Achterbahn-Landschaft aus Holz
Holz wird in Bezug auf die Festigkeit oft unterschätzt. An der 2012 eröffneten Holzachterbahn im Europa-Park in Rust (D) sieht man, was Holz leisten kann. Der Achterbahnhersteller Great Coasters aus den USA baute die Anlage vor Ort zusammen. Für die Standsicherheit ist das Ingenieurbüro Weiss aus Freiburg (D) verantwortlich.
Früher mit der Postkutsche durch den Wilden Westen, heute mit der Holzachterbahn durch den Vergnügungspark: Es schüttelt und vibriert ein bisschen, Auf-dem-Kopf-Stehen ist bei diesem Achterbahntyp nicht vorgesehen. Nicht die Geschwindigkeit ist relevant, sondern die Streckenführung und das Fahrverhalten der Bahn. Aktuell sind weltweit 172 Holzachterbahnen in Betrieb.1
Massgebend für das Fahrgefühl ist die Beschleunigung, die auf den Körper wirkt. Die Fahrzeuge und -gäste der Holzachterbahn im Europa-Park werden mit mehr als 3g2 beschleunigt, die Fahrgäste also mit dem Dreifachen ihres Körpergewichts in die Sitze gedrückt. Pro Stunde zieht die 2012 fertiggestellte Bahn 1300 Gäste in drei Zügen mit je 24 Sitzplätzen mit dem Kettenlift auf 35m. Auf dem ersten Schuss erreicht sie die Höchstgeschwindigkeit von 100km/h. Insgesamt dauert eine Fahrt dreieinhalb Minuten.
Archaische Bauweise
Die Tragstruktur ist aus norddeutschem Kiefernholz gefertigt und so konstruiert, dass man jedes Element einfach ersetzen kann. Für die Stützen wurden lediglich fünf verschiedene Vollholzquerschnitte verwendet. Das widerstandsfähige Sumpfkiefernholz (Yellow Pine) für die rund 1km lange Schienenkonstruktion brachte der Achterbahnhersteller Great Coasters aus den USA mit. Die Hölzer wurden als kesseldruckimprägnierte Schnittware in Standardmassen auf die Baustelle geliefert. Die Elemente sind mit Bolzen verbunden. Die Handwerker waren rund sechs Monate vor Ort, um die Bahn zusammenzusetzen. Die Anlage musste in einer Richtung gebaut werden, das bedingte die Fahrbahn. Diese ist wie eine Blattfeder aus biegsamem Holz konstruiert, damit sich die Lagen gegeneinander verschieben können. Damit erreichten die Konstrukteure die Elastizität, die eine Holzachterbahn ausmacht. Auf dieser Konstruktion wirkt eine Stahlauflage als Verschleissschicht. Um Lärmimmissionen gering zu halten, wird mit Polyamidrädern gefahren.
Komplexe Berechnung
Die imposante Holzskulptur musste in den dicht bebauten Park integriert werden. Die vom Betreiber gewünschte Herzlinie3 und die Lage der Stützen wurden von den Ingenieuren im digitalen Geländemodell geprüft. Anschliessend legten sie die Stützweiten und die Querneigungen aufgrund der Dynamik fest. Für die Anlage benötigten die Ingenieure insgesamt 800 Stützen. Bei einer Stahlachterbahn mit ähnlichen Dimensionen sind zwischen 30 und 50 Stützen erforderlich. Die Vordimensionierung und die Ermittlung der Auflagerkräfte für die Dimensionierung der Gründung erfolgte am ebenen System, erklärt Bauingenieur Peter Bläsi vom Ingenieurbüro Weiss in Freiburg (D).
Ein Vorlauf mit Überschneidungen von sechs bis sieben Stützen half zu beurteilen, ob das Gesamtsystem vor allem hinsichtlich Beweglichkeit funktioniert: Holzachterbahnen verformen sich stark in Querrichtung. Beim Anstieg auf den 35 Meter hohen «Lifthill» entstehen nur geringe dynamische Beanspruchungen. 40 Meter der Bahn sind direkt um diesen Turm angeordnet. Dadurch entsteht eine relativ dichte Struktur. Für diesen Abschnitt war demzufolge der Wind der massgebende Lastfall. In den weiteren Abschnitten ist das Ermüdungsverhalten der Verbindungsmittel und des Holzes massgebend. Mit spezieller Software, teilweise vom Ingenieurbüro selbst programmiert, können solche Systeme aus 10.000 bis 20.000 Stäben berechnet werden.
Die Plausibilitätskontrolle wird mit verhältnismässig einfachen Mitteln durchgeführt, wie der Ermittlung der Zentrifugalkraft aus Ersatzradien oder der Geschwindigkeit mit dem Energiesatz. Vor der Freigabe werden auf der Bahn Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt. Die gemessenen Werte werden mit den rechnerischen verglichen, gegebenenfalls wird korrigierend eingegriffen.
Stahlachterbahnen kreuzen
Die Besonderheit bei der Anlage im Europa-Park ist, dass sie zwei Stahlachterbahnen kreuzt und sich die Schienen beziehungsweise die Untergurte theoretisch berühren könnten. Eine Verformung um 58cm ist bei Holzachterbahnen durchaus möglich. Das war vor allem betreffend des Baugrunds interessant: Eine der Stahlachterbahnen ist im Bereich eines ehemaligen Flusslaufs gegründet. Es musste daher eine Tiefenverdichtung ausgeführt werden: Die Bahn steht auf Stopfsäulen. Wichtig ist, dass der Neubau keine Setzungen an dieser Bahn verursacht. Da aus der Holzachterbahn keine allzu hohen Einzellasten resultieren, wurde sie über eine Plattengründung von der anderen Bahn abgekoppelt und so gelagert, dass ihre Last das Fundament nicht zusätzlich belastet.
Der Unterhalt der Anlage ist nicht aufwendiger als bei anderen Bahnen. Bläsi geht davon aus, dass bei guter Wartung nach rund zehn Jahren die ersten Hölzer ersetzt werden müssen. Vorausgesetzt, die Konstruktion bekommt genug Feuchtigkeit und organische Abfälle werden von ihr ferngehalten. Fragen zu Rückbau und Recycling spielten bei der Planung keine Rolle.
Projektdaten
Bahnlänge: 1050m
Flächenbeanspruchung: 1.6ha
Maximale Bauhöhe: 40m
Materialbedarf: 1000m³ Holz in 21.000 Einzelbalken -stäben
Beschleunigung: vertikal 0.23.5g; horizontal bis 1.5g
Spitzengeschwindigkeit: >100km/h
Anmerkungen
1 Rollercoaster Database, Zugriff 30.10.2013
2 1g ist die Erdbeschleunigung mit 9.81m/s2
3 Um abrupte Übergänge in Kurven und damit Verletzungen zu vermeiden, werden Achterbahnen heute um die sogenannte Herzlinie entwickelt und konstruiert. Dabei liegt die Drehachse nicht wie früher auf der Schienenachse, sondern in der Höhe der Körpermitte.