die LHO entwickelten sich so zu einem allseits akzeptierten und praktikablen Normenbestandteil.

Bis 1984 fanden die Revisionen für jede LHO individuell (d. h. zu unterschiedlichen Zeitpunkten und unter anderen Gesichtspunkten) statt. Mit der Revi­sion im Jahr 1984 wurden die LHO einerseits weitgehend harmonisiert, andererseits wurde der bis dahin spärlich deklarierte Leistungskatalog ausführlich formuliert. Mit der Harmonisierung wurde zudem in allen LHO das Tabellenwerk zur Honorarberechnung in Prozenten der Baukosten aufgehoben; fortan war das Honorar einzig anhand von Formeln zu berechnen.

Auch inhaltlich hatten die Ordnungen aus dem Jahr 1984 schon viel mit dem heute bekannten Regelwerk gemeinsam: Die Struktur mit den bis vor Kurzem geltenden sieben Artikeln wurde damals geschaffen. Nach 1984 fand im Jahr 2001 nochmals eine umfassende Revision aller LHO statt – die letzte Fassung mit dem über 100 Jahre beständigen Kostentarif.

Bis 2001 war der SIA also stets selbst Treiber bei der Überarbeitung seines Regelwerks. Dies änderte sich jedoch bald: Die Revision aus dem Jahr 2003 ging erstmals auf eine Intervention der eidgenössischen Wettbewerbskommission (Weko) zurück. Diese untersagte dem SIA damals aufgrund des geänderten Kartellrechts, die Werte zur Bestimmung der Honorargrundprozente und die Stundenansätze für eine Vergütung nach Aufwand zu publizieren (vgl. «Auf ins Abenteuer»).

Pflicht zur Revision

Abgesehen von diesem Geschehnis und dessen jüngster Wiederholung verpflichtet sich der SIA gemäss aktuellem Normenwerk-Reglement, die Ordnungen in den zuständigen Kommissionen periodisch und mindestens alle fünf Jahre auf Aktualität zu überprüfen. Dem ordentlichen Zyklus folgend, steht nach der letzten Revision von 2014 aktuell wieder eine Überprüfung an. Die jeweiligen Kommissionen ermitteln dabei den Revi­sionsbedarf, koordinieren die vielseitigen Änderungsbedürfnisse, legen den thematischen Revisionsgegenstand fest und führen letztlich den Revi­sions­pro­­­zess durch.

Gegenstand der nun bevorstehenden Revision sind die LHO 102 (Architektur), 103 (Bauingenieurwesen), 105 (Landschaftsarchitektur), 108 (Maschinen-, Elek­tro- und Gebäudetechnikingenieurwesen), 111 (Modell ­Planung und Beratung) und 112 (Modell Bauplanung). Die zugehörigen Themen sind gegenwärtig noch in Beratung (vgl. «Wir streben eine zügige Revision an»). Die Schaffung einer zukunftsfähigen LHO ist aufgrund der aktuellen Branchenthemen herausfordernd: Einerseits befindet sich die Baubranche mitten in der digitalen Transformation, was traditionelle Planungsmethoden, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten hinterfragt. Andererseits sind die Planungsbeteiligten in Bezug auf verschiedene Nachhaltigkeitsthemen gefordert.

Mitte November 2019 hat der SIA nun in einer Sitzung der Zentralkommission für Ordnungen (ZO) den Start zur Revision der LHO mittels einer Projektdefinition beschlossen. Dieses wegleitende Dokument beinhaltet einen Beschrieb der konkreten Revisionsgegenstände sowie der Grundsätze, der Ziele, der Rahmenbedingungen und der Organisation des Prozesses. Als übergeordnetes Ziel wird dabei die weitere, disziplinenübergreifende Harmonisierung des leistungsorientierten Phasenmodells unabhängig von einer bestimmten Planungsmethode genannt.

