Bor: ein un­er­wünsch­ter Neo­phyt

Ordnungszahl 5

Gärtner, Naturschützer und auch Landschaftsarchitekten wollen die Ansiedlung fremder Pflanzenarten verhindern. In der Stoffökologie sind solche Eindringlinge ebenfalls ein leidiges Thema. Teil 7 der Serie «Chemie des Bauens».

Publikationsdatum
21-05-2019

Der Sihlwald ist Ausflugsziel und grüne Lunge für die Stadt Zürich. Nebenbei sind die Hügel entlang der Sihl seit fast 20 Jahren eine weitläufige Wildnis. Doch das über 10 kmgrosse Reservat braucht den Menschen nach wie vor, ob als Besucher, Bewunderer oder Hausabwart. Denn eine grosse Sorge gilt den invasiven Neophyten (vgl. TEC21 48/2018). Deren Bekämpfung dient dazu, den Platz für die naturnahe Botanik frei zu halten.

Aber auch unter der Erde machen unliebsame Eindringlinge von sich reden: Die Waldböden enthalten teilweise giftige Substanzen, weil hier über Jahrhunderte Holz geschlagen und verarbeitet worden ist. Ein Schadstoff, der bis heute ins Grundwasser des Sihltals sickert, ist Bor.

Das chemische Element mit Ordnungszahl 5 ist ein Halbmetall. In Salzform wurde es gern zur Imprägnierung von Holz benutzt. Aber nicht nur das Borax fällt den Ökotoxikologen negativ auf; auch die Derivate Borsalz und Borate finden ihre Wege in den Boden und ins Grundwasser. 

Bei Analysen ist Bor inzwischen ein sehr zuverlässiger Indikator für die anthropogene Umweltbelastung. Ob als Holzschutzmittel oder Waschmittelzugabe: Typischerweise ist der anorganische Schadstoff in Altlasten anzutreffen. Und selbst Mineralwasserquellen sind nicht davor gefeit. Die Gesundheitsbehörden weltweit und auch in der Schweiz warnen vor dem hausgemachten Eindringling und streben strengere Qualitätsvorschriften an, etwa für Trinkwasser.

Und die Forschungsdisziplinen «Ökotoxikologie» und «Arbeitsschutz» machen mit Tierversuchen zusätzlichen Druck: Zu hohe Gehalte an Bor-Verbindungen sind gefährlich für die menschliche Gesundheit, unter anderem schädigen sie Fortpflanzungsorgane.

Die Kontroverse um Bor spiegelt auch, wie hürdenreich das nachhaltige Bauen ist. Denn es gilt von Fall zu Fall neu zu entscheiden, ob der Klimaschutz stärker zu gewichten ist als die Ökologie. Um weniger Treibhausgase auszustossen, kann die Baubranche auf Nummer sicher gehen: Man packt ein Haus dick mit Dämmmaterialien ein und wählt nachwachsende Baustoffe, beispielsweise Zellulose, Holz oder Baum- und Schafwolle.

Doch ohne Borsalz kommen selbst diese Naturprodukte nicht immer aus; es schützt an sich ökologische Bauteile vor Schimmelpilz, Mikroben oder Flammen. Alternative Substanzen und Verfahren sind bekannt; nicht alle sind ihrerseits unbedenklicher Natur. Aber seit die EU-Behörde den Schadstoff auf ihrer Chemikalienliste als «bedenklich» eingestuft hat, kommt Bewegung in den Baustoffmarkt. So ist «boratfrei» inzwischen ein Qualitätsmerkmal für gesunde und ökologische Baumaterialien. In der Schweiz präsente Ökolabels wie «Ecobau» oder «natureplus» setzen zudem den vollständigen Verzicht auf Bor-Additive voraus. 

Zum Schluss wollen wir den Appetit aber nicht ganz verderben: Die Borsäure ist nicht mit Borax oder Borat zu verwechseln; Erstere ist als Zusatzstoff E 284 bekannt und hält Kaviar länger frisch.

2019 ist das internationale Jahr des Periodensystems. Die Kolumne «Die Chemie des Bauens» geht wöchentlich den natürlichen Elementen und ihren Eigenschaften auf die Spur und sucht die gebaute Umwelt mitsamt Umgebung nach ihren atomaren Zutaten ab.


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