Per­for­mance Gap – mehr als ei­ne miss­glück­te Pro­gno­se?

Eindrücke vom Gebäudetechnik Kongress in Luzern

Die Gebäudetechnikbranche sieht sich mit strategischen Herausforderungen wie Interdisziplinarität und Digitalisierung konfrontiert. Aber auch der Betriebsalltag erfordert noch mehr Aufmerksamkeit, weil Planungsziele oft verfehlt werden. Am Gebäudetechnik Kongress in Luzern wurde deshalb mit Recht gefragt, wie es um den Performance Gap steht.

Publikationsdatum
10-10-2017
Revision
17-10-2017

Die nachhaltige Schweiz verbraucht zu viel Energie. Etwa die Hälfte des Inlandkonsums beansprucht der Gebäudepark, weshalb eigentlich Bauherren, Architekten und Fachplaner dafür verantwortlich sind. Adrian Altenburger, Professor an der Hochschule Luzern, ermahnte daher die Gebäudetechnikbranche, darüber Rechenschaft abzulegen und entsprechend aktiv zu werden: «Wir müssen die Kräfte bündeln, damit die Energiewende Tatsache werden kann», eröffnete Altenburger den Gebäudetechnik Kongress, den die grossen Planerverbände SIA, SWKI und Electrosuisse in diesem Oktober erstmals durchgeführt haben (vgl. Kasten unten).

Allerdings reicht das Know-how der Fachplaner allein nicht aus, um den Energiebedarf im Gebäudesektor einzudämmen. «Die Planungsergebnisse können noch so punktgenau sein, im praktischen Alltag werden sie bisweilen deutlich verfehlt», erinnert Altenburger an die Relevanz des «ernüchternden Performance Gap». Wie der Performance Gap zu verstehen ist und warum diese Kluft zwischen Theorie und Praxis entsteht, haben deshalb mehrere Referenten aus Wissenschaft und Praxis am Kongress in Luzern zu erklären versucht.

Ein Anderthalbfaches darüber

Martin Ménard, Vizepräsident der SIA-Kommission für Gebäude- und Energietechnik, erklärte die Abweichung mit einer Analogie zum Autofahren: «Die deklarierten Verbrauchs- und Abgasangaben sind zwar normiert; doch Fahrzyklus und Fahrstil im Strassenalltag sind derart individuell, dass die effektiven Leistungswerte jeweils deutlich darüber liegen.» Bei Gebäuden ist dieses Missverhältnis offensichtlich genauso ausgeprägt: «Betriebsanalysen decken häufig auf, dass der reale Heizwärmeverbrauch den Planwert bis um das Anderthalbfache übertreffen kann», so Ménard, Partner der Beratungsfirma Lemon Consult. Grund dafür sind, wie im Automobilgewerbe, teilweise fehlerhafte Annahmen.

Doch den massgeblichen Beitrag zum Performance Gap verursacht schlussendlich nicht der Planer, sondern die Nutzer. Letztere wohnen nämlich längst nicht so energieeffizient wie vorausgesagt. «Vor allem beim Lüftungsverhalten und Sonnenschutz entsteht die grösste Kluft», lautet Ménards Befund. Welche Massnahmen Milderung versprechen und den Gap überbrücken können, konnten er und auch die nachfolgenden Redner (noch) nicht sagen.

Komplexe Systeme sind besonders anfällig

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat ein Modell zur Beschreibung dieser Leistungskluft skizziert. Dazu sind alle Phasen im Leistungsmodell einer Gebäudeplanung durchleuchtet worden. Im Widerspruch zu Ménards Input stuft das ZHAW-Modell die Rolle des Nutzers als weniger bedeutend ein. Referent und Hochschuldozent Markus Hubbuch empfiehlt daher, auch den Einfluss der Bauherrschaft und des Eigentümers stärker in Betracht zu ziehen. «Denn auch die Auftragsziele und das Nutzungsprogramm bestimmen die Betriebsperformance wesentlich mit, insbesondere wenn es Änderungen gibt», ist Hubbuch überzeugt. In der ZHAW-Terminologie wird der Performance Gap zum Energieeffizienz-Gap, wenn das bestmögliche Planungsniveau zwar angestrebt, aber nicht erreicht werden kann. Zudem gelte: Je komplexer ein Gebäude konzipiert ist, umso grösser werde die Kluft.

