My home is my castle
Wohnhaus in Uster
Im Zellweger Park Uster haben Herzog & de Meuron ein innovatives Gebäude mit Mietwohnungen erstellt. Doch nicht alle Neuerungen zielen in eine erstrebenswerte Richtung.
Der Zellweger Park in Uster beherbergte einst die Industriehallen der Zellweger Luwa AG. Heute wird das ehemalige Industrieareal zu einem lebendigen Wohn- und Arbeitsquartier umgebaut. Die Grundlage dafür bildet das in einem städtebaulichen Ideenwettbewerb gewählte Projekt von EM2N Architekten mit Schweingruber Zulauf Landschaftsarchitekten. Herzog & de Meuron realisierten auf dem Areal neben dem Herterweiher den Neubau eines Wohnhauses, der mit seiner Gestaltung und seinem Erschliessungskonzept ungewohnte Wege geht.
Das Gebäude, das 4 ½- und 5 ½-Zimmer-Mietwohnungen im mittleren Segment bereitstellt, ist im Park der ehemaligen Industrieweiher eine merkwürdige Erscheinung. Ein im Grunde würfelförmiges Volumen aus rohem Beton steht verdreht zur Bebauung der Umgebung. Das unterstreicht seine Autonomie und bewirkt gleichzeitig, dass es trotz seiner Grösse den Park erstaunlich wenig tangiert. Der wichtige Bezug der Weiher zum Aabach bleibt offen, und der filigrane Wasserpavillon von Roland Rohn behält, geschützt durch eine alte Baumgruppe, genügend Raum.
Die Betonschale des Neubaus ist stark durchfenstert – gerade so, dass die identisch dimensionierten Horizontalen und Vertikalen als Reste der Mantelfläche wahrgenommen werden und nicht als Skelett. An jeder Ecke des Würfels befindet sich ein rundes Anhängsel, das als Eckturm erscheint, obwohl es nicht bis zum Boden reicht, sondern nur bis zu den Spitzen der Wiese.
Unweigerlich wird man an eine Festung erinnert, zumal der Eingang an verborgener Stelle liegt, dem benachbarten Gewerbebau zugewandt. So ergibt sich ein eher abweisender Ausdruck trotz den riesigen Fenstern. Diese erinnern an einen Industriebau und damit an die ursprüngliche Nutzung des Areals. Die Lattenzäune in den Ecktürmen wirken provisorisch, als hätten sie sich aus einem Schrebergarten hierher verirrt. Gleichzeitig sind sie offensichtlich ein integraler Bestandteil der Architektur, da sie exakt auf der Höhe der Fensterkämpfer enden, als gesetzeskonforme Absturzsicherung.
Die Küche im Zentrum
Das Wesentliche, das wird offensichtlich, geschieht hier innerhalb der Betonschale. Der Vierspänner besitzt kein zentrales Treppenhaus, dafür vier Fluchttreppen in den aussenliegenden «Ecktürmen». Die ähnlich geschnittenen Wohnungen werden unmittelbar von den beiden zentralen Aufzügen aus erschlossen. An die Stelle einer gemeinschaftlichen Treppenhalle tritt als Ankunftsort je ein privates Entree innerhalb der jeweiligen Wohnung. Aus diesem dunklen Bereich im Kern des Hauses gelangt man schrittweise ins Helle, eine Bewegung, die auf den Balkonen ihren Abschluss und Höhepunkt findet. Hier tritt man aus dem Würfel in den Park hinaus und gewinnt so einen völlig anderen Bezug zur Umgebung als im Innern.
Ihren Rückhalt finden die Wohnungen in ihrer Küche. Diese bildet das Zentrum, um das herum sich die Räume der Fassade entlang aufreihen. Herzog & de Meuron realisieren hier eine Art Dielentypus und legen dabei die Küche in die Diele. Das ist ungewohnt und mutet doch geradezu archaisch an: Man erinnert sich an Bauernhausküchen, vielleicht sogar an Gottfried Sempers Theorie vom Herd als dem Wesenskern des Hauses. Von einer offenen Küche mag man dabei, zumal in den grösseren Wohnungen, nicht sprechen. Das Kochen wird hier, anders als so oft in jüngster Vergangenheit, nicht ausgestellt. Es findet vielmehr einen wohldefinierten räumlichen Rahmen – und ist doch der Angelpunkt der Wohnung.
