«Der Nut­zer passt sich dem Haus an»

Instandsetzung Farelhaus, Biel

Fünf Bieler Architekten kauften im September 2015 das 1957–1959 von Max Schlup erbaute Farelhaus. So besonders wie der Bau, so ungewöhnlich ist das Konzept seiner Instandsetzung. Aktuell wird er schrittweise saniert – eine Geschichte von Mut, Fantasie und Verhältnismässigkeit.

Publikationsdatum
09-06-2017
Revision
14-06-2017

Es war ein Schlüsselwerk in seinem Schaffen: Mit dem Direktauftrag für den Bau des Farelhauses für die evangelisch-reformierte Gesamtkirchgemeinde Biel wandte sich der dort ansässige Architekt Max Schlup Ende der 1950er-Jahre weg vom Heimatstil hin zur Haltung der Solothurner Schule. Das Gebäude an prominenter Lage an der Schüsspromenade war in seiner Architektur ebenso visionär wie in seiner Nutzung: Curtain Wall, offener Innenhof und eine beeindruckende Transparenz im Erdgeschoss, dahinter ein multifunktionaler Kosmos aus Veranstaltungssaal, Bistro und Mehrzweckräumen. Die fünf Obergeschosse beherbergten Büros, Wohnungen und ein Mädchenheim.

Doch was vor rund sechs Jahrzehnten zukunftsträchtig war, ging über die Jahre im Alltag verloren. Umnutzungen und eine fehlende Gesamtkoordination für eine Instandsetzung setzten dem Bau zu – so weit, dass sich die Gemeinde mangels zeitgenössischem Nutzungskonzept und finanziellen Mitteln 2015 gezwungen sah, den Bau zu verkaufen. Das Raumangebot mit Restaurant und Saal in Kombination mit der anstehenden Sanierung barg aber viele finanzielle Risiken und war damit für klassische Investoren schlicht zu unattraktiv. Ein Glück war die Ausgangslage hingegen für die Bieler Architekten Stephan Buchhofer, Reto Mosimann, Simon Schudel, Oliver Schmid und Ivo Thalmann. Sie hatten be­reits Erfahrungen mit Schlups Bauten gesammelt, sei es in der Bauberatung des Heimatschutzes, bei der Mitarbeit an der 2013 erschienenen Schlup-Monografie1 oder bei der Instandsetzung von dessen Gebäuden.

Ihr Ansatz für die Sanierung (vgl. «Das Wunder von Biel», TEC21 11/2017) ist nicht modellhaft, aber vorbildlich: Er stellt die bestehende Struktur mit all ihren Qualitäten, aber auch Schwächen ins Zentrum und fokussiert nicht auf heutige Anforderungen an Nutzung und Komfort. Kann diese Grundhaltung auch nicht als universelles Rezept für einen gelungenen Umgang mit Bauten aus dieser Zeit propagiert werden, so zeigt das Beispiel Farelhaus doch, dass eine Herangehensweise frei von Ideologien, gepaart mit Risikobereitschaft und beschränkten ­Mitteln, der Bedeutung und Substanz eines derartigen Objekts durchaus gerecht werden kann. Die heutigen Nutzungen entsprechen dabei jenen von damals: ein bunter Mix aus Büros, Wohnungen, Bistro und dem Veranstaltungssaal. Im Gespräch erzählt das Team von der Gratwanderung zwischen architektonischer Wertschätzung und Wirtschaftlichkeit und von der Doppelrolle als Architekten und Investoren.

TEC21: Beim Farelhaus treten Sie gleichzeitig als Investoren, als Architekten und als Betreiber auf. Wie sind Sie organisiert?
Team Farel: Kauf und Sanierung haben wir selbst finanziert. Zunächst dachten wir, wir übernehmen das Haus, organisieren von Zeit zu Zeit einen Vortrag und füllen es wieder mit Büros. Aber bald merkten wir, dass das wahrscheinlich nicht reichen würde, um die Kirchgemeinde als Verkäuferin zu überzeugen – ein Haus zu renovieren ist eins, aber es mit Nutzungen zu belegen und zu betreiben ist eine ganz andere Sache und war für uns eine Herausforderung. Nebst der Konstituierung der Trägerschaft als AG gründeten wir einen kulturellen Beirat, daraus entstand später der von der Trägerschaft unabhängige Kulturverein. Die Trennung ermöglicht, dass die AG klassische Themen wie Rentabilität und langfristige Finanzierbarkeit verfolgen und so die Rahmenbedingungen für den Kulturverein schaffen kann.

