Bringt die Dis­kus­si­on ums Kli­ma auch schö­ne­re Ar­chi­tek­tur?

Architekturpreise bestätigen nie alte Traditionen, meistens wollen sie einen Anreiz für zukunftsweisende Gesten setzen. In der Vergangenheit waren demnach oft auch heroische Figuren in den Rängen dieser Preise anzutreffen.

Publikationsdatum
28-10-2022

Wer die Resultate des Architekturpreis Kanton Zürich betrachtet, sucht vergeblich nach formalem Pathos. Alle drei Auszeichnungen wurden an Wohnbauten vergeben, die sich – jede auf ihre Art – bescheiden geben, das Zusammenleben in den Vordergrund stellen und dabei nicht nur sozial, sondern auch ökologisch und wirtschaftlich das nachhaltigen Bauens erproben: Die drei Preise gingen an die Wohnsiedlung Kuppe in Horgen, das Zollhaus in Zürich und das Zentrum Brütten.

➔ Veranstaltungstipp:
Am 2. November findet im Architekturforum Zürich eine Podiumsdiskussion zum Thema «Gute Bauten trotz oder dank Klimakrise?» mit David Vogt, Philipp Esch, Jörg Lamster, Regula Lüscher und Martin Neukom statt. Bis 9. November sind dort alle eingereichten Bauwerke ausgestellt.

Neue Vorbilder

Was als vorbildliches Bauwerk wahrgenommen werde, unterliege sicher auch immer dem Zeitgeist, meint der stellvertretende Zürcher Kantonsbaumeister David Vogt in seiner Rolle als Stiftungsratspräsident und Jurypräsident in einer Videoaufzeichnung in der derzeitigen Ausstellung im Zürcher Architekturforum im Erdgeschoss des Zollhauses. Dass die Ausstellung ausgerechnet in einer der ausgezeichneten Bauten stattfindet, mag ein Zufall sein – ein glücklicher jedenfalls, denn so ist der Bau nicht nur im eigens gedrehten Film und auf den Bildschirmprojektionen sichtbar, sondern in allen Dimensionen erlebbar.

Der Architekturpreis Kanton Zürich und die dazugehörige Stiftung wurden im Jahr 2000 gegründet. Im Dreijahresrhythmus wird der Preis vergeben, nun zum siebten Mal. Der Preis ist relativ jung und hat sich dieses Jahr bereits erneuert: Seit 2022 versteht er sich explizit als Motor und Antrieb für klimagerechtes Bauen. Er hat nicht nur die drei Auszeichnungen nach klimagerechten Kriterien ausgesucht, sondern auch gleich einen Zusatzpreis geschafften: Neu wurde der Sonderpreis «der Grüne Leu» eingeführt. Das ikonische Wappentier des Kantons steht nun also auch im Dienst der Nachhaltigkeit. Der Mut dieses jungen grünen Löwen liegt zielt nicht auf körperliche Stärke, sondern auf Umsicht und vorbildliche Konzepte der Nachhaltigkeit.

Autofreie Löwenstärke

Der Sonderpreis «Der Grüne Leu» ging an die bereits mit einer Auszeichnung prämierte  Wohnsiedlung Kuppe, die erst nach einer Änderung der bisherigen Bauordnung von Horgen mit nur wenigen gemeinschaftlich genutzten Parkplätzen gebaut werden konnte. Statt auf einer Tiefgarage sind die Baukörper frei ins Gelände gesetzt: Fünf zweistöckige Holzbauten mit je sechs Wohnungen reihen sich entlang einer Wegschlaufe auf und fassen so einen unregelmässig ovalen Aussenraum.

Die Mobilität ist in diesem Konzept ein wichtiger Hebel für eine bessere Klimabilanz. Wer bisher glaubte, dass das Auto in peri-urbanen Gebieten nötig sei, wird hier eines Besseren belehrt. Die Bauherrschaft sieht die Holzbauten der Kuppe als Teil eines Quartiers, in dessen Mitte Bestandsbauten liegen. Auch für die zweite Etappe wurde 2017 die Baubewilligung erteilt, der Bau startet nun endlich nach einem Erfolg vor Bundesgericht. Auch hier wird gelten, dass auf diesem Areal nur wohnen darf, wer auf ein Auto verzichten kann.

Nicht nur die Mobilität, auch der Flächen- und Materialverbrauch, die Energieversorgung und das Wassermanagement sind für die Klimabilanz eines Gebäudes und eines Quartiers entscheidend. Was geschieht, wenn die Architekt:innen sich nun dazu mehr Gedanken machen? Werden die Bauten trotzdem, oder gerade deswegen gut, schön, vorbildlich? Am 2. November wird in der Ausstellung über diese Frage diskutiert. Vor dem Hintergrund der ausgestellten Projekte allerdings wirkt diese Frage wie eine rhetorische Schlaufe, denn die Nachricht der Jury ist klar: Im Jahr 2022 können nur nachhaltige Bauten noch vorbildlich sein. Dass sie dabei auch schön sind, versteht sich von selbst.