«Um­sich­tig»: Trutg dil Flem

Umsicht – Regards – Sguardi 2013

Der Countdown läuft: In fünf Wochen verleiht der SIA die Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi 2017». Bis dahin präsentiert espazium.ch wöchentlich einen Gewinner der vorigen Auslobung. Diese Woche: der Flimser Wasserweg.

Publikationsdatum
22-02-2017
Revision
23-02-2017

Am Anfang war da nur der Bach, der Dorfbach von Flims – Flimserbach oder «Flem» auf Rätoromanisch. Lang etwas hinter dem Dorf versteckt, war seine Rolle primär eine pragmatische: Er versorgt Einheimische und Gäste mit Wasser und Strom. Einzig durch das konstante Rauschen machte er auf sich aufmerksam. Seit diesem Jahr aber, nach fünf Jahren Planung und Entwicklung, kann er als begehens-, sehens- und auch als hörenswerte Bereicherung von der Allgemeinheit erkundet werden (vgl. «Über sieben Brücken»). 

Vom Dorf hinauf führt nun ein neuer Wanderweg auf 2100 m ü. M. zum grossen Wasserfall im Unteren Segnesboden mitten in die Tektonikarena Sardona hinein, ihres Zeichens seit fünf Jahren Teil des UNESCO-Weltnaturerbes. Insgesamt überwindet der auch für weniger geübte Wanderer zugängliche, neun Kilometer lange Wasserweg 1260 Höhenmeter. Dabei bietet er völlig neue Einblicke in die Landschaft entlang des Flem.

Im unteren Teil leitet der Trutg dil Flem, was auf Rätoromanisch «Pfad entlang des Flusses» bedeutet, die Wanderer durch enge Schluchten vorbei an Wasserfällen und Wassermühlen. Im oberen Teil führt er entlang der Hangkante durch alpine Landschaften. Landschaftsschonend wurden auch frühere Wege eingegliedert, die einst als Rutsche für Schlitten benutzt wurden, um Produkte der Alp ins Tal zu transportieren. Die abwechslungsreiche, thematisch konsistente Linienführung nimmt mit einigen absichtlich gewählten Umwegen bewusst Rücksicht auf vorhandene Tierpfade und Pflanzenpopulationen. 

Siebenmal wird der Flem von leichten, zum Teil kühn angelegten Brücken aus Stahl, Beton, Stein oder Holz überquert. Von Weitem sind sie oftmals kaum zu erkennen. Als Teil des Wegkonzepts führen sie die Besucher und bieten unerwartete Einblicke. An bizarren Felsformationen vorbei über manchmal plätscherndes, manchmal tosendes Wasser lässt sich Natur aus nächster Nähe erleben. Für jede der sorgfältig, meisterhaft und voller Leidenschaft konstruierten Brücken wurde das passende Material im Hinblick auf Haltbarkeit, Tragwerk und Transport ausgesucht. Wo die Brücken auch mal vom Wasser überspült werden, wurde Stein gewählt, andernorts lokales Holz bevorzugt. 

Das umsichtige Gesamtkonzept spiegelt sich auch in ökonomischen Aspekten wider: Der Investitionsaufwand ist überschaubar, und die laufenden Kosten halten sich in Grenzen. Die in die Natur eingebetteten kleindimensionalen Kunstbauten sind schmal, kurz und ingenieurmässig konzipiert, mit Konstruktionen, an denen nichts weggelassen werden kann. Die leichte Austauschbarkeit einzelner Bauelemente garantiert eine langfristige Werterhaltung. Beim Flimser Wasserweg wurde touristischer Komfort bewusst auf das Notwendigste reduziert.

Der neue Flimser Wasserweg Trutg dil Flem ist ein klares Bekenntnis zu einem sanften, umsichtigen und zukunftsfähigen Tourismus. Mit der sensiblen, Natur, Topografie und räumliche Situation einbeziehenden Wegführung knüpfen die Initiatoren zudem an die lange Tradition des Kantons Graubünden an, Naturlandschaften durch Verkehrswege zu inszenieren. Für die Wanderer von fern und nah wird die Begehung des Wasserpfads zu einem grossartigen Raum- und Klangerlebnis. (Text: Michael Mathis)

Mit «Umsicht – Regards – Sguardi» zeichnet der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA «umsichtig» ausgeführte Werke, Produkte und Instrumente unterschiedlicher Art und Grössenordnung aus, die sich exemplarisch mit unserer Umwelt auseinandersetzen und in besonderer Weise zu einer zukunftsfähigen Gestaltung des Lebensraumes Schweiz beitragen. Die Preisverleihung findet am 22. März 2017 im Landesmuseum Zürich statt. Weitere Infos: www.sia.ch/umsicht

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