Vom Ei­land zum Drei­land

Basels Zukunft ist trinational

Was die Lebensqualität in Basel prägt, ist zugleich ein andauerndes ­Hemmnis: die Grenzlage der Stadt. Während Wirtschaft, Mobilität und Konsum Grenzen überwinden, läuft die Politik an deren Komplexität auf. Dabei sind grenzüberschreitende Projekte gerade heute nötiger denn je.

Publikationsdatum
13-10-2016
Revision
13-10-2016

Vielleicht kann man aus der Geschichte nichts lernen (worüber man allerdings diskutieren könnte und sollte), aber mit Sicherheit kann man die Gegenwart nur aus der Kenntnis der Vergangenheit verstehen. Sie ist der Schlüssel, um Identitäten und gewachsene strukturelle Komplexitäten zu erkennen und um bewusst und erfolgreich in ihnen handeln zu können. 

Geschichte im Schnellzugtempo

Eine kleine, aphoristische Zeitreise soll verständlich machen, warum Basel ein Eiland ist. Obwohl stark auf die oberrheinische Tiefebene ausgerichtet, tritt die Stadt Basel 1501 der Eidgenossenschaft bei, mit der sie nicht einmal territorial verbunden ist. Basel ist und bleibt bis ins 19. Jahrhundert umgeben von einem Flickenteppich von Herrschaften. Erst 1648 brachte der Westfälische Friede dank dem Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein die definitive Loslösung vom Deutschen Reich und von Frankreich als Nachbarn. Seit 1815, dem Ende der napoleonischen Herrschaft, sind das Herzogtum Baden und Frankreich die Nachbarn, schweizerseits die Kantone Bern mit dem Lau­fental, Solothurn mit dem Dorneck und dem Schwarzbubenland sowie der Aargau mit dem Fricktal.

Mit der selbst verschuldeten Kantonstrennung 1833 kommt der Kanton Basel-Landschaft als Nachbar hinzu. Basel als Stadtstaat verliert nun auch den Einfluss auf das – im Vergleich zu Bern oder Zürich – ohnehin schon kleine eigene Hinterland. Zwischen 1871 und 1918 ist Basel weitgehend vom Deutschen Reich umgeben, das sich das Elsass nach dem Deutsch-Französischen Krieg einverleibt hat. Bis zum Ersten Weltkrieg gibt es praktisch keine Kontrollen, Personalausweise oder Pässe: Die Grenzen sind offen. Waren und Personen zirkulieren mehr oder weniger frei. Die Menschen jenseits der Grenzen sind nicht Deutsche und Franzosen, sondern elsässische und badische Nachbarn – bis heute ein wichtiger Unterschied.

Nicht als politisches Zentrum, sondern als Wirtschaftszentrum der Region entwickelt sich die Stadt nach und nach, vor allem dank ihren Leitindustrien: Zunächst ist es die Textil- und Seidenbandindustrie, dann die Farbenchemie, aus dieser erwächst die breit gefächerte Chemie von der Agrochemie bis zur pharmazeutischen Chemie. Heute ist die Stadt ein Life-­Science-Cluster.

Zwei Aspekte dieser Entwicklung sind geblieben: Basel ist stark von einer monokulturellen und überaus dominanten Leitindustrie abhängig – aber dank ihr auch wohlhabend; und Basel dominiert die Region zwar wirtschaftlich, ist aber nach wie vor nicht das politische Zentrum seiner Region, sondern abhängig von allen Gebietskörperschaften und Ländern, die den Stadtstaat mit seinen lediglich 37 km2 umgeben. Schaut man aus der Vogelperspektive auf die engere Region Basel, ist allerdings nur eine Stadt erkennbar. 

Doch diese Stadt ist stark begrenzt. Im Norden und im Westen durch eine Landesgrenze, im Süden und Osten durch eine nicht minder hemmende Kantonsgrenze. Basel ist eine trinationale Stadt – und national gesehen eine quatrokantonale Stadt. Von der übrigen Schweiz ist Basel durch den Jura getrennt, der im Bewusstsein der Menschen mindestens so hoch ist wie der Röschtigraben tief. Denn der Blick in Basel folgt dem Rhein, also meerwärts. Immerhin ist Basel der Heimathafen der Schweizer Hochseeflotte.

Das mag jetzt sehr romantisch klingen, aber die politische Bedeutungslosigkeit Basels in der Schweiz (der letzte Basler Bundesrat war Hans Peter Tschudi, der 1959 gewählt worden war) und die unmittelbare und täglich gelebte Nachbarschaft mit dem Elsass und Baden liessen Basel stets nach Europa schauen. Dank der eigenen Wirtschaftskraft war die Stadt beinahe autark und konnte sich unabhängig von der Schweiz wähnen. Kein Wunder, suchte Basel nach den 1960er-Jahren – nicht zuletzt um die alltäglichen grenzüberschreitenden Aufgaben zu lösen – eher die oberrheinische Kooperation als die Verstärkung des Einflusses in Bundesbern.

