Ein Za­cken mehr auf der Berg­kro­ne

Landschaftsschutz am Bürgenstock

Die Reaktivierung des Bürgenstocks bedarf einer gewaltigen und ­risikoreichen Investition. Damit das neu dimensionierte Luxusresort weiterhin in die Landschaft passt, hat sich der Standortkanton Nidwalden um planerische und gestalterische Leitplanken bemüht.

Publikationsdatum
11-01-2018
Revision
11-01-2018

Viele Wege führen auf den Bürgenstock; fast nach Belieben sind auch Gefährt, Preisklasse oder Erlebniswert wählbar. Exklusiv und schnell geht es durch die Luft. Vor dem Historic-Hotel Honegg im Osten der Halbinsel wartet der offi­zielle Helikopterlandeplatz. Kurvenreich und häufig verstopft ist die Budgetvariante mit Pkw, Reisecar oder Postauto. Die 5 km lange Bürgenstockstrasse ab Stansstad endet aber direkt vor dem Eingangstor zum Wellness-Resort. Idyllisch, geruhsam und wie vor hundert Jahren reist man dagegen über den Vierwaldstättersee an: von Luzern nach Kehrsiten mit einem Kursschiff und von dort mit der Standseilbahn fast direkt an die Hotelrezeption.

Auch nach dem Grossumbau ist das Bürgenstock Resort öffentlich zugänglich. Und obwohl nun ein diversifiziertes Unterkunfts-, Residenz- und Erholungsangebot zusätzliche Gäste, Ausflügler und Teilzeitbewohner auf den Nidwaldner Hügelzug locken soll, ist die Erschliessung mit Ausnahme des abgehobenen Anflugs auf bereits vorhandenen Pfaden gebündelt. Mit höheren Frequenzen ist zu rechnen, denn nicht nur das Resort selbst, auch die landschaftliche Umgebung ist äusserst attraktiv. Die Insellage im Grünen, der unverbaubare Blick auf die innerschweizerische Seen- und Alpenlandschaft sowie die Inszenierung eines Hoteldorfs sind die lokalen Vorzüge, die der Bürgenstock seit jeher geschickt kombiniert.

Vor 150 Jahren begann die touristische Eroberung im Umfeld der populären Feriendestination Luzern. Im Sommer 1873 wurde ein Kurhaus auf der «Alp Tritt» oberhalb von Stansstad gebaut. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde daraus das Grand Hotel; bald krönten zwei weitere Belle-Epoque-Bauten den Bürgenstock (vgl. Kasten unten «Von der Belle Epoque in die touristische Neuzeit»). Die dreifach gezackte Krone auf dem Berggrat wurde im Lauf der Jahrzehnte zum Erkennungsmerkmal. Beim Blick über das Luzerner Seebecken auf das Alpenpanorama ist der Hotelberg besonders gut sichtbar.

Schonende und kohärente Einbettung

Das Resort erstreckt sich über 1.2 km der Hügelkrete entlang und umfasst eine dorfähnliche Bebauung mit drei Dutzend kleinen und grossen Gebäuden, von der Wetterstation über den Boutiquenpavillon bis zum Wellness-Komplex. Intern wurde die Nutzung verdichtet und räumlich umorganisiert: Hotellerie an der Hauptachse; Ferien- und Eigentumswohnungen an der Peripherie. Gleichzeitig ist die nutzbare, bebaute Fläche um das Sechsfache gestiegen. Die Weiterentwicklung der sechs Hektar grossen Erholungszone ist raumplanerisch ­koordiniert und im kantonalen Richtplan ausdrücklich erlaubt.

Da die steile Halbinsel zwischen Rigi und ­Pilatus aber mitten in einer Landschaft von nationaler Bedeutung liegt (BLN-Objekt Nr. 1606 «Vierwaldstätter­see mit Kernwald, Bürgenstock und Rigi»), sind auch kleinste Verände­rungen im Orts- und Landschaftsbild zu beachten. Die insgesamt acht Ersatz- und Ergänzungsbauwerke für das neue Resort wurden sowohl denkmalpflegerisch (vgl. «Alt und Neu, Gross und Klein im Wechselspiel») als auch hinsichtlich des Natur- und Landschaftsschutzes eingehend begutachtet. Der Kanton Nidwalden und die Standortgemeinden Stansstad und Ennetbürgen haben dazu ein Regelwerk entworfen1, damit das Gebaute die landschaftliche Umgebung nicht stärker als bisher dominiert.

