Aussenraum mit Identität
Um ein neues Zentrum zu kreieren, braucht es nicht nur flexiblen, leistbaren Wohnraum. Der Ort muss durch Attraktivität, Infrastruktur und Identifikationspotenzial überzeugen. Zürich-Affoltern möchte mit einer Neugestaltung des Zentrumsplatzes dieses Ziel erreichen.
Arealentwicklung Zentrum, Zürich-Affoltern; einstufiger (nicht anonymer) Studienauftrag mit Präqualifikation
Die Wohnungslage in Zürich ist problematisch. Dies hat sich nicht erst im Rahmen der wieder steigenden Zinsen und dem damit verbundenen Attraktivitätsverlust des Erwerbs von Wohneigentum gezeigt. Weniger innerstädtische Gebiete wie Oerlikon, Altstetten und Zürich-Affoltern werden als Wohnorte immer attraktiver und ihre Umstrukturierung und Verdichtung zur Voraussetzung für einen möglichen Ausbau. Das bereits 2017 begonnene Verfahren um das Leitbild für die Neugestaltung des Zentrums von Zürich-Affoltern sieht verschiedene Leitsätze vor, die unter anderem folgende Aspekte anstreben:
- Zentrumsplatz mit (sozio-)kultureller Nutzung
- Bauliche Verdichtung mit integriertem historischem Ensemble
- Verstärkung der Quartiersverbindung zur Bahn
- Verbindung und Auffindbarkeit heterogen gestalteter Freiräume
Der Betrachtungsperimeter umfasst den trapezförmigen Bereich zwischen In Böden, Zehntenhaus-, Wehntaler- und Jonas-Furrer-Strasse. Acht in einem Präqualifikationsverfahren zugelassene Planerteams waren eingeladen, in einem einstufigen (nicht anonymen) Wettbewerb ihre Entwürfe einzureichen. Es galt, auf den 12 000 bis 12 500 m2 oberirdischer Geschossfläche 20 % Gewerbeanteil – und somit primär neuen Wohnraum im mittleren Preissegment (der Schwerpunkt liegt dabei auf 2.5- bis 3.5-Zimmer-Wohnungen) anzubieten. Die Bebauung war mit grosser Sensibilität für die Schnittstellen zu den separat bearbeiteten Projekten für eine Tramstation, die Instandsetzung des inventarisierten Zehntenhauses und die Gestaltung des Zentrumsplatzes zu konzipieren. Grösse, Zugang und Position von Zehntenhausgarten und Zentrumsplatz waren ebenfalls Gegenstand dieses Wettbewerbs.
Es war den Büros freigestellt, sich mit einer heterogenen Zusammenstellung unterschiedlicher Volumina oder in Anlehnung an die Machbarkeitsstudie mit einer Hofbebauung auseinanderzusetzen. Ein Hochhaus mit «besonders sorgfältiger Gestaltung» und maximal 40 m Höhe wurde als Akzent gefordert.
Mit Lisa Ehrensperger holte man sich eine Vorsitzende in die Jury, deren Büro dafür bekannt ist, weniger stilistische Attitüden als konzeptionelle Haltungen zu fördern. Damit erfüllen die Migros-Pensionskasse und die Post Immobilien Management und Services als Grundeigentümerinnen die Voraussetzung, dass der Entscheid auf ein Projekt fällt, das neben der Bewältigung komplexer Anforderungen dem Wunsch nach einem hohen Identifikationspotenzial nicht durch formalistische Effekte entspricht, sondern für Nachhaltigkeit steht.
Städtebau vor Fassade
Die Jury kürt den Entwurf von Schwabe Suter Architekten mit Studio Vulkan Landschaftsarchitektur zum Sieger. Die Formulierung und Platzierung von drei Solitärbauten schaffen eine Situation, die selbstverständlich auf die notwendigen städtebaulichen Anforderungen eingeht und damit die wichtigste Aufgabe löst.
Der (fast) parallel zum Zehntenhaus stehende Baukörper im nordöstlichen Teil des Areals ist zwar höher als das historische Gebäude, erweist diesem aber durch gebührenden Abstand Respekt. Gleichzeitig kreiert er genug Freiraum für einen grosszügigen Garten. Durch die höhere Geschosszahl kann die Grundfläche verhältnismässig klein gehalten werden. Das wiederum ermöglicht die notwendige Ausdehnung des Zentrumsplatzes. Auch die Geländesprünge sind sinnvoll integriert.
Neben den lobenden Worten zum Städtebau stellt die Jury den architektonischen Ausdruck der Bauten infrage. Den geforderten «erhöhten gestalterischen Anforderungen» genügt die Ausarbeitung der Fassaden so kaum. Die vorgeschlagenen Grundrisse hingegen sind flexibel nutzbar und wohlproportioniert. Sie überzeugen durch die weitgehende Bewältigung der Lärmschutzanforderungen und grosszügige private Aussenräume.
