Stückwerk
Mehrfamilienhaus Efringerstrasse, Basel
Zirkuläres Bauen ist zukunftsfähiges Bauen. Es umfasst nicht nur die Wiederverwendung von Bauteilen, sondern auch das Prinzip «Design for Disassembly». Die Aufstockung von Studio Lukas Raeber im Kleinbasel folgt diesem Grundsatz: Bauen, um in Zukunft wiederzuverwenden.
Auch die Architektur muss sich den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit stellen. Das Motto der Stunde heisst «reduce, reuse, recycle» – weniger verwenden, wiederverwenden, wiederverwerten. Wenn überhaupt mit neuen Bauteilen gebaut wird, dann sollten sie auf eine möglichst lange Nutzungsdauer ausgelegt und so gefügt sein, dass die zukünftige Wiederverwendung möglich ist – das ist der Kern des Prinzips «Design for Disassembly» (DfD).
Wohnen über der Werkstatt
Nach diesem Prinzip hat Lukas Raeber mit seinem Architekturbüro eine Aufstockung auf einer Werkstatt im Kleinbasel realisiert. Das Basler Matthäusquartier ist bis heute durch Handwerksbetriebe in Erdgeschossen und Hinterhöfen geprägt. Diese Betriebe ziehen sich zusehends zurück, aber einige gibt es noch. So auch an der Efringerstrasse, wo die Spenglerei Jäggi Vollmer seit rund 100 Jahren ansässig ist. Ihr gehört das Grundstück, das mit einer Werkstatt im Sockelbau zwei Parzellen an der Horburgstrasse durch den Hinterhof mit der Efringerstrasse verbindet. Auf der Seite der Horburgstrasse befinden sich zwei um 1920 erbaute Mehrfamilienhäuser über der Werkstatt. Schon damals war auch für die Efringerstrasse eine Wohnungsaufstockung geplant, diese wurde aber nie realisiert. Knapp 100 Jahre später entschied sich die Eigentümerschaft, die Idee wieder aufzugreifen.
Im Jahr 2018 kamen Lukas Raeber und die Bauherrschaft erstmals zusammen, um ein Konzept für eine Erweiterung zu erarbeiten. Der Zonenplan würde zwar fünf Vollgeschosse zulassen, aufgrund der dichten Bebauung der Parzelle schränkte aber die Ausnützungsziffer von 1.8 die Bruttogeschossfläche ein. Bei gleicher Kubatur wie im Sockelgeschoss wäre zu viel neue Wohnfläche entstanden. Lukas Raeber löste die Problematik durch eine Abstufung der Geschossflächen gegen den Hinterhof. Heute stapeln sich über dem alten Werkstattgebäude vier neue Wohnetagen mit acht Wohnungen. Die Dachdeckung besteht aus einer integrierten PV-Anlage, mit der die Luft-Wärmepumpe betrieben wird. Der hintere, flache Bereich des Daches ist als extensiv begrünter Lebensraum für Kleinstlebewesen gestaltet. Strassenseitig nimmt das Sheddach des Neubaus die Traufkante des linken Nachbargebäudes auf und formt so den Stadtraum weiter. Für die rechts angrenzende Eckparzelle, heute eine Baulücke mit Parkplätzen, ist ein Neubauprojekt mit zusätzlichen Wohnungen in Planung.
Ein Haus als Materiallager
Die Aufstockung war von Anfang an als modifizierbarer Holzelementbau geplant. Im Laufe der Projektentwicklung aber vertieften sich Bauherrschaft und Architekturbüro immer mehr in das Thema Nachhaltigkeit. Die Idee, das Projekt als urbane Mine für die Zukunft zu entwickeln, veränderte die Materialität und die Ausführungsplanung nochmals grundlegend.
Ausgangspunkt dieser additiven Architektur ist das sortenreine Bauen, ähnlich wie beim Systemtrennungsprinzip, das schon länger angewendet wird (vgl. TEC21 43/2016). Nichts wird verklebt, alles wird nur geschraubt oder gesteckt, sodass Ersatz und spätere Wiederverwendung möglichst einfach zu bewerkstelligen sind. Die Spenglerei konnte einige Arbeiten in Eigenleistung realisieren, was die Kosten niedriger hielt, eine gewisse Flexibilität in der Planung ermöglichte und die Qualität bei Produkten und Ausführung sicherstellte. Im Planungs- und Bauprozess übernahm das Büro Lukas Raeber die gestalterische Leitung und die Bauherrschaft die Bauleitung. Durch diese Zusammenarbeit konnten die Vorstellungen der Eigentümerschaft direkt in das Projekt einfliessen.