Konkret sollen das Verhältnis zwischen den beiden Ordnungen SIA 111 und 112 geklärt, das Glossar präzisiert, die allgemeinen Vertragsbedingungen in Bezug auf die Verwendung digitaler Planungsmethoden überarbeitet und die Leistungsbeschriebe an die Gegebenheiten der Zeit angepasst werden. Begleitend sollen auch übergeordnete Ereignisse und Vorgaben (Revision des Gesetzes und der Verordnungen zum öffentlichen Beschaffungswesen, Fortschritte bei der Informationstechnologie, Grundsätze und Ziele der Nachhaltigkeit) mit in die Revision einfliessen.

Die Vorzeichen deuten demnach auf eine umfassende Revision der betroffenen Ordnungen, die nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form des Regelwerks betreffen könnten (z.B. eine interaktive Einbettung von Leistungsbeschrieben in das Vertragswesen oder den Planungsworkflow). Laut Projektdefinition will der SIA mit der Revision also nicht bloss der reglementarischen Pflicht folgen, sondern auch die Zeichen der Zeit wahrnehmen. Das ist einerseits bemerkenswert, weil die Ordnungen seit der Ausgabe 2003 in vielerlei Hinsicht nur eine sanfte Revision erfahren haben, andererseits aber dringend notwendig, da sich im Planungswesen besonders in Bezug auf die Arbeitsmethodik, die Planungsverfahren und -prozesse sowie die Ansprüche der Bauherren einiges getan hat.

Partizipativer Prozess

Seit den 1960er-Jahren werden die Ordnungsrevisionen in paritätisch zusammengesetzten Kommissionen durchgeführt. Diese stellen sicher, dass die Bedürfnisse der Bauherren und Planer in gleichem Mass berücksichtigt werden. Die Federführung und Abstimmung der einzelnen Berufsgruppen obliegt der ZO. Entsprechend dieser Tradition hat die ZO im vergangenen August ein gutes Dutzend Planer und Bauherren aus der ganzen Schweiz in Vorbereitung der anstehenden Revision zu einem Workshop eingeladen. Ziel dieser Veranstaltung war die Sammlung erster Revisionsthemen, die der SIA anschliessend unter Konsultation von Partnern aus anderen Verbänden in die obengenannten Projektdefinition einfliessen liess.

Daneben wurden alle SIA-Mitglieder aufgerufen, ihre eigenen, für die bevorstehende Revision relevanten Themen bekanntzugeben. Von dieser Möglichkeit wurde allerdings kaum Gebrauch gemacht: Innerhalb der Frist bis Ende Oktober wurden Vorschläge von lediglich drei Teilnehmern eingereicht. Selbstredend wurden aber auch diese Beiträge für den weiteren Prozess berücksichtigt. So liessen sich bis zum Projektstart viele unterschiedliche Themen für die anstehende Revision sammeln. Auch wenn nun die weitere Beratung im Kreis der Kommissionen stattfindet, so bieten sich während des Prozesses weitere Möglichkeiten für eine aktive Teilnahme.

Ansprüche an zukunftsfähige LHO

Der SIA hat zu Beginn des Jahres 2019 die «Zukunftsfähige LHO» zum Jahresthema erklärt. Doch was heisst das konkret? Mit Blick auf die anstehenden Themen scheint der SIA zunächst ein Stück Vergangenheitsbewältigung leisten zu müssen. Beispiel: Digitalisierung. Nachdem man das Thema bei der letzten Revision ausgeklammert und anschliessend flankierende Merkblätter und Zusatzvereinbarungen publiziert hatte, scheint nun eine integrale Berücksichtigung der Methode in Bezug auf Rollenbilder und Planungsprozesse dringend. Oder die disziplinenübergreifende Harmonisierung der Leistungskataloge: Seit der «Grossrevision» im Jahr 1984 wurden die Kataloge zwar individuell weiterentwickelt, jedoch nur kaum mit Blick auf Generalplanungsmandate zwischen den einzelnen Berufsgattungen abgestimmt oder von Redundanzen bereinigt.

Selbstverständlich liegt es in der Natur der Sache, dass Normenwerke lediglich den jeweils aktuell anerkannten Stand der Technik abbilden können. Umso her-
ausfordernder scheint es, dass der SIA seinem Jahresthema und den gesetzten Zielen im Rahmen der anstehenden Revision tatsächlich Folge leisten kann. Denn eine zukunftsfähige LHO würde bedeuten, dass sämtliche relevanten Branchenthemen der kommenden fünf Jahre bei der Revision antizipiert würden.