Weniger durchlässig
Der Entwurf der Büros von Ballmoos Partner Architekten und Neuland ArchitekturLandschaft verfügt über ein ähnliches aussenräumliches Konzept mit drei separaten Bauten. Diese stehen aber zulasten der Durchlässigkeit deutlich dichter beieinander. Die Verwandtschaft der architektonisch heterogenen Volumina wird durch die gleiche Ausrichtung verstärkt. Dieser interessante Ansatz wird von der Jury gewürdigt. Problematisch ist die Höhe des zur Wehntaler-strasse gerichteten Riegels, dessen Massigkeit besonders in der Visualisierung anschaulich wird.
Unwirtschaftlich urban
Der in der letzten Runde ausgeschiedene Entwurf der ARGE HHF Architekten/Gus Wüstemann Architekten mit Sima | Breer Landschaftsarchitektur bringt einen besonders urban wirkenden Vorschlag, der das neue Zentrum identifiziert: Zwei Baukörper mit Ost-West-Ausrichtung flankieren eine die Topografie des Geländes aufnehmende Treppenanlage, die sowohl den Öffentlichkeitsgedanken unterstützt als auch eine fliessende Verbindung zwischen Zehntengarten und Zentrumsplatz schafft. Der zweigeschossige Sockelbereich trägt ebenfalls dazu bei und bietet zur Nutzung als Markthalle eine Alternative mit Gewerbeeinheiten.
Die unterdurchschnittliche Wirtschaftlichkeit (Flächeneffizienz) sowie erschwerte Erfüllung des Minergie-P-Eco Standards führen zum niedrigeren Rang.
Volumen neben Pavillon
Die ebenfalls in der letzten Runde ausgeschiedene ARGE Jan Kinsbergen Architekt / Bruther mit Studio Céline Baumann schlägt eine Variante mit zwei Grossvolumina und einem dreieckigen Pavillon vor. Der Aussenraum geht stufenlos vom Zehntenhausgarten in Ankunftszone und Zentrumsplatz über. Dies inspiriert eine vielfältige Nutzung und besticht durch die öffnende Geste des Pavillons. Nicht überzeugen kann das Projekt letztendlich wegen des mangelhaften Lärmschutzes, des hohen Glasanteils und Zweifeln an der Funktionsfähigkeit eigentlich schöner Entwurfsideen (z. B. Fassadenbegrünung).
Städtebau siegt
Bereits die Ausschreibung verlangte nach einer guten Lösung im städtebaulichen Bereich und setzte hier den Schwerpunkt. Das Siegerprojekt zeigt im Vergleich die überzeugendste Lösung für eine nicht einfache Aufgabe. Kein anderes Projekt schafft es, Durchlässigkeit, Gebäudevolumen und Aufenthaltsqualität der Freiräume ähnlich sicher und selbstverständlich zu positionieren und mit den Vorgaben von Baurecht und Wohnqualität zu verbinden. Dies wird der gewünschten Belebung des Zentrums zuträglich sein. Zudem ist die bestehende Identität des Orts nicht gefährdet, sondern wird verstärkt. Die neuen Baukörper wirken in ihrer Form und Grösse neben den Bestandsbauten nicht ortsfremd, sondern ergänzen diese zu einem zeitgemässen Ensemble.
Nach einer Neuüberlegung der altbacken wirkenden, an die 1960er- und 1970er-Jahre erinnernden Standardfassaden und Überarbeitung einiger Grundrisse (die direkt ins Wohnzimmer öffnenden WCs im Hochhaus sind fragwürdig) darf sich Affoltern auf ein neues, identitätsstiftendes Zentrum freuen.
Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 19/2023 «Besser baden in Bern».
-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.
Teilnehmende
Sieger: Schwabe Suter Architekten, Zürich; Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich
Gus Wüstemann Architekten, Zürich; HHF Architekten, Basel; SIMA | BREER Landschaftsarchitektur, Winterthur
Jan Kinsbergen Architekt, Zürich; Bruther, Zürich; Studio Céline Baumann, Basel
Von Ballmoos Partner Architekten, Zürich; Neuland ArchitekturLandschaft, Zürich
Demuth Hagenmüller & Lamprecht Architekten, Zürich; Mettler Landschaftsarchitektur, Gossau SG
Ernst Niklaus Fausch Partner, Zürich; vetschpartner Landschaftsarchitekten, Zürich
Futurafrosch – Architektur und Raumentwicklung, Zürich; Schmid Urbscheit Landschaftsarchitekten, Zürich
HLS Architekten, Zürich; asp Landschaftsarchitekten, Zürich
FachJury
Lisa Ehrensperger, Architektin, Zürich (Vorsitz); Gian-Marco Jenatsch, Amt für Städtebau, Stadt Zürich; Yvonne Rudolf, Architektin, Zürich; Daia Stutz, Landschaftsarchitekt, Zürich
SachJury
Nicolas Mumenthaler, Post Immobilien Management und Services; Willi Hohl, Migros-Pensionskasse; Thomas Weilenmann, Migros-Pensionskasse (Vorsitz)