Zum einen präzisieren der vorgängig erstellte Gestaltungsplan und die ergänzenden Sonderbauvorschriften, wie die einzelnen baulichen Eingriffe landschaftsschonend einzubetten sind. Zum anderen bemühte sich die Behörde darum, einer Zerstückelung des Ensembles und des gestalterischen Zusammenhangs zwischen Promenade, Hotelpark und Aussenraum entgegenzutreten. Wesentlich ist auch, dass der kurz vor dem Abschluss stehende Ausbau fast vollständig auf bereits überbauten Parzellen stattfindet und das Gesamtareal räumlich nur geringfügig erweitert wurde.

Die von Norden gut einsehbare Silhouette hat sich dennoch verändert; die vertraute Krone hat einen Zacken zugelegt: Das Bürgenstock Hotel mit Bahnstation im Sockel und Spa-­Bereich daneben markiert nun die neue Mitte. Etwas unterhalb haben drei massige Baukörper, Wohnresidenzen mit Blick auf den Vierwaldstättersee (Stücheli Architekten), drei kleinere Baukörper ersetzt.

Die Neubauten im Wahrnehmungsfeld der exponierten Krete haben jedoch strenge geometrische und gestalterische Regeln einzuhalten: Höhe und Breite waren definiert. Und auch Materialisierung, Struktur und Farbe wurden für jede Aussichtsfassade eingehend programmiert, damit das Neue nicht blendet, sondern die klassizistische Historie respektiert. Eine ad hoc gebildete Ortsbildkommission besuchte mit Architekturteams sogar Steinbrüche, um die bestverträgliche Erscheinung für den Blick aus der Ferne zu bestimmen. Die Wahl fiel auf dunklen Naturstein, der dem orts­typischen Schrattenkalk ähnlich ist und nicht mit der hellen Oberfläche der Gründerbauten konkurriert.

Das Waldhotel (Architektur: Matteo Thun) am Südhang soll sich dereinst mit begrünter Hauptfront in die bewaldete Umgebung einbetten. Das Hotel wird Anfang 2018 eröffnet.

Fühler in die Landschaft

Der landschaftliche Charakter am Bürgenstock ist eine kleinräumige Kombination aus gebauter Tourismus­infrastruktur und naturnaher Kulisse. Nordwestlich fallen die Flanken steil zum Vierwaldstättersee ab; das karstige Waldreservat ist nur auf wenigen Pfaden begehbar. Mittendurch führen die Standseilbahn und eine Druckwasserleitung für die Energieversorgung (vgl. «Aus Hotel- werden Energie­pioniere»); Letztere ist nach der Erneuerung grün angestrichen worden, um das Landschaftsbild auch hier zu schonen. Im Süden und Osten grenzt das Resort an eine landwirtschaftlich genutzte Mulde und an ein Naherholungs- und Wander­gebiet. Bereits die früheren Hotelbesitzer streckten die Fühler hierhin aus: Felsenweg und Hammetschwand-Lift (vgl. «Fachwerk vor Steilwand») laden zum spektaku­lären Flanieren über dem See. In Fussdistanz ­liegen Golfplatz und Hotel Honegg, die gemäss den Erfordernissen einer Luxusdestination dezent ausgebaut worden sind.