Für die Strassenfassade fertigte die Spenglerei eine Metallkonstruktion, die sie auf den Holzelementbau montierte und mit Trapezelementen aus Roh-Aluminium verkleidete. Mit der Zeit entsteht eine Patina, die die Fassade matter und dunkler erscheinen lässt. Auffällig ist das Fallrohr der Regenrinne, das aus unterschiedlich materialisierten Stücken besteht. Es sind Reststücke der Spenglerei, die durch die durchmischte Zusammensetzung das Konstruktionsprinzip des Baus veranschaulichen.
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Am Beispiel des verwendeten Roh-Aluminiums lässt sich einer der vielen Widersprüche beim nachhaltigen Bauen aufzeigen: Roh-Aluminium benötigt in der Herstellung weniger Energie als eloxiertes Aluminium, doch es verursacht mehr Treibhausgasemissionen als beispielsweise ein mineralischer Putz oder auch Zementfaserplatten. Ein Putz kann aber nicht rückstandslos entfernt werden und würde, genau wie auch Zementfaserplatten, als Mischabfall enden, während das Aluminium sortenrein in den Materialkreislauf rückführbar ist.
Auch den Innenausbau gestalteten Architekt und Bauherrschaft nach dem DfD-Prinzip. Ab dem ersten Obergeschoss besteht das Treppenhaus aus Betonfertigelementen. Lediglich im Erdgeschoss kam aus Gründen des Erdbebenschutzes Ortbeton zum Einsatz. Die Elemente der oberen Etagen dienen im Fall eines Rückbaus als zukünftige Bauteilmine. Die Schwierigkeit bei einer Wiederverwendung sieht Lukas Raeber weniger in der Festigkeit der Elemente, sondern darin, dass die Geschosshöhen zukünftiger Gebäude nicht mit den Elementhöhen übereinstimmen. Das ist die grösste Unbekannte bei DfD: Wie, wann, unter welchen Bedingungen und ob überhaupt je eine «Re-Assembly» stattfinden wird, weiss niemand.
Raumgreifend über wenige Quadratmeter
Die Wohnungsgrössen des als Zweispänner angelegten Baus liegen in den beiden unteren Wohngeschossen bei 53 m² (Miete ca. 1600 Fr.) und in den beiden oberen bei 42 m²(Miete ca. 1400 Fr.). Die Bauherrschaft entschied sich dazu, viele kleine Wohnungen zu realisieren. Um in der Nutzung trotzdem flexibel zu bleiben, ist im Wohnbereich eine Sollbruchstelle in der tragenden Wand eingeplant, sodass Wohnungen zusammengelegt werden könnten.
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Vom Treppenhaus gelangt man in einen schmalen Eingangsbereich mit Einbauschrank, der offen in den Wohnraum übergeht. Das Zentrum der Wohnungen bildet ein konstruktiver Kern aus sichtbar bleibendem Fichtenholz, in dem sich die Installationsschächte befinden. Drumherum liegen Entrée, Küche und Bad. Garderobe und Küchenzeile sind aus naturbelassenem Fichtenholz oder in anthrazitfarbenem MDF ausgeführt. Dieser Kern bildet eine trennende Raumschicht zwischen dem im Osten zur Strasse hin orientierten Schlafzimmer und dem im Westen liegenden Wohnraum.
Die ausführlicher Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 23–24/2023 «Die verlängerte Zukunft».
Mehr zum Thema finden Sie in unserem E-Dossier «Nachhaltiges Bauen».
Mehrfamilienhaus Efringerstrasse, Basel
Standort Objekt
Efringerstrasse 107, 4057 Basel
Nutzung
8 Wohnungen über Werkstattbetrieb
Bauherrschaft
Sonja und Felix Jäggi
Architektur
Studio Lukas Raeber: Flavio Thommen (PL), Lukas Raeber
Tragkonstruktion
Haller & Partner, Oberwil
HLK-Planung
Beat Joss & Partner, Basel
Bauleitung Sockel
ZSP Bauexperten, Allschwil
Holzbau, Baumeister
Stamm Bau, Arlesheim
Spengler, Fassade, Sanitär, Heizung
Jäggi Vollmer, Basel
Metallbau
Metallbau Bühler, Zwingen
Elektro-Planung
Elektro Brönnimann, Sissach