TEC21: Nach dem Kaufentscheid hatten Sie kaum Planungszeit. Wie konnten Sie das als Team bewältigten?
Team Farel: Wir kennen uns schon lang. Gegenseitiges Vertrauen ist die Voraussetzung für ein solches Vorhaben. Für die Sanierung gab es anfangs zwei­wöchentliche Sitzungen mit uns allen. Wir haben aber schnell gemerkt, dass die Fäden irgendwo zusammenlaufen müssen. In diesem Fall wanderte die Verantwortung langsam zu Ivo Thalmann. Jeder im Team nimmt eine spezielle Rolle ein: Der eine ist der Aussenminister, kennt sich im Schlup-Archiv aus und war massgeblich an der Schlup-Monografie beteiligt. Ein anderer regelte die Finanzen, Mietverträge und das Baugesuch. Wiederum andere übernahmen spezifische Themen wie die Fassade oder den Brandschutz. Das ist der Vorteil eines Teams. Wir hätten es sonst nicht geschafft.

TEC21: In welchem Zustand fanden Sie den Bau vor?
Team Farel: Wir haben 40 Jahre Investition rückgebaut. Vor allem die Wohnungen waren in ziemlich schlechtem Zustand. Das hat mit der flachen Hierarchie der Kirchgemeinde zu tun: Jemand hatte eine Idee, brauchte einen Raum und renovierte ihn nach seinem Gusto. Was fehlte, war eine gesamthafte Koordination der individuellen Umbauten. Originale Bodenbeläge wurden mit diversen Materialien belegt, Backsteinwände teilweise gestrichen oder gar verputzt.

TEC21: Seit wann steht das Gebäude unter Denkmalschutz?
Team Farel: Erst seit der Sanierung. Vorher war es im Inventar als schützenswert eingetragen. Im Kanton Bern gibt es für Baudenkmäler die beiden Stufen «erhaltenswert» und «schützenswert». Bauten der ersten Kategorie sollen wegen ihrer ansprechenden architektonischen Qualität oder ihrer charakteristischen Eigenschaften geschont, jene der letzteren ungeschmälert bewahrt werden. Wenn saniert wird und die Denkmalpflege Beiträge spricht, gibt es ab 5 000 Franken einen Unterschutzstellungsvertrag. Die gesprochenen Beiträge sind an eine Begleitung der Sanierung durch die Denkmalpflege geknüpft.

TEC21: Inwieweit hat die Sanierung des Farelhauses den Denkmalschutz interessiert?
Team Farel: Sie war insofern von Interesse für die Denkmalpflege, als wir dafür finanzielle Unterstützung beantragt hatten. Inhaltlich waren wir in dieser Hinsicht gut aufgestellt: Nebst der Bearbeitung vieler im Inventar eingetragenen Bauten durch alle Beteiligten hatten spaceshop Architekten von 2008 bis 2010 die Eidgenössische Sportschule in Magglingen von Max Schlup saniert. 0815 Architekten hatten die Villa Favorita in Biel von 1861 saniert. Die Objekte wurden 2010 und 2012 mit dem Nationalen Denkmalpflegepreis ausgezeichnet. Die Eigentümerschaft hatte also grosses Vertrauen, dass der Bau bei uns in die rich­tigen Hände kommt. Dass das Farelhaus ein Schutz­objekt darstellt, ist in der Fachwelt unbestritten. Aber in der Politik wird alles infrage gestellt, was eine Einschränkung darstellen könnte – ein solches Gebäude braucht einen Mentor, sonst ist es weg.