Die Wohnungen orientiert sich jeweils übereck, wobei die Exposition weitgehend ignoriert wird. Als Folge haben sie, trotz ähnlichem Grundriss, eine höchst unterschiedliche Qualität. Die nördliche dürfte, zumal in den unteren Geschossen, kaum je Sonne erhaschen. Im Osten steht zudem der benachbarte Gewerbebau so nah, dass man sich, mit einer intimen Beziehung von grossem Fenster zu grossem Fenster, eher in einem allzu engen Hinterhof wähnt als in einem Park. Der schöne Aussenraum im «Eckturm» vermag dies nicht zu kompensieren.
Expressive Fluchttreppen
Die Konsequenz und die enorme Qualität des architektonischen Handwerks, die sich im Bau zeigen, sind bewundernswert. Durchgehende Parkettböden und Betondecken sowie raumhohe Türen binden die Räume trotz Kammerung zu einer Einheit zusammen. Rollläden betonen, schräg in die Laibungen gelegt, die Tiefe der massiven Betonschale. Die Gestaltung der Details ist von der kunstvollen Führung der Leitungen in der Tiefgarage bis hin zu den Korkstopfen in den Elektroaussparungen der Wohnungsdecken ebenso einfach in ihren Mitteln wie sorgfältig und wirkungsvoll.
Die Aussenräume sind so an den Baukörper angeschlossen, dass sie einen engen Bezug zur zugehörigen Wohnung haben, während die Sicht von und zu den Nachbarn im Haus gut abgeschirmt bleibt. Man tritt hinaus in eine Art privates Gärtchen, aus dem man in die eigene Wohnung zurückblicken kann. Dieser Effekt wird verstärkt durch die hohen Lattenzäune vor den niedrigen Betonbrüstungen. Diese Intervention des Künstlers Erik Steinbrecher wäre einen eigenen Text wert. Hier sei nur auf die Orientierung der Zäune aufmerksam gemacht. Während dem Kleingartenbesitzer der Anstand gebietet, die schöne Seite nach aussen zu kehren, richtet sich diese hier nach innen. Als Folge gewinnt man den Eindruck, der Park müsse vor den Hausbewohnern geschützt werden.
Den eigentlichen Höhepunkt erreicht das Gebäude in den Wendeltreppen. Massiv in Beton gegossen, von Kernbohrungen durchdrungen, mit dünnen Blechen und silbern glänzenden Elektroinstallationen ergänzt, gewinnen diese begehbaren Plastiken eine expressive Kraft – nicht trotz, sondern gerade dank der groben Machart.1 Dabei spielen die Plastizität der Treppe im Innern und der starre Raster der äusseren Schale wirkungsvoll zusammen.
Es drängt sich jedoch die Frage nach der Angemessenheit auf. Ist es sinnvoll, den räumlichen Höhepunkt und den grossen baulichen und ökonomischen Aufwand in die Fluchttreppen zu legen, die im Sinn des Brandschutzes «überbreit und repräsentativ» ausgeführt sind2, obwohl sie gänzlich aus dem Funktionszusammenhang des Hauses ausgegliedert bleiben?
Splendid Isolation
Damit kommen wir zum Wesenskern des Gebäudes zurück. Von der Stellung und Ausgestaltung des Baukörpers über die Art der Erschliessung und die zentripetale Organisation der Wohnungen bis hin zur Anlage der Aussenräume erweist es sich als konsequent durchdachte Maschine der Dissoziation.
Insbesondere die Erschliessung ist als effektives Instrument der Vereinzelung ausgestaltet. Der Aufzug als Nicht-Ort, der das Individuum auf sich selbst zurückwirft und ähnlich einer Dunkelblende die Kontinuität unterbricht, ist ein bekannter Topos. Besonders in Filmen wird er immer wieder aufgegriffen, und die fast ebenso verbreiteten Wunsch- oder Angstfantasien zu Übergriffen in der blockierten Kabine, durch die sich die Lücke in Raum und Zeit unerwartet ausdehnt, sind nur die Kehrseite dieser Medaille.
