Ent­de­cken, Ver­ste­hen, För­dern, Ver­knüp­fen

Das sind die Tätigkeiten, um die sich das Lebenswerk der Schweizer Innenarchitektin Verena Huber seit mehr als 50 Jahren dreht. Ihr soziales Engagement findet sowohl in den Bauaufgaben als auch in entsprechenden Netzwerken Ausdruck: Innenarchitektur betrifft uns alle.

Publikationsdatum
25-05-2023

Dazu, dass der Begriff der Innenarchitektur heute nicht mehr auf extravagante, möglichst bunte Räume mit geringer Lebenserwartung beschränkt ist, mag das Engagement von Verena Huber beigetragen haben. Sie versteht die Bedeutung aufmerksamer Raumgestaltung als eine Qualität, die besonders in prekären, vernachlässigten baulichen Umfeldern ihre Kraft und ihre Daseinsberechtigung entfaltet.

Geboren 1938 in Basel, besuchte sie als Schülerin von Willy Guhl die Kunstgewerbeschule Zürich. 1967 gründete sie dort ihr eigenes Innenarchitekturbüro, seit 2001 ist sie noch beratend tätig. Im Rahmen der Schweizerischen Wohnbauforschung betrieb sie Studien und gab Publikationen heraus, die zu Aufbau und Leitung einer Dokumentationsstelle für Öffentlichkeitsarbeit und Unterricht zum Thema Wohnen führten. Mit ihrem Innenarchitekturbüro hat sie Bibliotheken, Hotels und Cafés sowie Schiffe auf dem Bodensee und der Zürichsee-Linie ausgestattet.1

Um der weitverbreiteten Reduktion der Innenarchitektur auf die Gestaltung von Edelimmobilien entgegenzuwirken, setzt sich Verena Huber auf unterschiedlichen Ebenen für Erkenntnisgewinn ein. Sei es durch Publikationen, mit denen sie innerhalb der Baubranche die Wahrnehmung der Innenarchitektur als ebenbürtiger Teil der Baukultur einfordert,2 sei es gegen­über Studierenden in der Lehre, die sie stets ermutigt, ihren ureigenen Fragen nachzugehen. Vor allem aber, indem sie mit einer gewissen Abenteuerlust ­Grenzen infrage stellt und nicht selten überschreitet. Grenzen, die zwischen Berufsgruppen, Generationen und Kulturkreisen bestehen. Sie selbst sagt es so: «Krea­tivität ist eine Lebenshaltung und nicht bloss die Fähig­keit, Objekte zu gestalten. Die kreativsten Leute finde ich nicht unbedingt in Entwurfsberufen».3 

Und wie der Produktdesigner Jörg Boner es in seiner Laudatio zu ihrem Lebenswerk treffend benennt, dreht sie diesen Satz für sich selbst um: «Was sie alles tut und tat, das sprengt den Rahmen ebendieser Entwurfsberufe bei Weitem. Als Innenarchitektin sieht sie sich als Vermittlerin zwischen Haus und Mensch. Pläne zeichnen, das tut sie vielleicht heute nicht mehr so oft. Aber Pläne schmieden, das gehört zur eben ­erwähnten Lebenshaltung. Und selbst­verständlich ist einer dieser Entwurfsberufe ihr Lebenselixier.»4

Getrieben von einer Neugierde dem Unbekannten gegenüber, schafft sie es, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen und Brücken zu bauen. Zusammen mit Martin Bölsterli (Innenarchitekt) und Susanne Rock (Architektin) entstand 2005 infolge eines Workshops von MitOst, Verein für Kultur- und Sprachaustausch, die Idee, Wohnsituationen in Osteuropa zu erforschen, um sie mit den hiesigen Gewohnheiten in Vergleich zu setzen.

Über das Wohnen sprechen

Ihr besonderes Interesse für die Formen des Wohnens führte zum Projekt «Türen auf – wie wohnen wir, wie wohnen andere?». Über Dozierende, die in deutscher Sprache unterrichteten, gelangten sie in Lettland, Rumänien, der Slowakei, Belarus und Russland an die unterschiedlichsten Familien und WGs, die sich bereitfanden, ihre privaten Räume zu zeigen. Die Beteiligten sorgten für die fotografischen Dokumentationen, ergänzten sie mit Skizzen der möblierten Wohnungsgrundrisse und stellten Fotos und Berichte von den Menschen in ihrer persönlichen Umgebung ins Zentrum der Ausstellung. In den folgenden Jahren wanderte die Ausstellung durch neun Länder. Verpackt in zwei tragbare Kisten, reisten die Tafeln stets mitsamt Vertretern des Teams, denn letztlich ging es neben einer möglichst unkomplizierten Logistik auch im Folgenden immer um den Austausch mit anderen Interessierten.

