Die Blut- und Ner­ven­bah­nen des Spi­tals

Innovatives Energie- und Medienversorgungskonzept

Das Stadtspital Triemli ist ein energetischer Grossverbraucher und konsumiert Energie in vielfältigster Form. Dank der Erneuerung der Energieanlagen und der Mediennetze wird nun aber eine nachhaltige Versorgung des Gesamtareals möglich; die CO2-Emissionen werden deutlich gesenkt.

Publikationsdatum
12-05-2016
Revision
12-05-2016

Das neue Bettenhaus besitzt eine imposante Dimension und gibt trotzdem nicht alles preis: Drei Geschosse liegen ganz oder teilweise im Boden; in den unterirdischen Etagen laufen die Stränge der Gebäudetechnik zusammen, und hier wird der störungsfreie Warenumschlag organisiert. Unter dem Neubau geht es noch weiter in die Tiefe: Ein Fundationsraster aus mehreren hundert Pfählen hält den Baukörper stabil. Die Sichtbarkeit der neuen Energie- und Medienversorgung verhält sich dagegen genau umgekehrt: Aus dem Boden ragt ein 46 m hoher Kamin. Dieser ist zwar ein repräsentabler Zylinder mit gedrechselter, elliptischer Form und feinem Schieferplattenmantel. Darunter verbirgt sich jedoch weit mehr; etwa eine 10 m hohe Halle für die Holzfeuerungsanlage sowie zwei Holzschnitzelsilos, in denen jeweils ein Einfamilienhaus Platz finden könnte.

Ebenso unsichtbar bleiben die Kanäle, Leitungen und Erdsonden, die neuerdings den Untergrund des Triemli-Areals durchbohren. Zeitgleich mit dem Bau des Bettenhauses ist die Energie- und Medienversorgung erneuert worden. Die Ansprüche an einen überdurchschnittlich sicheren und effizienten Spitalbetrieb, die Komfortbedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie die energetischen Absichten der Bauherrschaft lassen sich nämlich nicht nur mit einem Neubau erfüllen; das Areal ist auch auf die passende Infrastruktur aus innovativen, redundanten und erweiterbaren Technik- und Logistiksystemen angewiesen. Für die unterirdischen Blut- und Nervenbahnen hat die Stadt Zürich etwa einen Viertel dessen reserviert, was für die Gesamterneuerung zu investieren war. Die Gesamtkosten des Teilprojekts «Neubau Bettenhaus» betragen 290 Mio. Franken; das Teilprojekt «Energie- und Medienversorgung Gesamtareal (EMG)» kostet 115 Mio. Franken.

Weitgehend dezentral und redundant

Seit Herbst 2015 produziert die Energiezentrale Wärme und Kälte. Die vielfältigen Nutzer- und Anwendungsbedürfnisse werden weitgehend aus dezentralen, ökologischen Energiequellen gedeckt. Noch autarker ist die Stromversorgung ausgelegt: Das Spitalareal ist über zwei Unterwerke redundant am städtischen Mittelspannungsnetz angeschlossen; Unterbrüche in einem Unterwerk werden jeweils durch automatisches Umschalten überbrückt. Bei grossflächigen Stromausfällen springen derweil spitaleigene Generatoren an. Auch die internen Trafostationen sind redundant, damit die Umwandlung von Mittel- in Niederspannung und der Strombezug ab Steckdose jederzeit garantiert werden kann.


Kernstück im Energieversorgungskonzept ist jedoch die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft, woraus das Amt für Hochbauten ein Pilotprojekt entwickelt hat: Das Spital soll nach der Erneuerung nachhaltig und fast ausschliesslich mit erneuerbaren Energien betrieben werden können. Noch bevor der Architekturwettbewerb zum neuen Bettenhaus lanciert wurde, waren deshalb nachhaltige Energiekonzepte1 für das Gesamtareal gesucht. Die siegreiche Idee bestand darin, die Energiebedürfnisse nach thermodynamischer Wertigkeit aufzuteilen. Tatsächlich sind die einzelnen Wärme- und Kältenetze nun auf spezifizierte Temperaturniveaus ausgelegt, wobei die Anschlüsse für einzelne Anwendungsfälle untereinander kombinierbar sind.

Medizinische Behandlungen benötigen kochend heisses Wasser oder Dampf zur Sterilisa­tion (Hochtemperaturwärme bis 160 °C); der Gastronomie und der Hotellerie genügt warmes Wasser (Mitteltemperaturwärme bis 70 °C). Bettenzimmer und Betriebsräume sind derweil nur mit Niedertemperaturwärme (bis 38 °C) zu beheizen oder saisonal zu kühlen, wofür Hochtemperaturkälte (bis 18 °C) zur Verfügung gestellt werden muss. Einzelne Behandlungsräume und Geräte sind zudem auf eine Versorgung mit Niedertemperaturkälte (bis 10 °C) angewiesen. Die unterschiedlichen Temperaturbedürfnisse werden durch drei Energiezentralen und aus vier Energieträgern bereitgestellt. Haupt­gebäude und Bettenhaus sind an alle vier Temperaturstränge angehängt; Maternité und Behandlungstrakt benötigen weniger Anschlüsse an das Arealversorgungsnetz.

Die Planung der Wärme- und Kälteversorgung ini­tiierte das Amt für Hochbauten; sie wurde an ewz, das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich, übertragen, das die Energie- und Medienversorgung nun als Contracting-Lösung betreibt. Die Lieferung von
Wärme, Kälte und Strom soll dabei weitgehend CO2-neutral erfolgen, um der ursprünglichen 2000-Watt-Vision möglichst nah zu kommen.

