Ein Stück Schweizer Regenwald ist zurück
Renaturierung der Rheinaue Rietheim
Auen werden auch als «Regenwälder der Schweiz» bezeichnet: Sie beherbergen eine enorme Vielfalt an Pflanzen und Tieren, wurden in den letzten 200 Jahren aber bis auf wenige Restflächen zerstört. Im Kanton Aargau gibt man seit 20 Jahren Gegensteuer und hat nun am Rhein bei Rietheim zusammen mit Pro Natura eine weitere Aue renaturiert.
Auen sind Gebiete entlang von Flüssen oder Seen, die sich durch einen ständigen Wechsel von Überflutung und Trockenheit auszeichnen. Die dadurch entstehende Vielfalt an Lebensbedingungen macht sie zu den artenreichsten Ökosystemen Europas. Die Verbauung der Flüsse für Hochwasserschutz und Stromgewinnung und die Trockenlegung von Landflächen haben die ihnen eigene Dynamik jedoch vielerorts zerstört. Rund 90 % aller ehemals in der Schweiz existierenden Auen sind heute verschwunden, und mit ihnen auch viele der dort heimischen Tier- und Pflanzenarten.
Auen: 1% der Kantonsfläche
Der Kanton Aargau hat 1993 dank einer Volksinitiative den Auenschutz in der Verfassung verankert und ist seither daran, Schritt für Schritt einen Auenschutzpark auf mindestens 1 % seiner Kantonsfläche zu realisieren. Ein wichtiges Puzzlestück dieses Parks war die Renaturierung der Aue Rietheim an einem Seitenarm des Rheins, dem «Chly Rhy», die der Kanton von April 2014 bis Juni 2015 zusammen mit Pro Natura Aargau durchgeführt hat.
Rietheim, zwischen Koblenz und Zurzach gelegen, befindet sich an der einzigen längeren ungestauten Fliessstrecke des Hochrheins. Die nur noch in Teilen vorhandene Aue war daher prädestiniert für eine Wiederherstellung. Trotzdem ging es mit der Umsetzung lange nicht voran. Erst als die Thermalbad Zurzach AG ihr Land im Auenperimeter im Tausch gegen ein anderes Gebiet an Pro Natura übertrug, rückte sie in Reichweite.
In einem zweiten Schritt konnten im Rahmen einer Mediation die Widerstände der lokalen Landwirte und der Gemeinde Rietheim gegen eine Umlegung von Ackerflächen ausgeräumt werden. In Form einer Begleitgruppe nahmen Anwohner und Landwirte während des Projekts Einfluss, erläutert Ulysses Witzig, Co-Projektleiter von Pro Natura Aargau. So einigte man sich beispielsweise darauf, dass Ackerflächen im Auenperimeter für eine Übergangsphase von sechs Jahren noch wie bisher bewirtschaftet werden dürfen, bevor sie zu extensiv genutzten Wiesen oder Weiden werden.
Aufschüttungen entfernt
Im April 2014 begannen die Bauarbeiten, die insgesamt 9.3 Mio Franken kosteten. Der Chly Rhy war 90 Jahre zuvor im Einströmbereich zugeschüttet und damit vom Rhein abgeschnitten worden. Auch ein Grossteil der Feuchtflächen in der Aue war aufgeschüttet und trocken gelegt worden.
Damit gewann man zum einen neues Ackerland; zum anderen gehörte dies in den 1960er-Jahren zu den Vorbereitungen für den Bau eines Wasserkraftwerks, das dann aber nie realisiert wurde. Im Rahmen der Renaturierung machte man diese Eingriffe rückgängig. So wird der Chly Rhy nun wieder auf seiner ganzen Länge von 1.5 km durchflossen. Um die Hochwassersicherheit im Gebiet nicht zu verschlechtern, begrenzt ein neues Einlaufbauwerk die maximal einströmende Wassermenge.
Mit der grossflächigen Entfernung der Aufschüttungen im Mündungsbereich des Seitenarms, ist ein rund 3 ha grosses Überschwemmungsgebiet entstanden, in dem Schwarzpappeln und Silberweiden wachsen – zwei für Auen typische Baumarten, denen «nasse Füsse» nichts ausmachen. Ein Teil des Aushubs wurde zum Bau einer Kies- und Sandbank als Trockenstandort verwendet, wie es sie früher auch im Rhein gab. Zwischen Rhein und Chly Rhy wurden ausserdem zahlreiche Tümpel und Grundwasserweiher in verschiedenen Grössen ausgehoben, so dass die verschiedenen Amphibienarten jeweils für sie optimale Lebensbedingungen vorfinden.
Schnelle Rückkehr
Er sei überrascht gewesen, wie schnell viele der für Auen typischen Arten zurückgekehrt seien, erzählt Ulysses Witzig. Obwohl die renaturierte Aue erst im Juni eingeweiht wurde, seien bereits alle im Rheintal heimischen Amphibienarten beobachtet worden. Auch Eisvögel hätten an mehreren Stellen des eigens angelegten Steilufers gebrütet.
Damit sich Pflanzen und Tiere ungestört ausbreiten können, darf die innere Zone der insgesamt 35 ha grossen Aue nicht betreten werden. Trotzdem bieten neu angelegte Wege, Brücken und zwei Beobachtungsposten genügend Möglichkeiten, damit auch der Mensch diese Naturoase erleben kann. Damit die Besucher möglichst wenig stören und dadurch die Tiere auch besser beobachten können, wurde beispielsweise ein Aussichtsturm mit lebenden Weidenruten getarnt und der zu ihm führende Steg einseitig verschalt.
Beim Pflanzen der Weidenruten für diesen «Weidenpalast» legten auch lokale Schulklassen mit Hand an – eine der Massnahmen, um die Akzeptanz des Projekts bei den Anwohnern zu fördern. Auch bei der Mehrheit der ortsansässigen Landwirte sei die anfängliche Skepsis einem wohlwollenden Pragmatismus gewichen, meint Ulysses Witzig. Die Extensivierung von Ackerflächen wird mit ökologischen Ausgleichszahlungen abgegolten. Und wenn Witzig fast jede Woche Exkursionen durch die neue Aue führt, können die Teilnehmer auch bei einem der Landwirte einkehren oder im Stroh übernachten.