Welche Auswirkungen auf das Planungswesen haben die Grundsätze und Ziele der Nachhaltigkeit genau? Wie gelangen die mitunter vom SIA durchgesetzten Qualitätsansprüche im Beschaffungswesen zu Berücksichtigung und entsprechendem Gewicht im Planungsprozess? Oder wie ist mit den zunehmend an Bedeutung gewinnenden Fragen des Bauens im Bestand umzugehen?

Zumindest eines ist sicher und wurde von der ZO erkannt: Mit dem unmittelbaren Wegfall von Artikel 7 und der Ungewissheit, ob im Zuge der bevorstehenden Revision ein praktikabler Ersatz entsteht, geraten die übrigen Kapitel und damit über 95 % der LHO stärker in den Fokus der Revision. Dennoch schliesst die Projektdefinition nicht aus, dass, sofern umsetzbar, Alternativen zum bekannten Zeitaufwandmodell geschaffen werden.

Die Zeit läuft

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die LHO mit Ausnahme der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeiten fast exakt alle 15 Jahre revidiert: 1969, 1984, 2001/2003 und 2014. Nach diesem Muster dürften wohl noch einige Jahre vergehen, bis eine Neuauflage vorliegt. Gemäss Auskunft der ZO ist der SIA jedoch bestrebt, die Revision zügig zu vollziehen.

Das scheint nicht nur opportun, sondern für die weitere Bedeutung der LHO im Planungswesen auch massgebend. Denn schafft es der SIA nicht, die Ordnungen innert nützlicher Frist am Puls der Zeit auszurichten, verlieren diese zunehmend an Gewicht für den Planungsalltag. Das wäre nicht nur bedauerlich für die lange Geschichte des Regelwerks, sondern auch eine verpasste Chance, die gesellschaftliche Bedeutung der Planungsberufe zu stärken.

Anmerkung
1 Vgl. «Die Eisenbahn», Band 4/1876, Heft 4.

 

Wegmarken der LHO-Geschichte

1877
Honorar für architektonische Arbeiten

In der Generalversammlung des SIA vom 30. November 1877 wird die erste Vergütungsregelung mit Kostentarifmodell als Vereinsbeschluss anerkannt.

1894
Honorar-Normen für Architekten, Ingenieure und Maschinen-Ingenieure

Erstes interdisziplinäres Regelwerk zur Honorierung von Architektur- und Ingenieurleistungen.

1933
Honorarordnungen für architektonische Arbeiten, Bauingenieurarbeiten und Maschinen-Elektro-Ingenieur-Arbeiten

Erstmals wird die Bezeichnung «Honorarordnung» in allen Berufsgruppen verwendet.

1959
Honorarordnung für Forstingenieur-Arbeiten

Erste Honorarordnung für Forstingenieure. Fortschreibung bis 2003. Erst 2007 entsteht die erste Ordnung für Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten.

1984
Harmonisierung der Ordnungen

Die inhaltliche Gliederung aller damaligen Ordnungen (102, 103, 104 und 108) wird harmonisiert – die sieben heute noch bekannten Artikel und die heutige Bezeichnung entstehen.

2002
1. Weko-Intervention

Die Weko hält aufgrund des geänderten Kartellrechts den SIA dazu an, das Kostentarifmodell zurückzuziehen. Mit der Revision 2003 entsteht die bekannte Zeitaufwandformel.

2015
2. Weko-Intervention

Das Zeitaufwandmodell und die Honorarempfehlungen der KBOB werden auf­grund eines BGer-Urteils (Gaba) gerügt. Die KBOB zieht ihre Empfehlung 2017 zurück, der SIA erarbeitet eine Übergangslösung (2018).

2020
Wegfall des Zeitaufwandmodells
Der SIA sieht sich gezwungen, per Anfang 2020 das Zeitaufwandmodell und die Übergangslösung definitiv zurückzuziehen.

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