Wie viel Raum für die Bio­di­ver­si­tät?

Im Rahmen der Strategie Biodiversität Schweiz soll der Raum, der für die langfristige Erhaltung der Biodiversität nötig ist, gesichert werden. Zwei Berichte beleuchten am Beispiel des Walds, was dies bedeutet. Die Ansichten über die erforderliche Fläche klaffen weit auseinander.

Publikationsdatum
28-11-2013
Revision
30-10-2015

Im April 2012 verabschiedete der Bundesrat die Strategie Biodiversität Schweiz. Von den zehn strategischen Zielen ist das zweite Ziel dem Flächenbedarf gewidmet: «Zur Sicherung des Raumes für die langfristige Erhaltung der Biodiversität wird bis 2020 eine ökologische Infrastruktur von Schutzgebieten und Vernetzungsgebieten aufgebaut. Der Zustand der gefährdeten Lebensräume wird verbessert.» Derzeit wird in einem partizipativen Prozess ein Aktionsplan ausgearbeitet. Dieser soll bis Mitte 2014 vorliegen und zu jedem strategischen Ziel konkrete Massnahmen definieren, Zielkonflikte darlegen und den nötige Mittelbedarf aufzeigen.

Kürzlich sind zwei Berichte erschienen, in denen skizziert wird, was diese «ökologische Infrastruktur» für den Wald bedeuten könnte. Das Forum Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (scnat), eine Plattform von Biodiversitätsforschenden, kommt dabei zum Schluss, dass die aktuelle Qualität, Quantität und Vernetzung vieler Lebensräume nicht ausreicht, um ihre Biodiversität und Ökosystemleistungen zu erhalten. Demzufolge ist auf weiteren Flächen der Biodiversität der Vorrang einzuräumen. Dem Wald ist ein Kapitel gewidmet.1 Der Schweizerische Forstverein (SFV) hingegen fokussiert in seinem Positionspapier auf die Themen Biodiversität und Holznutzung.2

Unterschiedlicher Fokus

Bei der Lektüre sticht ins Auge, dass die Zahlen bezüglich dem Flächenbedarf für die Biodiversität recht weit auseinandergehen. So hält es beispielsweise der SFV für angemessen, im Jura und im Mittelland 7%, in den Voralpen 10% sowie in den Alpen und auf der Alpensüdseite 15% der Waldfläche von der Bewirtschaftung auszunehmen.

Die Autoren des vom Forum Biodiversität veröffentlichten Berichts erachten es hingegen als notwendig, dass auf 20 bis 30% der Waldfläche keine Eingriffe erfolgen, damit die Wälder ihren ganzen Lebenszyklus inklusive Alters- und Zerfallsphase durchlaufen können. Ihre Schätzung basiert zum einen auf einer Literaturrecherche und zum anderen auf einer Befragung von Experten.

Die unterschiedlichen Zahlen lassen sich zumindest teilweise erklären. Während der SFV die verschiedenen Waldfunktionen – im konkreten Fall Biodiversität und Holznutzung – als grundsätzlich gleichwertig erachtet, nehmen die Experten des Forums Biodiversität ihre Beurteilung aus dem Blickwinkel der Biodiversität vor. Beide Herangehensweisen sind legitim.

Dünne Grundlagen

Etwas erstaunt nimmt man allerdings zur Kenntnis, dass sich die Biodiversitätsforschenden mit ihrer Forderung nach 20 bis 30% der Waldfläche mit natürlicher Waldentwicklung auf nur wenige Studien abstützen können. Diese leitet sich im Wesentlichen aus einer Studie aus British Columbia ab. Inwiefern sich die forstlichen Verhältnisse im Nordwesten Nordamerikas auf die Schweiz mit ihrer jahrzehntelangen Tradition der naturnahen Waldbewirtschaftung übertragen lassen, wäre erst noch zu zeigen.

Allerdings ist festzuhalten, dass die Schweiz aufgrund der topografischen, geologischen und klimatischen Verhältnisse und der damit verbundenen Vielfalt der Wälder vermutlich tatsächlich relativ viel Waldfläche für einen maximalen Biodiversitätsschutz vorsehen müsste. Der SFV wiederum fordert eine Waldnutzung, bei der keine national prioritären Waldarten verschwinden.3 Ob sich dieses Ziel mit den geforderten Naturwaldflächen erreichen lässt, wäre ebenfalls vertieft abzuklären. 

Es ist zu hoffen, dass auf der Basis der vorliegenden Zahlen eine breite und sachliche Diskussion anlaufen wird. Viel Zeit bis zur vorgesehenen Verabschiedung des Aktionsplans zur Biodiversitätsstrategie bleibt jedoch nicht mehr. Hitzige Debatten zwischen Naturschützern und Vertretern der Waldwirtschaft sind vorprogrammiert. 

Anmerkungen 

  1. Jodok Guntern, Thibault Lachat, Daniela Pauli, Markus Fischer: Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz. Forum Biodiversität Schweiz der Akademie der Naturwissenschaften scnat, Bern 2013. 
  2. Positionspapier des Schweizerischen Forstvereins: «Biodiversität und Holzproduktion unter einem Dach» in: Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, Nr. 7/2013, S. 190–206.
  3. Eine Liste mit den national prioritären Arten veröffentlichte das Bundesamt für Umwelt 2011.
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