Ar­chi­tek­tur fil­misch ani­miert

Von zweidimensionalen Plänen über perspektivische Ansichten bis zu foto­realistischen Computervisualisierungen arbeitet die Architektur heute zunehmend mit Animationen, die technisch dem Film sehr nahe stehen, ohne jedoch dessen spezifische Gestaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Hier eröffnet sich ein Feld, das ein grosses Gestaltungspotenzial birgt und eine zunehmende Verflechtung von Film und Architektur zur Folge haben wird.

Publikationsdatum
02-11-2017
Revision
02-11-2017

Das Forschungsprojekt «Compositing Spaces» (siehe Kasten) untersucht, in welchen Bereichen Architekturanimationen Anstösse aus dem filmischen Gestaltungsinstrumentarium aufnehmen können. Eines der Hauptprobleme zeigt sich bei der Erstellung solcher Anima­tionen: Hier sind vorwiegend ausgebildete Architekten am Werk, die sich in filmgestal­terischen Fragen nicht hinreichend auskennen. Da wir aber als Zuschauerinnen und Zu­schauer durch Konven­tio­nen geprägt sind, die der Film über Jahrzehnte etabliert hat, kann dies auf visueller Ebene zu Verständnisschwierigkeiten, zu unbedacht angefertigten Aufnahmen führen, die nicht auf die Konditionierung des Betrachters eingehen. Bekannt ist dieses Phänomen aus langen, ungeschnittenen Kameraflügen durch Projekte hindurch, die wenig mit vielfältigen Blickwinkeln der subjektiven Raumbetrachtung gemein haben.

Regieanweisungen an die virtuelle Kamera

Hier setzt das Forschungsprojekt an: Die lange, ungeschnittene Einstellung ist ein Stilmittel, das auch in der filmischen Sprache existiert. Plansequenzen treten immer dort auf, wo ein besonderer Gestaltungswille vorliegt, eine Szene speziell betont wird oder schlicht die Kunstfertigkeit des Regisseurs unterstrichen werden soll, da Plansequenzen aufwendig zu filmen sind.1 Der Normalfall sind aber Schnittsequenzen, also Szenen, die aus einzelnen Einstellungen zusammengeschnitten sind, unterschiedliche Blickwinkel einnehmen und nach den Prinzipien der Kontinuitätsmontage die Betrachter Schritt für Schritt in den Raum einführen. Daher haben wir versucht, eine Narration für die Architekturanimation zu erstellen und real gefilmte Personen per Bluescreen-Verfahren ins Bild zu integrieren, damit der fiktive Betrachter wie im Film den Identifikationstransfer zu den Zuschauern herstellen kann.

Doch die gerenderten dreidimensionalen Modelle waren sehr gross und die Qualität der Bildüberlagerung nicht zufriedenstellend – schliesslich sollte die zu entwickelnde Technik nicht nur in Hollywood, sondern auch durch normale Architekturbüros einsetzbar sein. Bei der weiteren Analyse wurde deutlich, dass der filmische Raum nicht immer bewegt, sondern häufig aus statischen Einstellungen zusammengeschnitten war. Diese fixen Raumeinstellungen sind in der Architektur zur Genüge vorhanden: hochauflösende Visualisierungen, die als Standbilder der «Compositing-Technik» zur Verfügung stehen. Mit dem digitalen Zusammenfügen und Animieren von Bildelementen mit Softwaretools wie Motion, After Effects oder ähnlichen Produkten war der Weg zu einer attraktiven Bearbeitungstechnik geebnet.

Bei der Abfolge der räumlichen Perspektiven griffen wir auf Gestaltungskonven­tionen zurück, die aufzeigen, wie die Informationen im filmischen Raum beiläufig und ohne Redundanzen vermittelt werden. Waren die Bildausschnitte gewählt und zu einer kontinuierlichen Bewegungschoreografie zusammengefügt, konnten einzelne Ausschnitte weiterbearbeitet werden. So haben wir im einen Fall die Tiefenebenen einer Visualisierung in einem «Shifting» leicht zueinander verschoben, sodass sich die auf der Zweidimensionalität eingefrorene Raumtiefe unmerklich zu verändern schien. Oder aber der gezeigte Bildausschnitt glitt wie eine Maske über das dahinter liegende Bild, tauchte darin ein und generierte eine Bewegung innerhalb des ursprünglich statischen Bildes.