Ambitionierter Absenkpfad

Die Holzschnitzelfeuerung mit einer Gesamtleistung von 2600 kW erzeugt Wärme vornehmlich für die Anwendungen im Hochtemperatur- und teilweise im Mitteltemperaturbereich. Mit Grün Stadt Zürich wurde eine Vereinbarung getroffen, dass Energieholz nur aus städtischen Wäldern und Grünflächen angeliefert wird. Derweil liefert ein Erdwärmefeld, das mit 92 je 200 m langen Erdwärmesonden erschlossen ist, zum einen – gekoppelt an zwei Wärmepumpen (Leistungstotal: 1120 kW) – die erforderliche Niedertemperaturwärme; zum anderen stellt es jegliche Hochtemperaturkälte direkt aus dem Untergrund bereit. Zusätzliche Ölkessel dienen als redundantes Ersatzsystem respektive decken die Spitzenlast in der Wärmeversorgung ab, wobei der fossile Produktionsanteil die 5 %-Schwelle im Jahresdurchschnitt nicht übersteigen soll. Das Gros des Kühl­bedarfs wird mit elektrisch betriebenen Kältemaschinen (Ammoniak als Kältemittel) erzeugt, wobei deren Abwärme im Wärmekreislauf weiterverwendet wird.

Seit der Spitaleröffnung vor knapp 50 Jahren wurde der Energiebedarf mit den fossilen Brennstoffen Erdgas und Heizöl abgedeckt. Demgegenüber hat die neue Energiezentrale den CO2-Ausstoss, trotz Zuwachs an beheizter und gekühlter Nutzfläche, ­bereits um 4000 t/a gesenkt. Der reguläre Spitalbetrieb verfolgt aber einen noch ambitionierteren Treibhausgas-Absenkpfad: Mittelfristig soll der Ausstoss um 80 % sinken, wobei bis dann auch das Haupt­gebäude instandgesetzt sein wird. Der Energiedienstleister ewz wird den Betriebsverbrauch laufend kontrollieren und die Monitoringresultate an der ursprünglichen Vision messen.

Aber auch die Lufthygiene ist zu beachten. Um die Emissionsvorschriften einzuhalten, sind die beiden Holzfeuerungskessel mit spezieller Filtertechnik ausgerüstet. Ein zweistufiges Rauchgasreinigungsverfahren reduziert die Feinstaubemission: Zuerst wäscht eine Wasserdusche die groben Staubpartikel aus den Abgasen. Ein Nasselektroabscheider entfernt die verbliebenen Feinpartikel elektromagnetisch. Das belastete Abwasser und das Rauchgaskondensat werden ebenfalls gereinigt.

Gebäudebezogene Massnahmen

Eine Besonderheit in der Energie- und Medienversorgung ist der hohe Innovationsanteil. Die nun realisierten Konzepte und installierten Anlagen wurden vor etwa einem Jahrzehnt initiiert, als einiges noch nicht Stand der Praxis war. Die ursprüngliche Absicht, die Tiefengeothermie als Energieträger zu verwenden2, musste zwar aufgegeben werden. Aber inzwischen haben sich andere Technologien wie beispielsweise grossflächige Erdsondenfelder zum Heizen und Kühlen etabliert; auch die Abwärmenutzung von Kältemaschinen gehört mittlerweile zur Standardausrüstung einer zeitgemässen Gebäudetechnik. Insofern dürfen die Auftraggeber, die Autoren und die Planer des EMG-Konzepts für sich in Anspruch nehmen, den technischen Fortschritt im Gebäude- und Energiesektor bedeutend mitbeeinflusst zu haben.

Auch das Bettenhaus besitzt baulich und technisch innovative Elemente: Als erster Spitalbau der Schweiz ist das Gebäude im Passivenergiestandard projektiert und mit dem Label Minergie-P-Eco zertifiziert worden. Ohne solch geringen Energiebedarf wäre die effiziente Wärme- und Kälteversorgung mit Erdwärme thermodynamisch wenig sinnvoll gewesen. Ein klimatechnisches Pionierwerk sind zudem die Lehmdecken in den Bettenzimmern: Die Wasseraufnahmekapazität im 2.5 cm dick aufgetragenen Verputz hilft, die Luftfeuchtigkeit ohne technische Installation und zusätzlichen Energieaufwand aus­zugleichen. Die Abwärme der anwesenden Personen, der Leuchten und Geräte sorgt gemeinsam mit dem passiven Solargewinn jedoch dafür, dass die Bettenzimmer vorwiegenden Kühlbedarf besitzen. Um die jeweilige Balance in der Klimaregulierung zu finden, sind unter anderem Sonnenstoren, LED-Beleuchtung und viele andere technische Installationen miteinander über ein Gebäudeautomationssystem verbunden.

Der hohe Technisierungsgrad macht das neue Bettenhaus selbst zu einer Maschine, die auf digitale Daten, Befehlen, Aktionen oder Alarminterventionen unmittelbar reagieren kann. Die Steuerung der Raumtemperatur, des Luftwechsels im Alltag oder von Rauchabzugsanlagen und Brandschutztüren bei Feueralarm organisiert ein Leitsystem, das über insgesamt fast 20 km lange Glasfaserstränge kommuniziert. Die Kommunika­tionskanäle beschränken sich aber nicht nur auf das neue Bettenhaus, sondern vernetzen neuerdings auch die bestehenden Bauten; ebenfalls als Teil der unterirdisch weitverzweigten und vielfältigen EMG-Infrastruktur.

Anmerkungen

  1. Studienauftrag im selektiven Verfahren über das Gesamtareal des Stadtspitals Triemli für Gebäudetechnik, Energie und Nachhaltigkeit; Bericht des Beurteilungsgremiums, AHB Stadt Zürich 2004.
  2. Erkundungsbohrung Sonnengarten im Triemli-Quartier Zürich; Schlussbericht, ewz 2014.

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