Nach allen Regeln der Kunst
Erweiterung Kunsthaus Zürich
Mit der Ausrichtung nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft nimmt die Kunsthaus-Bauherrschaft eine Vorreiterrolle im Museumsbau ein. Und auch im Betrieb sorgen ein durchdachtes Energiekonzept und der Verzicht auf fossile Energieträger für eine stimmige Bilanz.
Vor zwölf Jahren wurden die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft zum Inbegriff und zur gesetzlichen Grundlage für die nachhaltige Entwicklung der Stadt Zürich. Mittels Verfassungsänderung wurden die Reduktion des Primärenergieverbrauchs auf 2000 Watt Dauerleistung und der Treibhausgasemissionen auf eine Tonne pro Jahr und Einwohnerin und Einwohner zum obersten Gebot im schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen.
Was heisst das aber konkret für das Handeln einer Stadt und ihrer Einwohner? Zur Beantwortung dieser Fragen hat die Stadt Zürich einen Absenkungspfad und fünf Handlungsfelder bestimmt: Konsum, Siedlung, Gebäude, Energieversorgung und Mobilität. Auch im Masterplan Energie der Stadt Zürich als übergeordnetem Steuerungsinstrument sind diese Handlungsfelder verankert. Die Stadt will also unter anderem mit ihren eigenen Bauten oder Bauvorhaben stadtnaher Institutionen eine Vorbildfunktion übernehmen.
Und das macht sie – beispielsweise und praktisch nahtlos an den politischen Willen von 2008 anknüpfend – mit der Auslobung des Architekturwettbewerbs zur Zürcher Kunsthaus-Erweiterung. Als zukunftsfähiger Bau soll das Museum verkörpern, dass die energiepolitischen Ziele mit städtebaulich, architektonisch und aussenräumlich qualitätsvollen und zeitgemässen Ansprüchen vereinbar sind. Ein entsprechendes Energiekonzept und die Einschätzung der Auswirkung von architektonischen Entscheidungen auf den Gesamtenergiebedarf lagen dem damaligen Wettbewerb zugrunde.
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Der fertige Bau zeigt nun, dass sich diese von Anfang an verankerten Ziele widerspruchslos umsetzen liessen. Entstanden ist ein einzigartiges Aushängeschild des Stadtzürcher Nachhaltigkeitsbestrebens und ein weiterer Beweis dafür, dass die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft auch mit Betonbauten erreichbar sind.
Museumsbau als energetisches Neuland
Die Umsetzung des Energiekonzepts war allerdings alles andere als banal. Denn was es bedeutet, ein Museum nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft zu bauen, musste erst definiert werden. Die aktuell massgebende Vorgaben fürs umwelt- und energiegerechte Bauen des städtischen Hochbaudepartements umfassen für Neubauten im Wesentlichen den Standard Minergie-P-Eco. Sie bestimmen damit gleichzeitig die Ziele des umwelt- und energiegerechten Bauens für die 2000-Watt-Gesellschaft. Jedoch liess sich zu Beginn des Kunsthaus-Projekts vor über zwölf Jahren der Standard Minergie-P-Eco noch nicht auf Museumsbauten anwenden.
Alternativ stützte man sich deshalb auf den SIA-Effizienzpfad Energie, der ohnehin als Umsetzungsinstrument zum Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft gilt. Allerdings nennt auch das entsprechende SIA-Merkblatt 2040 keine Zielwerte für eine Museumsnutzung. Deshalb definierte die Bauherrschaft für die Kunsthaus-Erweiterung spezifische Ziele als Projektvorgaben für die Erstellung und den Betrieb des Gebäudes. Nebenbei bemerkt: Der Effizienzpfad war damals ebenfalls noch nicht in den städtischen Nachhaltigkeitszielen verankert, wodurch die Kunsthaus-Erweiterung im doppelten Sinn zu einem Pilotprojekt wurde.
Zwischenzeitlich hat sich zwar einiges getan. Mit dem Naturmuseum St. Gallen (ebenfalls ein Sichtbetonbau) gibt es bereits ein umgesetztes Minergie-P-Eco-Museum. Auch haben sich das Konzept der 2000-Watt-Gesellschaft und die Kriterien von Minergie-P-Eco immer weiter angenähert. Wesentliche Unterschiede bestehen eigentlich nur noch in der Berücksichtigung von gesellschaftlichen Kriterien bei Minergie-Eco und beim zusätzlichen Einbezug der Treibhausgasemissionen in der Betriebsphase gemäss SIA-Effizienzpfad Energie. Allerdings bestand nie eine Absicht, den Chipperfield-Bau nach Minergie-Standard zu zertifizieren – die wichtigsten energietechnischen Ziele sind und waren seit Beginn der Projektierung diejenigen der 2000-Watt-Gesellschaft.