Der Erholungs-, Ausflugs- und Residenzstandort ist aber nicht nur Aussichtsbühne für den Blick in die Alpen. Die Promenade will den Gästen aus aller Welt auch kleinräumig eine wohlgeordnete, wirkungsvoll inszenierte, alpine Atmosphäre vermitteln. Der jüngsten Reaktivierung sind zwar Laubengänge und Parkflächen zum Opfer gefallen. Im Gegenzug sind jedoch andere Attraktionen wie eine Hängebrücke oder die Verkehrs­beruhigung der Promenade geschaffen worden.
Die Kantonsbehörde gab nicht nur für die Hotelbauten, sondern auch den Landschaftsarchitekten einen verbindlichen übergeordneten Gestaltungsraster vor. Dieser beruht auf Bestandsaufnahmen, die 2008 in Angriff genommen worden sind. Damals wurde der historische, dramaturgisch aufgebaute Landschaftspark inventarisiert und ein Pflegekonzept formuliert. Die Fachstellen haben diese Grundlagen nun dazu genutzt, die Anlage als ein zusammenhängendes Ganzes zu wahren und die aufparzellierten Bebauungsprojekte gestalterisch miteinander zu verbinden. «Das Fünf-Sterne-Resort verdient einen ebenso hochwertigen Aussenraum», sagt Felix Omlin, Leiter der Natur- und Landschaftsschutzfachstelle Nidwalden.

Bäume und Felsen als Standortmerkmale

Zwar sind schützenswerte Naturelemente und Biotope spärlich vertreten. Zur Verbesserung der Standortökologie wurde mit den Hotelgärtnern aber vereinbart, eine blumenreiche Trockenwiese anzulegen sowie wuchernde, invasive Neophyten rund um die Hotels zu vernichten. Derweil galt es, typische Flanier- und Parkelemente vor einem undifferenzierten Redesign zu retten. Lärchen, Zedern, Schwarzföhren und Blutbuchen sind an sich standortfremd; die teilweise über 100 Jahre alten Bäume bleiben aber, ebenso wie einzelne Fels­blöcke, als Zeugen der historischen Parkanlage weiterhin sichtbar. Besonders die Geologie, ein Mix aus schroffen Abbruchstellen und geschliffenen Felsplatten mit hellem bis dunklem Kalk, trägt viel zur alpinen Lokal­szenerie bei. Die meisten Neubauten sind deshalb thematisch passend mit Natursteinfassaden eingekleidet. Auch zur Hangsicherung und Abdeckung von Stütz­mauern wurde lokales Ausbruchmaterial verwendet.

Ein zusätzliches Anliegen in der Gestaltungsbegleitung war, Baumgruppen und Sträucher direkt neben den Grossbauten stehen zu lassen. Zwar schränken sie die Aussicht der Hotelgäste ein; sie sind aber Teil des charakteristischen Landschaftsbilds und wirken als eine naturnahe, halboffene Trennlinie am Siedlungsrand. Dahinter verbirgt sich auch die neue Servicestrasse. Noch eine klaffende Leerstelle ist dagegen der Platz unterhalb des Parkhotels; das darin vorgesehene Kongresszentrum wird vorerst nicht gebaut.

Kritik der Heimatschutzkommission

Die baulichen Veränderungen, die landschaftliche Einbettung und das planerische Vorgehen werden als schonend und angemessen anerkannt. Weder ist die übergeordnete Vorarbeit der Ämter und Gemeinden auf grundsätzliche Opposition gestossen, noch haben einzelne Baugesuche Einsprachen provoziert. Die Verhandlung zwischen Investoren und Behörde begannen vor rund zehn Jahren; während des Planungsverfahrens wechselte die Eigentümerschaft. Lokale und nationale Schutzorganisationen wurden vom neuen Besitzer frühzeitig informiert und regelmässig zu Aussprachen eingeladen.

Im Nachgang loben Hotelbetreiber, Behörde und Landschaftsschutzkreise den offenen Dialog. ­Öffentliche Kritik äusserte zwischenzeitlich die eidge­nössische Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK). Sie war nicht immer aus erster Hand informiert und beklagte sich bei der Nidwaldner Kantonsregierung, ihre Empfehlungen würden ignoriert. Unter anderem wollte die ENHK die Tennisplätze erhalten und Eingriffe in historische Hotelbauten einschränken.

Dass der Investor das Vorhaben möglichst als Ganzes realisieren wollte, bezeichnet Natur- und Landschaftsschutz-Fachstellenleiter Omlin eher als Vorteil, weil die gestalterischen Qualitäten so einfacher optimiert und vereinheitlicht werden können. Allerdings stieg dadurch das Abhängigkeitsrisiko: Hätte sich der Geldgeber aufgrund einer globalen Finanzkrise zurückgezogen, wären brachiale Spuren in der Landschaft sichtbar geblieben. Über Monate war der Bürgenstock eine riesige Baustelle mit abgeräumten Hotels und tiefen Löchern im Fels. Der Kanton empfahl den Gemeinden daher, eine Bürgschaft einzufordern.