Gewiss: In diesem Gebäude gibt es ergänzend zum Aufzug eine Eingangshalle, die mit Kunst aus der Sammlung Bechtler und einer Sitzbank ausgestattet ist. Aber liegt der eigentliche Zugang nicht eher im Untergrund, in der hochwertig gestalteten Tiefgarage? Oder da, wo das Auto wie durch Zauberhand vom Erdboden verschwindet, nachdem sich in der Stirnseite eines vermeintlichen Schuppens für kurze Zeit eine Tapetentüre geöffnet hatte, weit weg vom Gebäude? Diese Camouflage ist eines James Bond (oder eines Ernst Stavro Blofeld) würdig.
Das Gebäude steht isoliert in seiner Umgebung, als Objekt, vergleichbar dem Würfel von Sol LeWitt auf der anderen Seite der Teiche. So fügt es sich gut in die Sammlung von Kunstwerken ein, mit denen der Zellweger Park bestückt ist. Als Architektur jedoch passt es weniger gut in seinen Kontext. Als Wohnungsbau mit familiengerechten Mietwohnungen ist es auch Gestaltung des Alltags und setzt ein starkes Statement für die Individualisierung und gegen die Kultur der Nachbarschaft und des Zusammenlebens. Da aber Urbanität Bezugnahme und Zusammenleben bedeutet, ist es letztlich auch ein Statement gegen die Stadt – da mag das Volumen noch so gut in seine Umgebung eingefügt sein.
Dies passt schlecht zur sozial verantwortlichen Haltung, die die Bauherrschaft immer wieder zum Ausdruck bringt, und es passt schlecht zum Zellweger Park, der sich gerade durch seine Öffnung und einen vielfältigen Zusammenschluss mit der Stadt auszeichnet.3 Die anderen Bauten, die bisher auf der Basis des städtebaulichen Plans von EM2N gebaut worden sind, haben diese Idee aufgegriffen. Mit halböffentlichen Räumen gestalten sie die Übergänge zwischen Gebäude und Park.
Die Zeile von Morger + Dettli tut dies mit einem offenen Erdgeschoss, die Anlage von Gigon/Guyer mit einem Hof.4 Das Gebäude von Herzog & de Meuron dagegen genügt sich selbst in «Splendid Isolation», als wollte es nichts mit seiner Umgebung zu tun haben – es sei denn, um von ihr zu profitieren.
Anmerkungen
1 Ausser bei der Eingangshalle wurde für alle Bauteile der Schalungstyp 2.1 verwendet. Für die gekurvten Elemente kam eine Trapezträger-Rundschalung zur Anwendung (Firma Paschal). Für die Spindeln der Wendeltreppen hat der Baumeister eine spezielle Schalung aus Holz (mit Phenolharz-Schalungsplatten) gebaut. Der Bau ist als Massivbau mit tragenden Innenwänden und innengedämmter Aussenschale ausgeführt.
2 Die Masse entsprechen den Minimalmassen, nach denen gewendelte Treppen «für überbreite, repräsentative Aufgänge» bewilligt werden können (Brandschutzrichtlinie der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen, Art. 3.5.2, Absatz 2 und zugehöriger Anhang).
3 www.zellweger-park.ch/de/zellweger-park/vision.html
4 Vgl. werk, bauen + wohnen 9-2014.
Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft
Cristina Bechtler, Schweiz
Architektur
Herzog & de Meuron Architekten AG
Bauleitung
B+P Baurealisation AG
HLKS-Planung
Waldhauser + Hermann AG, Münchenstein
Elektroplanung
Pro Engineering AG
Landschaftsarchitektur
Hager Partner AG
Sanitärplanung
BLM Haustechnik AG
Tragwerksplanung
Schnetzer Puskas Ingenieure AG, Zürich
Bauphysik
Zimmermann + Leuthe GmbH
Experte für Fledermäuse
Dr. Hans-Peter Stutz, Zürich