In Zahlen
Da ein Standard fehlte, mussten die Zielwerte für den Erweiterungsbau somit aus den damals verfügbaren Vorgaben des SIA-Merkblatts 2040 extrapoliert werden. Dieses Vorgehen war auch für die Fachstelle Nachhaltiges Bauen des städtischen Amts für Hochbauten (AHB) neu. Besonders die Zielwertdefinition für die «Erstellung» war für diese Zeit weder selbstverständlich noch trivial und beruhte auf den Parametern für eine Büronutzung.
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Für die baulich-charakteristischen Eigenheiten des Museums wurden entsprechende Anpassungsfaktoren eingerechnet. Dies betraf insbesondere die überhohen Räume und die gros-sen Spannweiten. Die Zielwerte für den «Betrieb» basieren auf einer Analyse von ähnlichen Kunsthäusern im In- und Ausland und wurden gemäss Etappenzielen der 2000-Watt-Gesellschaft (Absenkungspfad bis ins Jahr 2050) um die Faktoren 1.8 (Primärenergiebedarf) respektive 4.3 (Treibhausgasemissionen) reduziert.
Anders ausgedrückt bedarf die Kunsthaus-Erweiterung also bei der Erstellung ein wenig mehr Primärenergie und verursacht leicht mehr Treibhausgasemissionen pro Quadratmeter Energiebezugsfläche als ein Bürobau. Der Primärenergiebedarf und die Treibhausgasemissionen sind im Betrieb 1.8- respektive 4.3-mal tiefer als bei vergleichbaren Kunsthäusern. Diese Rahmenbedingungen wurden im Projektpflichtenheft formuliert und galten damit seit Projektierungsbeginn.
In den gängigen Einheiten ausgedrückt bedeutet das punkto Primärenergiebedarf 1295 MJ (Erstellung: 1100 MJ / Betrieb: 195 MJ) und punkto Treibhausgasemissionen 28.5 kg CO2-Äquivalente (Erstellung: 15 kg / Betrieb: 13.5 kg) – jeweils pro Quadratmeter Energiebezugsfläche und Jahr – als Zielvorgabe. Der Betrieb umfasst dabei die Kälte, die Lüftung, die Wärme einschliesslich Warmwasser, die Beleuchtung, die Gebäudetechnik und die Betriebseinrichtungen. Die Mobilität blieb für diese Zieldefinition aussen vor, da für diese Art der Nutzung keine methodischen Grundlagen verfügbar waren.
Ein durchdachtes Energiekonzept
Damit diese Zielvorgaben eingehalten werden, setzten die Verantwortlichen an verschiedenen Stellen an: Gebäudeform, Energieversorgung, Baustoffe, Klima- und Lichttechnik.
Grosses Potenzial boten die Kubaturen. Die gewählte, kompakte Gebäudeform mit dem vorteilhaften Verhältnis zwischen Gebäudehülle und -volumen ermöglicht einen optimierten Materialeinsatz und damit eine Reduktion der verbauten grauen Energie. Für einen Bau mit derart grossen Flächen an Sichtbeton ist der Einsatz von über 90 % Recyclingbeton (RC-C) und treibhausgasreduziertem Zement (CEM IIIB, teilweise CEM IIB mit reduziertem Klinkeranteil) aussergewöhnlich und innovativ.
Angebotserweiterungen der Baustofffabrikanten in den letzten Jahren machen es möglich. Und obwohl der Einsatz von Recyclingbaustoffen für Konstruktions- und Sichtbeton seit Jahren im Normenwerk geregelt wird, sind Objekte mit derart grosser Ausstrahlung rar.
Der Beton bringt aber auch energetische Vorteile für den Betrieb: Seine Kombination mit einer ausgezeichneten Wärmedämmung sorgt für ein ausgeglichenes Klima in den Innenräumen. Die Wärme und Feuchtigkeit, die die Besuchenden in die Ausstellungsräume bringen, wird durch eine hochsensible Steuerung ausgeglichen, um insbesondere für die Kunstwerke stabile Verhältnisse sicherzustellen. Die Temperaturregulierung erfolgt massgeblich über thermoaktive Bauteile.