Nun ist aber der Plan aufgegangen und das mondäne Hoteldorf erneuert auferstanden. Als landschaftsverträglich darf dabei bezeichnet werden, dass sich selbst die Neubauten nicht allzusehr und, wenn überhaupt, nur aus der Nähe in den Vordergrund drängen. Dass die bestehenden Baugrenzen belassen wurden und eine Verdichtung nach innen bevorzugt wurde, trägt ebenso viel zur entspannten Wirkung des Bürgenstock Resorts auf die landschaftliche Umgebung bei.

Anmerkung
1 Umweltverträglichkeitsbericht zum Gestaltungsplanverfahren (Gebietsabschnitte II und III); Kt. Nidwalden, Gden. Stansstad, Ennetbürgen 2013.


Von der Belle Epoque in die touristische Neuzeit

Bürgenstock und Rigi stehen sich, getrennt vom mittleren Becken des Vierwaldstättersees, direkt gegenüber. Die beiden Zentralschweizer Berge wurden fast gleichzeitig bereits 1870 von Tourismuspromotoren entdeckt und mit Bergbahnen erschlossen. Prächtige Belle-­Epoque-Hotels gehörten schon bald zur typischen Berg­kulisse. Unter anderen war Heinrich Meili-Wipf Architekt des Palace Hotels auf dem Bürgenstock; sein Sohn Armin Meili gilt als Mit­begründer der Raumplanung in der Schweiz. Seit der Gründerzeit haben sich die beiden Destinationen ­Bürgenstock und Rigi (vgl. TEC21 16/2015) jedoch gegensätzlich entwickelt. So hat der nationale Heimatschutz, unter Mithilfe von Armin Meili, wesentlich dazu beigetragen, dass nach den Kriegsjahren leer­ stehende, die «Berge verschandelnde» Hotelkästen abgerissen wurden2. Auf der Rigi wurden die meisten Bauten geräumt; auf dem Bürgenstock hingegen empfand man sie nicht als störend, und so blieben sie nicht nur er­halten, sondern wurden weiter genutzt und ausgebaut.

Die jüngste Investition haben wirtschaftliche Hoffnungen in der Region geweckt. Das Hotelresort ist nun der zweitgrösste Arbeitgeber im Halbkanton Nidwalden. Die regionalen Tourismusorganisationen begrüssen das Engagement der Katara Hospitality. Weil Fünf-Sterne-Hotels in der Zentralschweiz im landes­weiten Vergleich eher untervertreten sind, fürchtet man sich vorerst noch nicht vor der neuen Konkurrenz. ­Ausserdem soll eine touristische Angebotsvielfalt die saisonale Nachfrage ausgleichen, auch mithilfe von Spezialitäten: So wird auf dem Bürgenstock, als eine Art Renaissance für die alpine Ferienlandschaft, ein ­Healthcare-Hotel eröffnet. Dieses Marktsegment be­urteilen Tourismusfachleute als aussichtsreich, die Nachfrage schwankt weniger als bei saisonalen An­ge­boten. Primäres Zielpublikum sind Privatpatienten; der Kanton Nidwalden hat die Reha-Klinik auf die ­Spitalliste aufgenommen, sodass auch öffentlich ver­sicherte Patienten stationär behandelt werden dürfen.

Im Vergleich dazu wandelt sich die Rigi zur Massen- und Eventdestination, deren Zielpublikum im Grossraum Zürich und Mittelland wohnt. Aktuell wird in neue Bahnen investiert und ein Masterplan zum «Ausbau des Erlebnisraums» diskutiert. Landschaftsschützer werfen den Bahnbetreibern aber eine «Disneyisierung» vor und wollen bei der Umsetzung der Pläne mitreden. (Paul Knüsel)

Anmerkung
2 Armin Meili, Bauliche Sanierung von Hotels und Kurorten, Verlag für Architektur, 1945.

 

Verwandte Beiträge