TEC21: Was ist Ihr Sanierungskonzept?
Team Farel: Die wirtschaftliche Basis hat die Eingriffs­tiefe definiert, wobei sich dieser Ansatz auch mit unserer architektonischen Haltung deckt: möglichst bescheiden, bauschadenfrei und kostendeckend. Bescheidenheit beinhaltet ein stufenweises, situatives Vorgehen in Bezug auf die Substanz. Letztendlich ging es darum, diese zu erhalten. Dazu kommen der wirtschaftliche Aspekt und die Bauzeit von knapp einem halben Jahr: Hätten wir hier mehr Spielraum gehabt, hätten wir möglicherweise vieles anders gemacht. Hingegen gibt es Dinge, die man einfach in die Hand nehmen muss, zum Beispiel die Wasserinfiltrationen ins Untergeschoss. Und dann gibt es Risikoentscheide, wie die über 50-jährigen Installa­tionen oder die der 20-jährige Kessel der Heizung, die wir belassen haben. Als Investoren konnten wir bewusst Risiken in Kauf nehmen, die wir als Architekten im Auftrag einer Bauherrschaft vielleicht auch anders beurteilen würden. Für dieses Projekt war das eine grosse Chance.

TEC21: So zu denken erfordert eine neue Sicht der Dinge im Umgang mit einer derartigen Substanz.
Team Farel: Unsere Strategie war es, nicht zu viel zu machen. Wir gehen nicht von Idealen aus, sondern von dem, was unter diesen Umständen möglich ist. Und das darf man auch spüren. Der Nutzer passt sich dem Haus an, nicht umgekehrt. Es gibt Menschen, die sich in genau solchen Räumen wohlfühlen. Wir müssen diese Leute finden und nicht unsere Vorstellungen, die es auch gibt, auf alle Räume übertragen.

TEC21: Der energetische Aspekt ist bei einem Gebäude aus dieser Zeit durchaus ein Thema – gab es dazu Auf­lagen?
Team Farel: Bauten der 1950er- und 1960er-Jahre erfahren ja im Vergleich zu anderen historischen Bauten wenig Wertschätzung. Sie werden oft totsaniert oder verschwinden zugunsten von Ersatzbauten aus dem Stadtbild. Das liegt auch daran, dass man den Anspruch an die bestehende Substanz zu hoch ansetzt. Wir finden es fragwürdig, eine Sanierung durchzuführen, die gleichbedeutend mit einem Neubau ist – nur um eine Struktur zu erhalten, für die es heute nur bedingt eine Nachfrage gibt. Manchmal kann es auch zu einem Problem werden, wenn zu viel Geld da ist. Bei einem Altstadthaus ist jedem, auch einem Investor, klar, dass es gewisse Einschränkungen beim Komfort gibt. Da herrscht Konsens. Bei einem Gebäude aus den 1950er- oder 1960er-Jahren hat man dagegen das Gefühl, es sei ein modernes Haus, aber mit vielen Fehlern. Man vergleicht es mit einem zeitgenössischen Neubau. Dazu kommen die Standards der Behörden. Dort werden mittels Labels wie Minergie-P-Eco oder 2000-Watt-Gesellschaft politische Leitplanken gesetzt, sodass man als Planer oft nur noch wenig Spielraum hat.

TEC21: Wie ist der aktuelle Stand der Nutzung? Ist alles schon vermietet?
Team Farel: Alles, was fertig ist, ist vermietet. Wir haben mehr Nachfrage als Platz. Im zweiten und dritten Obergeschoss, dem ehemaligen Mädchenheim «Freundinnen junger Mädchen», haben wir mit der Sanierung noch nicht angefangen. Diese startet nach den Verhandlungen mit der zukünftigen Nutzerschaft im Frühsommer dieses Jahres. Hier soll eine Gemeinschaft mit unterschiedlichen Nutzern entstehen.