Sogenannte TABS (ein in den Wänden und Decken verbautes, wassergefülltes Röhrensystem) führen je nach Bedarf Wärme zu oder ab. Als Wärme- resp. Kältespeicher wird mittels 200 m langer Sonden das Erdreich genutzt. Die Geothermie kann direkt für die Kühlung oder als Umweltenergiequelle für die eingesetzten Wärmepumpen genutzt werden. Klimaanlagen dienen lediglich zum Spitzenausgleich. Die Lüftung kommt vor allem für die Frischluftzufuhr und zur Regulierung des Feuchtehaushalts zum Einsatz.
Bei der Energieversorgung wurde auf bewährte Mittel zurückgegriffen. Der Strom stammt aus zertifizierter Wasserkraft, und rund 10 % des Energiebedarfs werden durch die Photovoltaikanlage auf dem Dach gedeckt. Für mehr reichte es leider nicht, da von Projektierungsbeginn an ein Grossteil der Dachfläche den Fenstern zur natürlichen Beleuchtung der Ausstellungsräume vorbehalten war. Dies wirkt sich allerdings wiederum positiv auf den Energieverbrauch aus, da nur wenig künstliche Beleuchtung benötigt wird und die Oberlichter derart konzipiert sind, dass sie nur wenig Wärme ins Gebäude einlassen.
Die einzelnen Komponenten des raffinierten Energiekonzepts sind allerdings für die Besucherinnen und Besucher kaum sichtbar. Die TABS bleiben verborgen in den Wänden, die Frischluft aus der Lüftung wird über Bodenlüftungsschlitze als Quellluft eingeblasen und über 75 cm dicke Zwischendecken und über das Dachgeschoss wieder abgezogen. Als einzige Installationen in den Ausstellungsräumen sind kleine, aus den Wänden stehende Sensoren zur Messung von Raumtemperatur und -feuchte sichtbar.
Laut Thomas Kessler, Projektleiter der Fachstelle Nachhaltiges Bauen des AHB, ist das Kernelement des Energiekonzepts die grosse, thermisch aktive Gebäudemasse, die einerseits als passiver Wärmepuffer fungiert und andererseits über TABS aktiv bewirtschaftet wird. Ein weiteres Schlüsselelement ist das Erdsondenfeld, das als Saisonspeicher im Sommer die überschüssige Wärme aufnimmt und im Winter wieder zurückgibt: Es funktioniert mit sehr kleinen Temperaturdifferenzen und ist damit äusserst energieeffizient.
Der Realitätscheck
Die Umsetzung eines Museums nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft gleicht einer Gratwanderung, da einerseits die Betriebsenergie möglichst tief gehalten werden soll, andererseits aber für die empfindlichen Exponate ein stabiles Klima mit nur wenigen Schwankungen unabdingbar ist. Als grösste klimatische Lasten gelten dabei die Besucherinnen und Besucher selbst – sie bringen hauptsächlich Wärme und Feuchtigkeit in die Ausstellungen (pro Besucher rund 100 W Wärme- und 40 g/h Feuchteabgabe).
Je höher die Besucherzahlen, desto mehr Aufwand also, um das erforderliche Klima aufrechtzuhalten. Ob die anfänglich gesetzten Ziele auch tatsächlich erreicht werden können, wurde vor Abschluss der Projektierung anhand von Plandaten überprüft. Wie sich damals zeigte, konnten die Vorgaben bezüglich Primärenergie gut eingehalten werden, so Kessler. Allerdings zeigte sich bei den Treibhausgasemissionen eine Überschreitung des Zielwerts um ca. 10 %. Um dies zu korrigieren, wurden der treibhausgasreduzierte Zement und LED-Technik für die Beleuchtung eingesetzt und der Entscheid zugunsten der Photovoltaikanlage auf dem Dach gefällt.
Eine erneute Zielwertüberprüfung nach weitgehender Fertigstellung des Bauwerks zeigte, dass die zuvor ergriffenen Massnahmen wirkten – auch der Zielwert bei den Treibhausgasemissionen konnte damit erreicht werden. Dafür waren aber hauptsächlich die Eigenstromerzeugung mittels Photovoltaik und die gewählte LED-Technik verantwortlich. Die mit der Wahl des treibhausgasreduzierten Zements erzielte Einsparung wurde durch einen höheren Gesamtmaterialaufwand (vor allem für die Fundation des Gebäudes) praktisch vollständig kompensiert.
Eine wesentliche Verbesserung liess sich abermals durch den Bezug zertifizierter Stromprodukte erzielen. «Die Vorgaben bezüglich Primärenergie waren gut einhaltbar, das Erreichen der Zielwerte bei den Treibhausgasemissionen erforderte aber einiges an Anstrengungen», fasst Kessler zusammen. «Die grosse Herausforderungen bezüglich der Treibhausgasemissionen liegen bei der Herstellung der Bauteile und -materialien. Dies, weil neben dem eingesetzten Recyclingbeton keine weiteren, treibhausgasoptimierten Baustoffe verfügbar waren oder massgebliche ökologische Vorteile erzielten.» Immerhin ist der Marmorboden österreichischer Provenienz, und der Kalkstein für die Fassade stammt aus der Region Basel.
