Ein ro­bus­ter Stadt­bau­stein macht den An­fang

Vertikale Gartenstadt; zweistufiger Studienauftrag im Konkurrenzverfahren

Die Einhausung Schwamendingen bringt in der Zürcher Vorstadt einen Stadtumbau in Gang. Dabei setzt der Wettbewerb zur Überbauung des Amag-Areals mit gut 200 kompakten Wohnungen auf architektonische Qualitäten und die Transformationsfähigkeit der Gartenstadtidee.

Publikationsdatum
01-12-2020
Lucia Gratz
Dipl. Architektin TU/ MAS ETH SIA, Journalistin MAZ

Der Bau der Autobahnüber­deckung in Zürich Schwamendingen schreitet voran. Noch dröhnt und windet sich der Verkehr zwischen den Häusern der Vorstadt hindurch. Auf einer der lärmgeplagten Parzellen an der Schneise steht die Werkerei, ein tiefer dreigeschossiger Gewerbebau. Hier handelte früher die Amag mit Autos, seit 2011 wurde das Gebäude als Zwischennutzung in der Kreativwirtschaft beliebt. Mittlerweile steht es in der vom Baugeschehen zerwühlten Umgebung wie ein Relikt, denn der Gestaltungsplan von 2017 sieht für dieses Areal anderes vor: Die 900 m lange Einhausung wird das Quartier zwar künftig immer noch durchschneiden, doch auf ihr soll mit dem Überlandpark ein städtischer Freiraum in 7 m Höhe entstehen, der die Quartierteile verbindet. Erst die Ein­hausung wird hier eine hohe Wohnqualität gewährleisten, weshalb die Stadt die angrenzenden Parzellen zu einem Gebiet für verdichtetes Wohnen bestimmt hat.

Stadtumbau

Kurz nach Baubeginn lobte die Grundeigentümerin Moyreal Immobilien Ende 2018 einen eingeladenen, zweistufigen Wettbewerb aus. Unter dem Titel «Vertikale Gartenstadt» sollte über die Zukunft des Amag-Areals als Wohnüberbauung mit etwa 250 Einheiten entschieden werden. Es ging um Veränderung und um Bewahrung, um höhere bauliche Dichte und um Fortführung des städtebaulichen Charakters im Gartenstadtquartier. Der Ausloberin ging es aber auch um die architektonische Umsetzung einer Immobilienstrategie, die sich vom Angebot des genossenschaftlich dominierten Wohnumfelds abgrenzt. Mit kompakten Wohnungsgrössen von 40 bis 75 m² wendet es sich schwerpunktmässig an Alleinwohnende, Paare oder Kleinfamilien und gestaltet auch damit den Umbau der Bewohnerstruktur in diesem Stadtquartier aktiv mit.

Im Gestaltungsplan ist weiterhin eine Zeilenbebauung quer zum Überlandpark vorgesehen, in der das Wohnen im Kleinhaushalt neu mit zusätzlichem privatem Aussenraum stattfinden soll. Was eine Ausnutzung von 1.5 für die heutige Umgebung bedeutet, zeigen die sieben eingereichten Projekte: Neben den beschaulichen Vorstadtzeilen entstehen 7-Geschosser und mit ihnen ein Sprung im städtebaulichen Massstab. Manche begegnen dem Mehr an Höhe und Tiefe mit einer freien Interpretation der Zeile – den drei Projekten der letzten Runde von Esch Sintzel Architekten, E2A  Architekten und Robertneun / Penzel Valier ist die Konsequenz ihrer jeweiligen städtebaulichen Haltung gemeinsam. Eine bewusste Vermittlung zu den bestehenden Schwa­mendinger Zeilen und zur neuen Einhausung macht jedoch nur das Siegerprojekt «Structure Verte» der ARGE Robertneun/Penzel Valier. Es kombiniert eine höhere und eine tiefere Zeile zur Doppelzeile und verwebt die beiden Massstäbe gekonnt zu einem neuen Rhythmus. Im Sinn der «Urbanisierung der Gartenstadt» will das Projekt ein «Pilot­projekt des Stadtumbaus» sein.

Kritische Stimmen mehren sich in letzter Zeit zu Sinn und Ausmass der Tabula rasa in den Zürcher Vorstädten – der im Wettbewerb gewählte städtebauliche Ansatz macht sie erträglicher, indem er die Verwandlung thematisiert. Im Bewusstsein, den Anfang am Überlandpark zu machen, ist er «ein robuster städte­baulicher Baustein mit Vorbildcharakter für die künftige Entwicklung», bescheinigt ihm die Jury.

Private Gärten zur Aneignung

Je dichter gebaut wird, desto wichtiger wird die Qualität des Freiraums. Auch in Schwamendingen ist er für die Einfalt eines ge­pflegten Abstandsgrüns zu kostbar geworden. Indem das Programm Gärten als wesentliche Teile aller Wohnungen formuliert, fordert es die Teams zur vertieften Auseinandersetzung mit privaten und öffentlichen Aussenräumen auf.