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Neben den verschiedenen Formen der Netzwerk­arbeit und Ausstellungsprojekten gerät es fast in den Hintergrund, dass Verena Huber von 1967 bis 2002 ein Innenarchitekturbüro betrieben hat. Basierend auf ihren Erfahrungen mit einer sich stets im Wandel befindenden Wohnrealität entstanden Möbel und Einrichtungen, die entweder modular und veränderlich oder aber so neutral gestaltet sind, dass sie in unterschiedlichsten ­Zusammenhängen eingesetzt werden können. Das für sie so typische Vorgehen fasst Jörg Boner stimmig zusammen: «Schon in einem frühen Projekt zeichnet sich ab, wie Verena Huber Innenarchitektur versteht: in Kooperation, zukunftsgerichtet und nahe am Menschen. Zusammen mit Architekten und Innen­architekten aus der Werkbund-Ortsgruppe Zürich bearbeitete sie 1974 Grund­risskonzepte für vier Familientypen, die sie der Firma Ernst Göhner als Anregung für ein Neubauprojekt nahelegten. Für die Siedlung Benglen entstand eine Musterwohnung für die Familie 1. Das Team hat bewusst die­jenige Familie ausgewählt, die besondere Ansprüche an die Wohnung stellt. Die Entwicklung der Kinder im Vorschulalter wird wesentlich durch ihre Bewegungsfreiheit innerhalb der Wohnung beeinflusst. Ausserdem fällt der räumliche Engpass oft auch mit einer finanziellen Einschränkung zusammen, da die Eltern durch den Beruf und die Kinder zeitlich stark in Anspruch genommen werden (nachzulesen in der Publikation «16x die gleiche Wohnung»).

Im weiteren Schaffen sind zwei Projekte hervorzuheben, die exemplarisch sind für Verena Hubers Arbeitsweise. Mit dem 1973 erhaltenen Auftrag, die Wollabteilung für den «Wollenhof» in Bern zu entwerfen, stellte sie auf eigene Verantwortung deren ganzes Ordnungsprinzip um: Der Verlauf der nach Farben und nicht wie üblich nach Material sortierten Knäuel verlieh der Verkaufsware die ihr gebührende Präsenz. Der formal strenge Innenausbau hätte ebenso gut zu einem Werkzeughandel gepasst und unterstrich die sachliche Einordnung des Themas Handarbeit. In einem früheren Gespräch mit dem Auftraggeber hatte sie die rückständige Vorstellung von dekorativen Handarbeiten bemängelt, der sie aufgrund eigener Erfahrung mehr Potenzial für Kreativität beimass. Unter der Bedingung, dass sie eigenhändig Räumlichkeiten für einen weiteren Standort finden würde, sicherte der Bauherr ihr einen Folgeauftrag zu, bei dem sie das Konzept ganzheitlich gestalten könne. So geschehen in der «Hand-Art» am Neumarkt in Zürich. Ergänzend entwickelte sie mit dem Team eigene Strickvorlagen, die nicht linear dem Arbeitsvorgang folgten, sondern diesen grafisch umsetzten. Hier ging es nicht mehr um eine stille Beschäftigung, sondern um die Förderung von individuellen kreativen Ideen. Die Bögen wurden mit der Wolle zusammen verteilt, sodass Verena Hubers emanzipierte Haltung gegenüber der Handarbeit Verbreitung fand und im weiteren Verlauf sogar zur Eröffnung einer Schule für Textiles Gestalten führte.

Arbeiten für die Öffentlichkeit

Das Weiterdenken in bestehenden Zusammenhängen kam auch bei einer ganz anders gelagerten innenarchitektonischen Aufgabe zum Ausdruck: der Ausstattung von Kursschiffen auf dem Bodensee und dem Zürichsee. Zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Eliane Schilliger hat Verena Huber ihrem Entwurf für die MS Zürich der SBB-Bodenseeflotte das wichtigste Gestaltungselement, nämlich den Ausblick auf die umgebende Seeoberfläche und den Horizont, zugrunde gelegt. Die Innenausstattung bleibt unterhalb oder seitlich der Fensteröffnungen und überlässt der Aussicht die Hauptrolle. Farblich bewegt sich die Möblierung zwischen dem unaufgeregten Graublau, das so typisch für die dunstige Seelandschaft ist, und klar behandelten Holz­einbauten. Die Einbauten passen sich also entweder dem Schiffskörper oder der umgebenden Landschaft an. Indem Verena Huber durch den Innenausbau keine weitere Sprache hinzufügt, öffnet sie den Raum für die eigentlichen Protagonisten.

So vehement ihr Einsatz für die ganzheitliche Bedeutung und Wahrnehmung von Innenräumen ist, so selbstverständlich fügen sich ihre Entwürfe in bestehende Zusammenhänge ein. Anders als Luigi Snozzi es forderte, setzt ihr Gestaltungsansatz nicht die Zerstörung des Vorhandenen voraus, im Gegenteil: Ihr bietet es den Humus, aus dem neue Geschichten wachsen können. Welche neuen Spuren dabei entstehen, beobachtet und kommentiert sie mit andauernder Abenteuerlust.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 17–18/2023 «Raumgestaltung nahe am Menschen».

Anmerkungen

 

1 Arthur Rüegg (Hg.), Schweizer Möbel und Interieurs im 20. Jahrhundert, Basel: Birkhäuser 2002.

 

2 VSI.ASAI., Alfred Hablützel, Verena Huber (Hg.), Innenarchitektur in der Schweiz 1942–1992, Sulgen: Niggli-Verlag 1993.

 

3, 4 Aus der Laudatio von Jörg Boner zur Verleihung des Grand Prix Design 2022 an Verena Huber. Jörg Boner, Designer, Präsident Jury GPD BAK: www.joergboner.ch

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