Basel engagiert sich in der Oberrheinkonferenz, in der Regio TriRhena, im Trinationalen Eurodistrikt Basel, in der Agglo Basel, mit der Regio Basiliensis und Metrobasel. 1992 stimmte Basel dem Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit 55.4 % zu. Doch mit den dauerroten Zahlen in der Staatsrechnung zur Jahrtausendwende und der allgemeinen Europaskepsis verflog die Europhilie etwas, und Basel erinnerte sich wieder seiner Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft, um Infrastrukturinvestitionen wie alle anderen Kantone auch mit Bundesgeldern zu finanzieren. 

Der Verkehr hält sich an die Geografie und nicht an die Grenzen

So klar die Grenzen in politischer Hinsicht gezogen waren, so irrelevant waren und sind sie für den Verkehr. Bereits 1844 erhielt Basel dank der Compagnie du ­chemin de fer de Strasbourg à Bâle Anschluss an das entstehende französische Bahnnetz. Es war die erste Eisenbahn auf Schweizer Boden. Es folgten ab 1855 die badische Oberrheinbahn, die Hochrheinbahn und die Wiesentalbahn, schweizerischerseits die Central- und später die Jurabahn. Basel erhielt drei Bahnhöfe, einen Schweizer und zwei zolltechnisch extraterrito­riale, einen französischen und badischen Bahnhof. 

Grenzüberwindungen gab es auch bei anderen Verkehrsträgern: Dank der Mannheimer Schifffahrts­akte von 1868, die die freie Schifffahrt auf dem Rhein sicherstellte, konnte der Basler Rheinhafen in Etappen zwischen 1906, 1919–1922 und 1936–1939 gebaut werden. Ab 1946 folgte der Bau des Flughafens Basel-Mulhouse, der heute EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg heisst, und 1973 wurden auch die deutschen und französischen Autobahnnetze miteinander verbunden, die Schweizer und die französische Autobahn mit der Nordtangente 2007 (vgl. «Aus Gegen- wird Miteinander»). 

Nach nicht enden wollenden länderübergreifenden Verhandlungen verbindet die Regio-S-Bahn Basel seit 1997 die trinationale Agglomeration. Sie ­besteht aus fünf S-Bahn-Linien, wovon drei grenzüberschreitend verkehren. Die Regio S-Bahn wird von den SBB, deren deutscher Tochtergesellschaft sowie der französischen TER Alsace und der Deutschen Bahn betrieben. Bereits Anfang des letzten Jahrhunderts gab es Tramlinien ins Elsass und nach Lörrach, doch wurden diese in den 1960er-Jahren eingestellt. Nun kommt neuer Schwung ins regionale Tramnetz. Seit 2014 verbindet ein Tram Basel und das deutsche Weil am Rhein, die Tramlinie nach Saint-Louis ist im Bau und soll 2017 eingeweiht werden.

Wirtschaft und Menschen überschreiten die Grenzen

Von Beginn an hat auch die Industrie an den Grenzen nicht haltgemacht. Chemische und pharmazeutische Produktionsstätten sind in Huningue, im deutschen Grenzach und schweizerseits in Muttenz, Pratteln und im Fricktal entstanden. Und auch die Menschen überwanden und überwinden die Grenzen: als Grenzgänger, Gourmets, Einkaufstouristen, Erholung Suchende, Party­gänger. Dies führte zu Anfang des 20. Jahrhunderts und in den 1950er- und 1960er-Jahren zunächst zu einem rasanten Bevölkerungswachstum, anschlies­send im Zug der allgemeinen Stadtflucht zu einer ebenso drama­tischen Abwanderung.

Die Baselbieter Agglomeration lockte Familien und Gutverdienende mit günstigen Steuern und neuen Ein- und Mehrfamilienhäusern zum Wohnen ins Grüne. Zwischen 1970 und 1980 verliessen 30 000 Menschen die Stadt und zogen vorab aufs Land in den Kanton Basel-Landschaft. Erst nach der Millenniumswende konnte der Trend gekehrt werden. Heute leben wieder 197 000 Bewohnerinnen und Bewohner im Kanton Basel-Stadt. 

Unabhängig von seiner Bevölkerungszahl war und ist die Stadt Basel mit ihrer Universität, dem Kulturangebot und den übrigen Zentrumsleistungen das Herz einer Metropolitanregion mit heute rund 900 000 Einwohnenden. 25 % leben in Deutschland, 9 % in ­Frankreich und 66 % in der Schweiz. Aber: Nur 21 % der Be­völkerung der Metropolitanregion, nämlich die Stadtbaslerinnen und -basler, finanzieren beinahe aus­schliesslich das gesamte Zentrumsangebot.

