Afrikanischer Visionär
Der in Burkina Faso geborene Architekt Diébédo Francis Kéré hat den mit 200.000 Dollar dotierten Global Holcim Award Gold 2012 gewonnen. Bis 28. April 2013 zeigt das Architekturzentrum «arc en rêve» in Bordeaux die Ausstellung «Bridging the Gap jeter un pont» mit Arbeiten des Preisträgers.
Zu Beginn seiner Rede anlässlich der Holcim-Preisverleihung in Lausanne wies Diébédo Francis Kéré auf die Folgen des Kolonialismus hin, der in Afrika eine nicht nachhaltige Entwicklung erst in Gang gebracht habe und heute mitbegründe: «We have a dream in Africa. Burkina Faso hat einen Traum. Es ist der Traum einer modernen Stadt. Es ist der Traum nach Ihrer Lebensweise. Wir träumen davon, Städte zu haben wie Ihre. Fast wie Lausanne. Wie Paris. Wie New York. Deshalb bauen wir Gebäude mit Klimaanlagen in einem Land, in dem mehr als 60% der Bevölkerung weder lesen noch schreiben kann, in einem Land, das zu den ärmsten der Welt gehört.» Der globale Norden kommuniziere seine Lebensweise als die einzig erstrebenswerte. Sein Volk lebe in der Vorstellung, dass alles, was aus Afrika komme, nutzlos sei. Weil der Bevölkerung Afrikas weitgehend der technische, wissenschaftliche und kulturelle Hintergrund des globalen Nordens fehle, begnüge es sich mit oberflächlichen europäischen und asiatischen Kopien, die in seinem Land keinen Sinn machten. Daraus schöpfe er die Motivation, in seinem Land substantiell anders zu bauen. Diébédo Francis Kéré entwickelt sein gesamtes Dorf afrikanisch. Der Beginn seiner Karriere als Architekt liegt in der Entscheidung seines pragmatisch und weitsichtig denkenden Vaters, des Häuptlings von Gando begründet.
Der Global Holcim-Preis für den Entwurf der Geländeanlage mit einem Gebäude-Ensemble für eine weiterführende Schule würdigt diese 14-jährige Aufbauarbeit und Visionskraft eines Mannes, der gewillt ist und sich befähigt hat, die Rollen des Architekten, Baumeisters und Entwicklers gleichermassen zu übernehmen, manch Scheitern europäischer Entwicklungshilfe-Absichten Lügen strafend. Es handelt es sich um ein Nachfolgeprojekt, das in der Ausgabe von TEC21 3-4/2011 vorgestellt wurde.
Ausblick
Nachhaltige Entwicklung braucht Veränderung und Innovation, das Gegenteil vom Beharren auf dem Bestehenden, das ja den Ruf nach Entwicklung auslöst, zwischen zurückschauender Bestandserhaltung («sustainment») und künftiger Bestandsentwicklung («innovation»). Doch wie tief muss nach den ursächlichen Ursachen gegraben werden, damit Architektur, Städtebau, Bauwirtschaft und Technik die Hebel an den richtigen Stellen anlegen? In welchen Bereichen macht es Sinn, Aufgaben isoliert zu betrachten? Die übergeordneten vielschichtigen Zusammenhänge von Ursache und Wirkung sind es im Ansatz, von denen die Holcim Awards getrieben sind. Diesbezüglich liefert das Gewinnerprojekt allgemein bedenkswerte Ansätze. Mit seinem laufend verfeinerten prototypischen Low Tech-Konzept gelingen Diébédo Francis Kéré vor allem drei Zuschnitte: erstens auf die örtlichen Voraussetzungen und Bedingungen im extremen Klima der Sahelzone sowie der vollkommen fehlenden Infrastruktur aus Strom-, Wasser- und Abwassernetzen. Zweitens ersetzt er Menschen nicht durch Maschinen. Kéré beteuert, dass die Zukunft seines Landes im Aufbau handwerklichen Know-hows, in der Beschäftigung und nicht in zeitlicher Rationalisierung liege. Drittens führt er auf behutsame wie sich langfristig kulturverändernde Weise seine Landsleute in die schriftlich basierte Schulbildung nach französischem Zuschnitt, in die Erwachsenenbildung und in zivilisatorische Erkenntnisse des globalen Nordens. Dadurch, dass faktisch das gesamte Dorf seine neuen Gebäude für die bevorstehenden Bildungsprozesse mit eigenen Händen selbst baut und somit deren Konstruktionsprinzipien durch Anschauung versteht, erwirbt besonders die junge Generation «by doing» eine übertragbare, gleichsam exportierbare Baukompetenz.
Diébédo Francis Kérés Hebel wirken an den neuralgischen Punkten, sie greifen nachhaltig für die bauliche Entwicklung in Afrika. Mit dieser Preisvergabe dürfen die Holcim Awards eine Hebelwirkung für die nachhaltige Bauentwicklung in Afrika für sich in Anspruch nehmen, weil die dargestellte prototypische Vorgehensweise auch für die europäische Entwicklungshilfe richtungsweisende Anstösse liefern kann. Die aktuelle Ausstellung «Bridging the Gap» im Architekturzentrum «Arc en rêve» in Bordeaux lädt die Besucher ein, anhand von elf Projekten die Arbeit von Diébédo Francis Kéré zu entdecken.