Für das unmittelbare Monitoring in den ersten beiden Betriebsjahren ist vorgesehen, ein unabhängiges Ingenieurbüro mit der Erfolgskontrolle zu betrauen. In diesem Zeitraum findet ebenfalls die Feinjustierung der komplexen Gebäudetechnik statt. Danach wird das Energiemonitoring durch die Betriebsorganisation des Kunsthauses sichergestellt.
Ein Museum im doppelten Sinn
Der Erweiterungsbau bietet einerseits neuen Platz für die Kunst, andererseits ist er ein öffentliches Vorbild des nachhaltigen Bauens. Letzteres ist von zentraler Bedeutung für einen erfolgreichen Weg in die 2000-Watt-Gesellschaft. Denn wie die Stadt Zürich selbst in ihrer «Roadmap 2000-Watt-Gesellschaft» erkennt, ist ihr Einfluss auf gewisse Handlungsfelder sehr beschränkt. Das betrifft insbesondere den Konsum und die Mobilität – hier hat es jede und jeder Einzelne in der Hand, wie sich der ökologische Wandel gestaltet. Dennoch werden bislang Erfolge ausgewiesen: Die städtischen Gesamtbilanzdaten für das Jahr 2018 entsprechen den anvisierten Werten für das Jahr 2020 – die Zielwerte des Primärenergieverbrauchs sind gar übererfüllt.
Was so gesehen zwar gut klingt, wurde jedoch hauptsächlich mit einer «Ökologisierung» des Strommixes erreicht, die das Elektrizitätswerk Zürich über den Kauf von entsprechenden Zertifikaten bewerkstelligt hat – freilich fliesst aus der Steckdose praktisch derselbe Strom wie zuvor. Ausserdem werden in dieser Bilanz die graue Energie und die Emissionen, die für ausserhalb des Stadtgebiets produzierte, aber in der Stadt konsumierte Waren und Dienstleistungen aufgewendet werden, ausgeblendet. Fazit: Es braucht sowohl von privater wie auch von öffentlicher Seite noch deutlich mehr Effort als bislang, um die gesetzten Ziele als Gesellschaft effektiv zu erreichen.
Gut möglich also, dass das neue Kunsthaus-Ensemble mit der Erweiterung als Anschauungsobjekt für einen realisierten 2000-Watt-Bau zusätzlich zum kunstaffinen Publikum auch bau- und umweltinteressierte Besucher und Fachleute anzieht. Sie alle sind letztlich als Akteure gefordert.
Nachhaltigkeitsziele unter Druck
Gemäss Stadtzürcher Etappenziel der 2000-Watt-Gesellschaft sollen bis ins Jahr 2050 pro Person der Primärenergiebedarf auf 2500 Watt Dauerleistung und die Treibhausgasemissionen auf 1 t CO2-Äquivalente (pro Jahr) gesenkt werden. Das Merkblatt 2040 SIA-Effizienzpfad Energie bildet die planerische Grundlage zur Erreichung dieses Ziels im Gebäudebereich.
Zum Vergleich: Eine Dauerleistung von 2500 Watt respektive 2.5 Kilowatt (kW) ist gleichbedeutend mit einem täglichen Energiekonsum von 2.5 kW × 24 Stunden (h) = 60 kWh. Dies entspricht einer knapp 400 km langen Fahrt mit einem E-Golf oder 60 Stunden Staubsaugen bei einer Leistung von 1000 Watt. Eine Treibhausgasemission von 1 t CO2-Äquivalenten jährlich entspricht rund 7500 km Fahrt mit einem durchschnittlichen benzinbetriebenen Fahrzeug.
2019 hat der Bundesrat als Ausdruck erhöhter Dringlichkeit das Klimaziel 2050 («Netto-Null») beschlossen. Damit geraten die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft bezüglich Treibhausgasemissionen unter Druck; die Absenkungsziele müssen demnach verschärft und die Planungsinstrumente angepasst werden. Diese erhöhten Anforderungen stellen die Baubranche insbesondere punkto graue Energie vor eine praktisch unlösbare Aufgabe, die eigentlich nur mit einer konsequenten Weiter- und Wiederverwendung von Bauteilen gemeistert werden kann (vgl. «Mit dem SIA-Effizienzpfad in Richtung Netto-Null»).