TEC21: In den Obergeschossen gibt es Büros neben Wohnungen, im Erdgeschoss liegt das Bistro, und im Saal finden Veranstaltungen statt. Führt das mit den Mietern zu Konflikten? Oder ist klar definiert: Wenn man hier wohnen oder arbeiten will, ist man mit der Art, wie das Haus genutzt wird, einverstanden?  
Team Farel: Das Multifunktionelle des Hauses wird geschätzt. In den Mietverträgen gibt es einen Passus «Besondere Bestimmungen zu den Räumen». Darin wird alles beschrieben – was dieses Haus ist und was diese Räume können und was nicht. Da gibt es den Satz: «Die Dichtigkeit der Gebäudehülle ist zeittypisch und entspricht dem Standard eines Gebäudes aus den 1950er-Jahren. Allfällige Beeinträchtigungen gehören zum Charme des Gebäudes.» Und unter «Nachbarschaft»: «Das Farelhaus verfügt über eine gemischte Nutzung mit Wohnungen, Büro, Atelier, Bistro und Saal für kulturelle Events. Die unterschiedlichen Nutzungen verlangen von allen Beteiligten Offenheit und Respekt im gegenseitigen Umgang.» So kann das Gebäude als Kulturgut erhalten und ein offener Geist gepflegt werden.

Anmerkung
1 Architekturforum Biel (Hg.): Max Schlup. Architekt, Niggli, Sulgen 2013.

Chronologie

1951 Die evangelisch-reformierte Gesamtkirchgemeinde Biel erhält als Nachlass eine Liegenschaft am Oberen Quai und erwirbt die Nachbarparzelle. Auf dem Gesamtgrundstück soll ein multifunktioneller Bau für die Aktivitäten der Gemeinde entstehen. 

1956 Direktauftrag an den Architekten Max Schlup

1957–1959 Bauzeit

September 2015 Unterzeichnung des Kaufvertrags durch das Team Farel

Ab April 2016 Übernahme der Liegenschaft und Planung der Instandsetzungsarbeiten

Ab Mai 2016 Instandsetzung Erdgeschoss sowie 1., 4. und 5. Obergeschosse mit Wiederinbetriebnahme des Bistros, Anpassungen im Saal, Sanierung der Flachdachabdichtung im Hof, Instandstellung der Fassade und Ersatz der Einfachverglasung im EG, Instandstellung der Sitzungszimmer und der Wohnungen

28. Oktober 2016 Eröffnung von Bistro und Saal

Aktuell Instandsetzung der 2. und 3. Obergeschosse


Team Farel
 

Reto Mosimann ist Architekt und Mitgründer von spaceshop Architekten in Biel. Seit 2013 ist er Vorstandsmitglied der BSA-Ortsgruppe Bern, seit 2015 lehrt er an der HTA Freiburg.  

Simon Schudel ist Architekt und gründete 2008 das Büro sim Architekten in Biel. Seit 2010 ist er Bauberater des Berner Heimatschutzes. 2016 gründete er die Bieler Freiraum Architekten mit.

Stephan Buchhofer ist Architekt und Mitgründer von Bart & Buchhofer Architekten in Biel. 2000–2007 war er Bauberater des Berner Heimatschutzes, seit 2013 unterrichtet er Architektur an der HTA Freiburg.

Valérie Feller, Erwachsenenbildnerin u. a., unterstützt die Farelhaus AG in der stra­tegischen Ausrichtung des Farelhauses und verantwortet das Organisationsmanagement und die Öffentlichkeitsarbeit.

Oliver Schmid ist Architekt und Mitgründer von 0815 Architekten in Biel. 2006–2010 war er Vorstandsmitglied der BSA-Ortsgrupppe Bern, 2010–2014 war er der dortige Obmann.

Ivo Thalmann ist Architekt und Mitgründer von 0815 Architekten in Biel. Von 2007 bis 2015 war er im Zentralvorstand des BSA, 2011–2016 lehrte er an der Hochschule für Technik und Architekur HTA Luzern. Seit 2002 ist er aktiv in der Bauberatung des Berner Heimatschutzes.


Nachkriegsmoderne in TEC21

TEC21 widmete sich bereits in der Vergangenheit der Sanierung von Bauten der Nachkriegsmoderne:

Farelhaus, Biel: Bernhard Furrer, «Das Wunder von Biel», TEC21 11/2017;
Siedlung Le Lignon, Genf: TEC21 24/2013 «Denkmal Curtain Wall»;
Sonderheft Umsicht – Regards –Sguardi 2013;
Gymnasium Strandboden, Biel: Jürg Graser, Patrick Thurston, «Kontroverse um Erneuerung», TEC21 42-43/2011.

Verwandte Beiträge