Sperrige Sammlungen für die Ewigkeit
Die Schau «Collectomania» im Museum für Gestaltung Zürich ist vorwiegend aus Privatsammlungen komponiert und nimmt dabei nicht nur Gegenstände, sondern auch Überlegungen zum Sammeln in den Fokus.
Das Sammeln, Sortieren, Einlagern und Pflegen taucht in jüngerer Zeit in vielerlei Diskussionen auf – am häufigsten da, wo jemand eine Kreislaufwirtschaft realisieren will. Diese Vorgänge sind mit viel Aufwand verbunden und werden sich langfristig für Gesellschaft und Umwelt lohnen, so das Versprechen.
Es gibt aber auch Menschen, die das Sammeln ganz ohne eine Kalkulation des Nutzens für Gesellschaft oder Umwelt betreiben. Ihr Ziel ist es nicht, den Gegenständen ein zweites Leben zu geben, sondern vielmehr, ihr erstes für immer einzufangen: je nach Objekt in Ordnern oder an Garderobenstangen, in Archivschachteln oder Hochregallagern. Solche Menschen sammeln oft aus purer Liebe oder auch aus einer Obsession für bestimmte Dinge, wie zurzeit eine skurrile Zusammenstellung von Feuerwehrhelmen, Füllfederhaltern, Tretautos, Orangeneinwickelpapieren und Wasserpistolen in den Räumen des Museums für Gestaltung im Zürcher Toni-Areal bezeugt. Die meisten dieser Sammlungen dienen keinem anderen Zweck als der Freude am Sammeln selbst, sinnigerweise lautet der Titel der Ausstellung deshalb «Collectomania».
Von Barbie bis «Do Not Disturb»
Dass jemand Barbiepuppen oder Designerturnschuhe (auch diese gibt es in der Ausstellung zu bewundern) sammeln möchte, scheint weniger überraschend als das Anhäufen von verlorenen Autoschlüsseln oder von Nicht-Stören-Schildern aus Hotelzimmern in aller Welt. Letztere Sammlung sei mit ihrer beeindrucken Anzahl von 11'111 Stück aus 200 Ländern ins Guinness-Buch der Weltrekorde eingetragen und unterdessen auf 14'000 Stück angewachsen, lehrt uns der Ausstellungsbesuch.
Beim gemeinsamen Rundgang von Leihgeberinnen, Leihgebern und Presse ist offensichtlich, dass der Schildersammler Jean-François Vernetti und seine Frau, genauso wie Barbie-Sammlerin Bettina Dorfmann, Füllfedersammler Christof Zollinger und alle anderen, stolz darauf sind, dass ihr schräges Hobby nun zu einer museumstauglichen Sammlung angewachsen ist.
Übersichtlich oder sogar messbar ist allerdings wenig. Nicht einmal der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde lässt sich überprüfen. In den neueren Ausgaben sind unterdessen andere Weltrekorde eingetragen. Viele von ihnen sind kurios und überraschend, gleichzeitig fasziniert die konsequente Systematik der Sammlerinnen und Sammler.
Die Kategorien des Guinness-Buchs allerdings lassen mich bei der Durchsicht eher ratlos. Die Buchseiten demonstrieren vielmehr eine unzähmbare Freude an der Anhäufung von Dingen und Ereignissen. Offensichtlich ist es auch eine Voraussetzung des Sammelns, sich auf für andere nicht immer gleich schlüssige Ordnungssysteme einzulassen – ganz egal, ob die gesammelten Dinge am Ende im Müll, in Vergessenheit oder eben im Museum landen.
