See­fahrt auf dem Tro­cke­nen

Maritime Museum Helsingør

Der Wettbewerb für den neuen Standort des Meeresmuseum in Helsingør war eine Herausforderung: Die Direktorin wollte etwas ­«Spektakuläres», die Unesco hingegen nichts, das höher ist als ein Meter. Das Büro von Bjarke Ingels gewann 2007 mit der Illusion einer Seefahrt.

Publikationsdatum
07-05-2014
Revision
18-10-2015

Seit Shakespeares Zeiten ist die dänische Kleinstadt Helsingør bekannt als Ort blutiger Königsdramen. In Schloss Kronborg, das majestätisch vor Helsingørs Küste aufragt, liess der Dichter seine Tragödie um den Dänenprinzen Hamlet spielen, und folgerichtig wurde die 1574 errichtete Anlage, eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Dänemarks, von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. Damit sah sich das Dänische Meeresmuseum, das bislang in dem Schloss beherbergt war, plötzlich mit einem Problem konfrontiert: Da die Welterbe-Statuten einen möglichst originalgetreuen Zustand der ausgezeichneten Denkmäler verlangen, musste sich die Museumsdirektion kurzerhand nach einem neuen Ausstellungsort umsehen. 

Camilla Mordhorst, Direktorin ohne Museum, hielt damals weltweit Ausschau nach geeigneten baulichen Vorbildern. Heute schildert sie, dass sie sich von den nostalgischen Sehnsüchten traditioneller Schifffahrtsmuseen distanzieren wollte, die das Museumsgebäude mit einer Schatztruhe für Seefahrerrelikte verwechseln. 

Mordhorst setzte dagegen auf ein «spektakuläres» Museum. Und so gab es vor sieben Jahren einen hochkarätigen Wettbewerb, aus dem der junge Kopenhagener Architekt Bjarke Ingels, der gerade erst sein eigenes Büro BIG gegründete hatte, als Sieger hervorging. Ingels überzeugte die Jury mit dem originellsten, aber auch mit dem aufwendigsten und teuersten Entwurf.

Fest verankert 

Die eigentlichen Schwierigkeiten für BIG begannen, nachdem der neue Standort fürs Museum gefunden war. Als Grundstück stand ausgerechnet ein ehemaliges Trockendock am Hafen bereit, mit atemberaubendem Blick auf Schloss Kronborg. Damit verbot sich ein Hochbau, denn die UNESCO schrieb eine maximale Gebäudehöhe von nur einem Meter vor. «Wir waren also gezwungen, unter die Erde zu gehen», sagte Bjarke Ingels, «jedoch besteht in einer Tiefe von zehn Metern das Risiko, dass das Gebäude einfach davonschwimmt. Deswegen gaben wir uns grösste Mühe, das Bauwerk fest zu verankern.» Ein Trockendock zu bebauen galt selbst in der Seefahrernation Dänemark als Pionierleistung, denn es fehlten Erfahrungen mit vergleichbaren konstruktionstechnischen Herausforderungen. Um Risiken auszuschalten, wurde der begehbare Grund mit 416 Bohrpfählen verankert, die 30m in die Tiefe reichen und aus dem Boden des Trockendocks herausragen. 

Mit dieser Massnahme waren aber noch nicht sämtliche Gefahren gebannt. «Es gab», erinnert sich Bjarke Ingels, «einen grossen Druck auf die Seitenwände des Trockendocks, wodurch die Stabilität des Bauwerks stark gefährdet war. Deswegen errichteten wir rings um das Trockendock einen zweiten Schutzwall, der den Aussendruck erheblich verminderte.» Erst nachdem diese Schutzvorrichtungen abgeschlossen waren, konnte innerhalb der gesicherten Zone mit dem Museumsbau begonnen werden. 