So bereichernd die Trinationalität der Stadt ist, so schön die föderale Selbstbestimmung sein mag: Der städtebaulichen Entwicklung ist beides nicht zuträglich. Planungen beanspruchen sehr viel Zeit, Geld und Di­plomatie. Dass die zwar vermögende Stadt überdies die Zentrumslasten weitgehend selbst trägt, der Partnerkanton Basel-Landschaft darbt und sich bei Kooperation und Finanzierung rar macht, hat verheerende Auswirkungen auf die Universität, das kulturelle Angebot, die Spital-, Wirtschaftsstandort- und Verkehrspolitik.

Wo andere Metropolitanregionen auf ihr Umland zählen können, muss Basel mit Paris, Stuttgart, Liestal, Aarau und Solothurn um jedes grenzüberschreitende Projekt verhandeln. Ohne Kooperation läuft gar nichts. Im Moment geht es Basel gut – dank seinen Unternehmen, die auf Stadtboden Milliarden investieren und für direk­te und indirekte Steuererträge sorgen. So wächst Basel, so verdichtet sich Basel in die Höhe unabhängig vom Umland, ist Zentrumsinsel, Eiland. Doch das ist ein Trugschluss: Denn wie das Umland das Zentrum braucht, braucht das Zentrum das Umland. 

Klybeckinsel und Schusterinsel

Dass der Kanton und die IBA (vgl. TEC21 38–39/2016), die trinationale Bauausstellung, das Projekt 3Land im Zentrum des Dreiländerecks pushen, hat deshalb einen besonderen symbolischen, aber auch historischen und städtebaulichen Reiz. Das Dreiländereck gibt es seit 1648. Entstanden ist es durch den Kauf des Fischerdorfs Kleinhüningen durch Basel einerseits und durch den Westfälischen Frieden, der das Elsass französisch werden liess, andererseits. Bis zu ihrer Begradigung waren die Flüsse Rhein und Wiese mäandrierende Gewässer mit Sandbänken und Inseln. Im Gebiet des Dreiländer­ecks gab es zwei Inseln: die Klybeckinsel und die ­Schusterinsel, die halb zu Basel, halb zum Markgräflerland gehörte. 

Vor allem die Schusterinsel geriet als Grenzort und Schauplatz von Auseinandersetzungen mehrere Male ins Blickfeld der europäischen Diplomatie. Grund dafür war einerseits der Fischfang, andererseits die Festung Hüningen. Zu einem ernsthaften Grenzkonflikt kam es zwischen 1735 und 1738 im sogenannten Lachsfangstreit. Französische und Basler Fischer stritten sich gewalttätig um die Fischgründe rund um die ­Schusterinsel und die Wiesemündung. Der Streit eskalierte und mobilisierte gar Paris und die eidgenössische Tagsatzung. Gelöst wurde der Konflikt schliesslich durch die diplomatischen Bemühungen Basels.

Grenzstreitigkeiten gab es auch wiederholt durch den auf der Schusterinsel errichteten Brückenkopf der französischen Vauban-Festung Hüningen. Frankreich forderte immer wieder die Abtretung des Basler Teils der Insel. Doch Basel blieb hart. Zur diplomatischen Krise kam es im November 1796 bei der von Basler Offizieren geduldeten Grenzverletzung durch österreichische Truppen während des ersten Koalitionskriegs gegen Frankreich. Mit der von Basel geforderten und von der Schweiz und Österreich durchgeführten Schleifung der Festung Hüningen verlor die Schusterinsel an Bedeutung, und Mitte des 19. Jahrhunderts verlandeten die Rhein­seitenarme, sodass Schusterinsel und Klybeckinsel zum Festland wurden. Erst der Bau des Hafenbeckens I (1919–1922) schuf eine neue Halbinsel. 

Mit der Entwicklungsvision 3Land besteht nun nicht nur die Möglichkeit, die beiden Inseln wieder auferstehen zu lassen, die Projektidee bietet auch die einmalige Chance, im geografischen Kerngebiet der Dreiländerstadt, im Knotenpunkt dreier Länder eine grenzüberschreitende Planung voranzutreiben. Und dies würde aus dem Eiland Basel endlich ein echtes Dreiland machen. Es wäre schön, wenn sich die Politik an den Realitäten von Wirtschaft, Mobilität und Konsum orientieren würde und könnte. Gerade in einer Zeit von Europamüdigkeit und mainstreamiger Renais­sance nationalstaatlicher Partikularinteressen sind grenzüberschreitende Projekte nötiger denn je.

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