Einen Mehrwert verfolgt das Projekt von Esch Sintzel Architekten mit der poetischen Idee vom Leben nahe den Baumkronen. Die konkav geschwungenen Zeilen der beiden Häuser und der radiale Wuchs der Bäume bedingen einander. Im Erdgeschoss wohnt man in den lichten Wald hinaus. Die Architekten nehmen sich dafür in der Unterbauung der Gebäude stark zurück. Ganz anders ist im Projekt von E2A Architekten aufgrund der grossflächigen Unterkellerung eine tief wurzelnde Bepflanzung nur in einzelnen Baumgruben möglich. Den drei schlanken Zeilen ist eine gerasterte Pergolastruktur vorgesetzt, die ­Laubengänge und Gartenräume aufnimmt und so dem Grün betonte Rationalität entgegensetzt.

Robertneun/Penzel Valier schlagen in ihrer Deutung der «vertikalen Gartenstadt» einen anderen Weg ein: Keine spezifische Stimmung, sondern die Vielfalt an Gartensituationen bestimmt die Gesamt­idee. In «Structure Verte» ist der Garten mehr als das Baum- oder Wiesengrün zwischen den Zeilen: Er ist integraler Teil der Wohntypologien. Im Erdgeschoss bilden Patiowohnungen den Sockel für die Doppelzeile, Maisonetten mit Vorgärten und Geschosswohnungen mit Gartenzimmern stapeln sich darüber. In die Brüstung integrierte Betontröge regen zum Gärtnern an und helfen die Fassade zu begrünen. Zwischen den Häusern und auf den Laubengängen entstehen nachbarschaftliche Begegnungsorte.

Wohnqualität in der dritten Dimension

Was in der Länge der Doppelzeilen mit 12 bis 22 rigide aneinandergereihten Wohnungen einen hohen Repetitionsgrad aufweist, macht seine eigentlichen räumlichen Qualitäten auf überraschend vielfältige Weise im Schnitt sichtbar. In der vertikalen Kombination der sechs Wohnungstypen lässt sich das gesamte Projekt erkennen: Sie erzählt vom bewussten Entwerfen mit differenzierten Raumhöhen. Es gibt Maisonette-Atelierwohnungen mit zweigeschossigen, aber auch niedrigen Räumen genauso wie Wohnungen, die sich in der Horizontalen entwickeln. Zusammen bilden sie eine Schnittfigur, die mit Laubengängen, Terrassen und Vorgärten einen Akzent auf die Schwellenräume der Wohnungen setzt.

Eine Gegenposition bezieht das Projekt von Esch Sintzel Architekten: Um jeder Wohnung eine Raumlichte von knapp drei Metern zu bieten, verteilen sie die Mehrhöhe gleichmässig über die Geschosse und nennen das «Kompensation». Erst so könne auf 40 m² die Grosszügigkeit entstehen, die man von begehrten Gründerzeitwohnungen kenne. Mit Lufträumen in den erdgeschossigen Maisonetten und allgemein etwas mehr Raumhöhe ­verwenden E2A Architekten beide Ansätze, um zusätzliche Wohnqualität in der dritten Dimension zu erzeugen. Wie die Wohnungstypologien, so wirkt in diesem Projekt auch der Städtebau klar geordnet in seinen Aussenräumen und Durchwegungen. Dieser Eindruck kommt nicht zuletzt von der alles überziehenden Per­golastruktur, die als kleinteiliges Raumgitter den Ausdruck eines «makellos weissen Setzkastens» prägt – doch ist dies das Schwamendingen der Zukunft?

Der Juryentscheid für das robuste, vielfältige Projekt von Robertneun / Penzel Valier gibt darauf indirekt eine Antwort. Um in seiner brutalistischen Anmutung jedoch nicht die Erinnerung an ein Gestern zu sein, sondern dringende Fragen der Gegenwart zu beantworten, fordert die Jury zu Recht, in der­ ­Weiterbearbeitung verstärkt übergeordnete Themen zu behandeln. Der Anblick monumentaler Stirnfassaden in Sichtbeton fragt fast schon automatisch: Wie wird hier Nachhaltigkeit gedacht? Und welche ­Ideen gibt es zur Aktivierung des Erdgeschosses für das Stadtquartier?

Pläne und Jurybericht zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Siegerprojekt

«Structure Verte»
Robertneun, Berlin / Penzel Valier, Zürich

Projekte 2. Stufe

Esch Sintzel Architekten, Zürich
EM2N, Zürich
E2A Architekten, Zürich

Projekte 1. Stufe

Atelier Abraha Achermann, Zürich
Adrian Streich, Zürich
Staufer & Hasler, Frauenfeld

FachJury

Michael Hauser, Architekt, Zürich; Jakob Steib, Architekt, Zürich; Caspar Bresch, Leiter Architektur, Amt für Städtebau, Zürich; Elli Mosayebi, Architektin, Zürich; Matthias Krebs, Landschaftsarchitekt, Winterthur

SachJury

Valentin Müller, CEO, UTO Real Estate Management, Zürich; Niels Lehmann, Projektentwicklung, UTO Real Estate Management, Zürich; Bruno Fritsch, Portfoliomanager, Pensimo Management, Zürich

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