«Compositing Spaces»

Der Ansatz des «Compositing» stellt eine Rückbesinnung zum Standbild als Ausdrucksform dar, die sich visuell, narrativ und ökonomisch bestätigt. Mit dem Einsatz dieser eigentlich alten Kulturtechnik2  nahm das Projekt eine überraschende Wende, die mehrere Probleme gleichzeitig löste: «Compositings» unterscheiden sich formal zunächst nicht von Renderings eines 3-D-Modells. Die Bildqualität ist trotz viel geringerer Datenmenge besser, da das Ausgangsmaterial, also die Visualisierung, hochauflösend ist. Der Compositing-Ansatz ist zudem eine kostengünstige Lösung, da er ohne ein aufwendig detailliertes und dadurch teures 3-D-Rendering auskommt. Denn die computergenerierten Standbilder, welche die Basis für diese Bearbeitung liefern, sind häufig Fotomontagen.

Dadurch fliessen fotorealistische Elemente in die Bildsprache ein, die das Bedürfnis nach einer haptisch-sinnlichen Ausdrucksform einlösen. Die im Forschungsprojekt erstellten Animationen führen die Bildsprache in Richtung einer filmischen Schnittsequenz fort. Dabei wird die zu Beginn des Projektes formulierte Hypothese aufgenommen, dass bruchlose Realitätskonstruktionen die Wirklichkeitsvorstellung nicht fördern, Lücken und Brüche dagegen einen Vorstellungsfreiraum für die Betrachter schaffen. Mehrere Compositings können, als Schnittsequenz angelegt, den narrativen Anspruch einer Animation einlösen. Hier zeigt sich eine Chance zur Weiterentwicklung und Neudefinierung einer genuinen Bildsprache, die nicht den Film für die Architektur kopiert, sondern den Umgang mit diesem Medium reflektiert und zu einem eigenständigen Ausdrucksmittel für die Darstellung von Raum werden kann.

Anmerkungen

1 Immer wieder haben Regisseure versucht, ganze Filme als Plansequenz – lange, ungeschnittene Einstellungen – zu drehen: Alfred Hitchcock in «Rope» (1948), Alexander Sokurov in «Russian Ark» (2002). («Filmglossar», m2)
 

«Compositing»
Das Forschungsprojekt «Compositing Spaces» (2005–2006) wurde an der FHNW, Hochschule für Gestaltung und Kunst, Institut für Design- und Kunstforschung, durchgeführt. Projektteam: Martin Wiedmer (Leitung), Doris Agotai, Fabian Kempter, Rolf Lenzin; Praxispartner: Archimedia Schweiz AG, Mathys Partner GmbH, nimmrichter cda, raumgleiter.com, V bis F Video und Filmproduktionen. Wissenschaftliche Partner: Universität Basel, Fakultät für Psychologie, Javier Bargas, Yolande Metrailler, Peter Schmutz, Eui-Jee Hah, Katja Patschurek; FHNW, Abteilung Vermessung und Geoinformation, Stefan Nebiker, Thomas Knabl, David Emmenegger, Thomas Schuler. Das Forschungsprojekt wurde als DoRe-Projekt durch den Schweizerischen Nationalfonds gefördert und im Mehrjahresprogramm 2008–2011 beispielhaft erwähnt.
Die Resultate des Forschungsprojekts wurden umfassend publiziert sowie in Philipp Hauzinger (Hg): Movie Bite. Das kompakte Praxisbuch mit DVD für digitale Filmproduktion und CAD-Animation. Zürich 2006, S. 16–25, und in Communicating Spaces, 24th eCAADe Conference Proceedings, Volos (Greece), 6.–9. September 2006, 604–607. Auf der erwähnten Website ist zudem ein umfangreiches Filmarchiv aufgeschaltet.

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