Auf hoher See 

Nun galt es, die Potenziale des Trockendocks voll auszuschöpfen: Die Architektur des Maritime Museum of Denmark sollte den Besuchern das Gefühl vermitteln, sich an Bord eines Schiffs zu begeben und eine Seefahrt zu starten. Für diese Illusion sorgen bereits die massiven Betonwände des 150m langen und 25m breiten Docks, die sichtbar gelassen wurden. Ebenso der 2.5m dicke Boden, der für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden kann, zu dem zwei markante Treppen vom Stadtraum hinabführen. Betonwände und -boden sind Teil der Museumsarchitektur, die den Besucher mit einer unerwarteten atmosphärischen Dichte überrascht, bei der die dänische Architektur und das niederländische Ausstellungsdesign von Kossmann.dejong zusammenwirken. Bjarke Ingels’ Architektur folgt einer «promenade architecturale», die ihre Suggestivkraft dem Fundus der klassischen Moderne verdankt. Gebildet wird sie aus drei Brückenelementen, die auf zwei Ebenen begehbar sind. Sie docken einerseits an das Ausstellungsprogramm an, fungieren aber andererseits als Teil des Stadtraums, da die Dachpassage von Besuchern und Passanten genutzt wird.

Die «promenade architecturale» stimmt bereits im Aussenraum auf das eigentliche Ausstellungsthema des Maritime Museum ein: die kleine Seefahrernation Dänemark, ihre Kolonien und die Weltmeere. Die Eingangsrampe über dem Abgrund lässt an eine Schiffsbrücke denken, und der innere Museumsparcours suggeriert eine Fahrt auf hoher See: Stetig und langsam steigt der Rundgang ab, um dann unerwartet die Richtung zu ändern, sich zu verengen und zu weiten, in schräg über dem begehbaren Trockendockboden verlaufende Brücken zu münden, um daraufhin in einer schwindelerregenden Treppe zu enden, die am oberen Ende der Parcours-Spirale das grandiose Panorama von Schloss Kronborg vor Augen führt.

Heimliches Gravitationszentrum des Museums ist die mittlere Brücke, deren gegenläufige Ebenen in einem Auditorium enden – mit abfallenden Sitzreihen fürs Publikum und einer horizontalen Ebene für die Bühne. Bjarke Ingels hat hier sein ganzes gestalterisches Potenzial ausgespielt. Die Raumexperimente von BIG klingen bestens mit den fantasievollen Inszenierungen der Amsterdamer Ausstellungsarchitekten Kossmann.dejong zusammen, die für die ungewöhnlichen Räume passende visuelle und akustische Eindrücke lieferten. Für Direktorin Camilla Mordhorst hat sich damit der Traum vom «spektakulären» Museum erfüllt: «Das Gebäude selbst erzählt eine Geschichte. Hier dreht sich alles um die Geschichte vom Meer, die Geschichte von ‹seafever› – ein Gefühl zwischen Traum und Wahn. Der sich ständig ändernde Museumsparcours verleiht keine Sicherheiten, ständig fragt man sich: ‹Befinde ich mich auf festem Boden oder auf dem Schiff?›»

Mit allen Sinnen reisen

Zu diesem Gefühl lieferten die Ausstellungsarchitekten die geeigneten Inventarien und Bilder. Mühelos spielen sie auf der Klaviatur der Überraschungseffekte: Eben noch wiegen einen gestapelte Rumfässer in Piraten- und Seefahrerträume, da grinst plötzlich Jack Nicholson aus einer Kajütenluke – mit Matrosenmütze, Tattoos, Zigarre und entblösstem Oberkörper. Über die Wellen der weiten Meere gelangten auch Briefe, die Seemannsbräute den Geliebten in die Ferne schickten. Mit ihren Stimmen im Ohr und Seeschlachtenvideos vor Augen geht der Besucher selbst auf Reisen. «Sea-fever» – Segeln auf den Wellen der Sehnsucht, kommentiert Camilla Mordhorst. Das fügt sich zur Ausstellungsdevise, die an den Wänden ablesbar ist: «Use your senses, eyes and hands.» Bjarke Ingels und Kossmann.dejong haben dem angestaubten Schifffahrtsmuseum frische Luft zugeführt. Dem Maritime Museum of Denmark hat der Auszug aus Schloss Kronborg gut getan, denn jetzt lernt der Museumsbesucher auf seiner Entdeckungsreise das Staunen. 

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