Wer alles sammelt
Mit zwei Extremfällen flankieren die Kuratorin Karin Gimmi und die Szenografin Christine Moser in zwei grossen Filmprojektionen ihre Schau: Auf der einen Seite gibt es das über grosse Firmen organisierte Verwerten von Material in der Recyclingwirtschaft, auf der anderen Seite das grosse Durcheinander eines sogenannten «Messie» (definiert im Duden als «jmd., dessen Wohnung völlig unordentlich, chaotisch u. voller nutzloser Gegenstände ist»). Kleinere Bildschirme ergänzen die Schauvitrinen und -bildschirme der Ausstellung mit Interviews ihrer Erzeugerinnen und Erzeuger: Acht Sammelnde erzählen von ihren Motivationen und Anliegen. Vom Zollbeamten, der illegale Importe konfiszieren und in einem riesigen Kellerlager aufbewahren muss, bis zur Wasserpistolensammlerin Bice Curiger.
Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Bice Curiger allerdings kann heute nicht mehr als Sammelnde bezeichnet werden, denn sie hat – in dieser Ausstellung als Einzige – mit dem Sammeln bald wieder aufgehört. In den 1970er-Jahren galt ihr Interesse auf besondere Weise der Alltagskultur, die damals noch weniger selbstverständlich Teil der Kunstgeschichte war. Hunderte von lustigen, bunten, unverschämten und kunstvollen Wasserpistolen und Spritz-Scherzartikeln liegen nun in einer der Vitrinen des Museums für Gestaltung. Sie wurden von Hans Ulrich Obrist schon vor zehn Jahren, als Bice Curiger mit dem Kulturpreis des Kantons Zürich ausgezeichnet wurde, lobend erwähnt.1
Kaum nachvollziehbare Motive
Nicht bei allen Sammelnden ist das Motiv gleich gut erforscht wie bei der berühmten Zürcher Kuratorin. Die ca. 85'000 Positionen und über 220'000 Einzelobjekte umfassende Sammlung des Winterthurer Immobilienkönigs Bruno Stefanini beispielsweise lässt kein nachvollziehbares System erkennen. Als er vor vier Jahren 94-jährig starb, folgte auf den Streit der Nachfolger die grosse Ratlosigkeit, wie mit den zerknitterten, verstaubten und teils zerfallenden Dingen umzugehen sei.
Auch diese Thematik unterschlägt die Schau im Toni-Areal nicht und zeigt Stefaninis Messgewänder unrepariert und ungebügelt. Die Pracht der wertvollen Sammlung ist dennoch offensichtlich, und zum Glück hat der Multimillionär auch die Mittel hinterlassen, sodass sich nun eine Gruppe von Konservatorinnen und Konservatorinnen um diese ihm einst so lieben Dinge kümmern kann. Bei anderen Objekten, beispielsweise der Sammlung von Feuerwehrhelmen aus vielen Ländern und Jahrhunderten, ist es verschiedenen Zufällen zu verdanken, dass solche aus reiner Liebhaberei oder anderen, nicht überlieferten Motiven entstandenen Kollektionen überhaupt noch erhalten und jetzt ins Museum gelangt sind.
Nun, da alle Welt von der Kreislaufwirtschaft spricht, wirkt die einfühlend komponierte Zusammenstellung dieser banalen, skurrilen und extravaganten, vorwiegend privat angehäuften Kollektionen ziemlich sperrig. Ganz gegen die Idee einer Zirkulation bewegen sich Gegenstände kaum noch, wenn sie einmal einer Sammlung einverleibt sind. Zu sammeln bedeutet auch, Dinge dem wirtschaftlichen Kreislauf zu entziehen. Sie bleiben dann zu Hause bei ihren privaten Sammlern oder in einem eigens für sie angemieteten Lagerraum: eben da, wo jemand sie am liebsten hat.
Die Ausstellung «Collectomania» auf dem Zürcher Toni-Areal läuft noch bis zum 8. Januar 2023. Infos zu Ausstellung und Begleitprogramm gibts hier.
Die Playlist mit Interviews der Beteiligten gibts hier.
Anmerkung
1 Dora Imhof: «C is for Curator. Bice Curiger: eine Arbeitsbiografie», Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, München, 2022, S. 285