Ge­wer­be­haus «Nœrd», Zü­rich Oer­li­kon

Umsicht – Regards – Sguardi 2013

In sechs Wochen verleiht der SIA die Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi 2017». Bis dahin präsentiert espazium.ch wöchentlich einen Gewinner der vorigen Auslobung. Diese Woche: das Gewerbehaus Noerd in Zürich Oerlikon.

Publikationsdatum
15-02-2017
Revision
15-02-2017

Am Anfang stand die Suche des in der Stadt Zürich verwurzelten Taschenherstellers Freitag nach einem neuen Produktionsstandort. Der Wunsch, ein altes, leer stehendes Gewerbegebäude zu beziehen, erwies sich schnell als unrealistisch. Man wurde schlicht nicht fündig. Die hohen Ansprüche der kreativen Unternehmer an das eigene Arbeitsumfeld mussten anderweitig erfüllt werden. Die Idee eines Neubaus, eines Gewerbehauses «der anderen Art», war geboren. 

Für das «Nœrd» – der Name ist eine Kontamination aus «Neu-Oerlikon» und «Nerd» – erarbeiteten Bauherrschaft, Investoren und Architekten ein nachhaltiges Gebäudekonzept und machten dieses bis ins Detail zum Thema der Architektur. Mit zwei weiteren Ankermietern neben Freitag konnte das finanzielle Risiko minimiert werden. 

Nicht das Erreichen von Umweltlabels stand bei der Planung im Vordergrund, sondern ein Gebäude, das sich am SIA-Effizienzpfad Energie orientiert und gesamtenergetisch überzeugt, auf die zuvor definierten Ansprüche und Bedürfnisse der Benutzer eingeht und die Gegebenheiten des Orts berücksichtigt. So überrascht das aus Sichtbeton, Holz und Glas erstellte Gewerbe- und Produktionsgebäude – prima vista nicht besonders nachhaltig – bei genauerem Hinsehen durch facettenreiche, wohldurchdachte und unkonventionelle Massnahmen.

Die hochflexible Grundstruktur des «kultivierten Rohbaus» ist aus Recyclingbeton erstellt und mit Holzleichtbauelementen bekleidet. Gebäudetechnik und Innenausbau sind auf Low-Tech-Niveau gehalten. Alle Materialien sind roh und von hoher haptischer und ästhetischer Qualität. Mit einer minimalen Tragstruktur stellt das «Nœrd» maximal flexiblen Raum zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung. Im spartanischen Grundausbau konnten die Mieter den nötigen Innenausbau selber gestalten. Eine weitsichtig durchdachte Systemtrennung ermöglicht jederzeit einen flexiblen Um- und Rückbau, auch ein Umbau in ein Wohnhaus wäre machbar. 

Nicht zuletzt dank dieser Massnahmen gelang es, in der Stadt Zürich mit 210 Fr. pro m2 
vergleichsweise niedrige Mieten für die bis zu sieben Meter hohen Räume anzubieten. Zu Recht bezeichnen Architekt und Bauherrschaft die Rauheit des Rohbaus als zukunftsfähig.

Auch die soziale Nachhaltigkeit des neuen Kreativ-Clusters war ein zentraler Entwurfsparameter. Weitere Kleinbetriebe aus der Kreativbranche gewährleisten ein anregendes Umfeld. Heute sind rund 25 Firmen mit etwa 300 Mitarbeitern im «Nœrd» ansässig. Eine Dachkantine, die von den Mietern in Eigenregie betrieben wird, steht neben den Mitarbeitenden der verschiedenen Firmen auch den Menschen aus dem Quartier offen und wird von diesen rege frequentiert. 

Auf der ehemaligen Industriebrache steht heute ein Gewerbehaus, das positiv und inspirierend in das angrenzende Quartier ausstrahlt. Auch konnte das letzte Fragment des Zürcher Stierenrieds, ein Teil feuchten Wieslands, in das Freiraumkonzept eingebunden und so erhalten werden. Ein Dachgarten, eine urbane Version eines seltenen Auenlebensraums, bietet den Mitarbeitenden ein kleines Pausenhabitat. 

Im «Nœrd» sind kreative Stimmung und guter sozialer Austausch spür- und erlebbar. Das 2011 fertiggestellte Haus strahlt eine fröhliche und optimistische Grundstimmung aus. Es wirkt bereits heute fast so, als ob es schon immer da gewesen wäre. (Text: Michael Mathis)

Mit «Umsicht – Regards – Sguardi» zeichnet der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA «umsichtig» ausgeführte Werke, Produkte und Instrumente unterschiedlicher Art und Grössenordnung aus, die sich exemplarisch mit unserer Umwelt auseinandersetzen und in besonderer Weise zu einer zukunftsfähigen Gestaltung des Lebensraumes Schweiz beitragen. Die Preisverleihung findet am 22. März 2017 im Landesmuseum Zürich statt. Weitere Infos: www.sia.ch/umsicht

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