In Ergänzung dazu machte sich Stefan Waldhauser, Mitinhaber der Waldhauser + Hermann AG, in seinem Kongressreferat Gedanken darüber, ob der Gap überhaupt als mangelhafte Leistung, nicht erfüllter Grundauftrag oder Garantiefall einzustufen sei. Obwohl der Optimierungsaufwand eigentlich nur über einen Zusatzeffort zu leisten abzuwickeln sei, dazu konnte auch er keine abschliessende Antwort geben. In der Praxis ist ihm jedoch aufgefallen, dass die Erwartungen zwischen Besteller und Planer des Öfteren schlecht zusammenpassen.

Seinerseits plädiert der Gebäudetechnikfachmann allerdings dafür, den Performance Gap nicht zu überbewerten: «Die Standardplanung darf mit einer Wetterprognose verglichen werden: Im Lauf der Zeit wird sie genauer; mit Überraschungen ist trotzdem zu rechnen.» Ein grundsätzliches Erschwernis sei jedoch, dass die meisten Gebäudesysteme eben keine Serienprodukte, sondern Unikate sind.

Seewasser für den Bürgenstock

Einzigartig und aufsehenerregend ist beispielsweise die erneuerte Bürgenstock-Hotellerie. Gastgeber des zum Wellness- und Gesundheitsresort erweiterten Ferienstandorts ist die Katara Hospitality Switzerland AG, deren Direktor Bruno Schöpfer das Energie- und Gebäudetechnikkonzept am Kongress vorgestellt hat. Das 10 ha grosse Areal ist an die Stränge eines Niedertemperaturnetzes angeschlossen; ein Dutzend Wärmepumpen beliefern die 30 Gebäude bedarfsgerecht mit Energie. Die Grundwärme für Heizung und Swimmingpools respektive Kälte für die Raumkühlung stammt aus dem Vierwaldstättersee.

Der zusätzliche Hochleistungswärmebedarf, unter anderem für Wellnessanlagen und die Gastronomie, wird mit Gaskesseln abgedeckt. Gemäss Schöpfer werden im Vergleich zu einem vollständig fossil betriebenen Wärmesystem etwa 70 % an Treibhausgasen eingespart. Falls dieser am Gebäudetechnik Kongress vorgestellte Plan dereinst ohne Performance Gap im Betriebsalltag umgesetzt werden kann, wären die Hausaufgaben zur Energiewende an diesem Ort vorbildlich gelöst.
 


Gebäudetechnik-Kongress im Kurzrückblick
Die Gebäudetechnikbranche kennt sich mit dynamischen Systemen und potenten Energieflüssen bestens aus; technische und ökonomische Neuerungen scheint man ebenso wenig zu scheuen. Ein zuversichtliches Votum dafür gaben die knapp 400 Besucherinnen und Besucher am ersten Gebäudetechnik Kongress der Planerverbände SIA, SWKI und electrosuisse gleich selbst ab. An der Anfang Oktober mit der Hochschule Luzern und dem Bundesamt für Energie (BFE) gemeinsam organisierten Premiere wurde eine entsprechende Onlinebefragung durchgeführt: Die Mehrheit der abgegeben Stimmen fürchtet sich nicht vor neuen, unvertrauten Technologien. Die Anpassungsfähigkeit von Gebäudetechnikplanern wird künftig besonders gefragt, konnten derweil die referierenden Ingenieure, Architekten, Chefbeamte und Manager mehrfach bestätigen.
BFE-Direktor Benoît Revaz machte zu Beginn deutlich, dass die Messlatte für einen energieeffizienten Gebäudepark weiterhin hoch liegt und die Branche mit ihren Diensten und neuen Ideen entscheidend zur Reduktion des Energiekonsums beitragen muss. BKW-CEO Suzanne Thoma ergänzte, dass man sich jedoch von bisherigen Vorstellungen und zuletzt erfolgreichen Geschäftsmodellen verabschieden müsse. Gebäude produzieren selbst Energie und einstige Konsumenten liefern nun ihrerseits Strom. Das Aufrechterhalten der Energienetze bedarf gleichzeitig mehr an übergeordneter Koordination.
Digitalisierung und Materialverschleiss sind weitere am Kongress präsentierte Zukunftsthemen, für die die Gebäudetechnikbranche erst noch Antworten und Lösungsansätze zu finden hat. Der deutsche Architekt und Ingenieur Werner Sobek forderte stellvertrend auf, «mehr für die Menschen bauen, aber mit weniger Material, und zudem ganz ohne fossil basierte Energie auszukommen». ETH-Architekturprofessor Arno Schlüter sprach dabei von «wicked problems»: Nicht jede Innovation löst die bestehenden Probleme von allein; «Verbesserungen ergeben sich erst, wenn unterschiedliche Fachleute zusammenarbeiten».
Eine Auswahl der Referate am Gebäudetechnik Kongress ist online abrufbar.

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