Yves Eb­nö­ther: Di­gi­tal Hand an­le­gen

Die Wiederverwendung von Materialien kann Ressourcen sparen. Yves Ebnöther, Designer und Dozent am Zentrum Bautechnologie und Prozesse der ZHAW Winterthur, erforscht mittels halbdigitaler Fertigung, wie sich Re-use-Möbel in grossem Stil herstellen lassen und welche Faktoren zu ihrer Marktfähigkeit beitragen.

Publikationsdatum
03-10-2024

TEC21: Herr Ebnöther, Sie haben im Rahmen Ihrer Dozentur an der ZHAW mit Studierenden Möbel aus recycelten Materialien gebaut. Können Sie mehr über dieses Projekt erzählen? 

Yves Ebnöther: Ich habe vor drei Jahren mit dem Kurs «Parametric Off-Cut Furniture» begonnen. Es ging darum, dass Architekturstudierende Möbel aus Off-Cut, also Materialresten, mit digitaler Fertigung, das heisst einer CNC-Fräse, bauen. Mir ist es sehr wichtig, das Ganze mit Technologie zu verknüpfen, also mit der prototypischen industriellen Fertigung. So lassen sich hochwertige Produkte herstellen, um auch Leute anzusprechen, die von Recycling nicht so viel halten. Dabei wird auf zirkuläre Konstruk­tionen und auf klebefreie Verbindungen Wert gelegt.

Ein wichtiges Puzzlestück im Prozess ist eine Maschine: eine handgeführte CNC-Oberfräse. Sie hat eine spezielle Mechanik, die die Frässpur korrigiert. Auf einem Tablet an der Fräse ist die eigene Zeichnung zu sehen, und die Maschine zeigt an, wo man schneiden muss. Das heisst, die grossen Bewegungen macht man mit der Hand und die kleinen korrigiert die Maschine.

Das hat zur Folge, dass man sehr präzise Teile ausschneiden kann, wie zum Beispiel einen Kreis oder Holzverbindungen, die auf den Zehntelmillimeter genau passen. Diese Maschine ist günstiger als grosse Fräsen und man lernt sehr schnell, mit ihr umzugehen. Wir machen dafür einstündige Einführungsveranstaltungen; am Ende haben alle Teilnehmenden passgenaue Holzverbindungen hergestellt. Die Maschine ist nicht gefährlich, nicht sehr laut und man muss auch kein CAD-Profi sein, um mit ihr umzugehen. 

In einem anderen Interview haben Sie sinngemäss gesagt, die heutigen Designerinnen seien dazu ausgebildet, attraktive Wegwerfprodukte zu gestalten. Muss sich an der Haltung der Gestaltenden etwas ändern, um kreislauffähig produzieren zu können?

Ich glaube nicht, dass es ein Haltungsproblem von Designern ist, sondern ein grundsätzliches Problem wirtschaftlicher Prozesse. Ein grosser Teil der Wirtschaft basiert darauf, laufend neue Produkte herzustellen, rauszubringen und zu verkaufen. Man ist es nicht gewohnt, zirkuläre Produkte herzustellen und Reparaturen einzuplanen, Pioniere ausgenommen. Das sehen wir auch an der ZHAW in der Forschung, wo wir zusammen mit Unternehmen versuchen, neue Geschäftsmodelle zu etablieren; das sind ganz neue Prozesse. Die meisten Unternehmen sind gut darin, das Material zu beziehen, zu verarbeiten, ein Produkt daraus zu machen und es dann zu verabschieden. Das ist der lineare Fertigungsprozess. Wenn man anfängt, diesen zu verbiegen und das Ende an den Anfang zu bringen, dann ergeben sich ganz neue Herausforderungen. 

Dieser Beitrag ist erschienen in TEC21 22/2024 «Kreislaufwirtschaft: Faktor Mensch»

Beim Bauen passiert schon viel in Richtung Nachhaltigkeit, aber es lässt sich schwer einschätzen, ob es wirklich vorangeht. Wie ist das im Design?

Beim Bauen gibts Regularien, die den Fortschritt hemmen und viele Unternehmen, die gut daran verdienen, konventionell zu bauen. Im Design haben sich einige tolle Initiativen entwickelt. Manche arbeiten mit biologisch abbaubaren Materialien, einige bieten Taschen zum Mieten an und wieder andere stellen Turnschuhe her, die komplett aus einem Material bestehen. Nimmt die Materialvielfalt ab, lässt sich ein Produkt viel einfacher recyceln. 

Grundsätzlich ist es ja etwas Schönes, sich ab und zu mal etwas Neues zu gönnen. Wichtig ist, dass schädliche Bestandteile substituiert und die Produkte «grüner» werden, sodass sich die ökologisch negativen Auswirkungen des Konsums verringern. 

Aber ähnlich wie in der Architektur muss man im Design lernen, mit dem Bestehenden zu arbeiten. Eine Kreislaufexpertin wies mich kürzlich auf den Umstand hin, dass Spanplatten in grossen Mengen vorhanden seien. Ursprünglich waren sie weder für die Wiederverwendung vorgesehen noch war eine umweltschonende Entsorgung geplant. Nun sind Spanplatten nicht unbedingt das Material der Wahl, wenn man an edles Möbeldesign denkt, aber es gibt viele davon. Wir müssen eine Nutzung für Materialien finden, die vielleicht nicht allen Ansprüchen genügen, aber nun einmal da sind. In der Fortsetzung meines Projekts «Stool around the world» werden wir ebenfalls mit Spanplatten arbeiten. 

Was ist das für ein Projekt?

«Stool around the world» hat 2010 in Addis Abeba angefangen. Das Prinzip ist einfach: Wir haben ein Schnittmuster entworfen, mit dem man aus einer Platte einen kompletten Schemel herstellen kann. Ich habe mit diesem Schnittmuster dann an verschiedenen Orten gearbeitet und gemerkt, dass es mühsam ist, die Datei jedes Mal neu auf ein anderes Material und eine andere Plattenstärke einzustellen und deshalb einen Konfigurator programmiert. Dort kann man nun seine Masse eingeben, verschiedene «Typen» auswählen (nicht nur Hocker, sondern auch Stühle und Bänke) und die Materialstärke einstellen. Letzteres führt dazu, dass man auch bei unterschiedlich dicken Platten Teile erhält, die präzise und ohne Leim zusammengesetzt werden können. 

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Ist der Konfigurator online frei zugänglich? 

Der Konfigurator ist in meiner Zeit beim «Fablab Zürich» entstanden, war von Anfang an Open Source und ein Experiment. Jetzt, fast zehn Jahre später, gibt es eine zweite Version davon. Wir machen parallel zum Publikationstermin dieses Hefts einen Workshop im MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien. Das Museum hat im Verlauf des Sommers alte Plattenmaterialien von Ausstellungen, unter anderem auch Spanplatten, gesammelt. Dafür haben wir an der ZHAW einen Konfigurator fürs Mobiltelefon programmiert. So können sich die Teilnehmenden vorher überlegen, ob sie einen Stuhl, eine Bank oder einen Hocker machen wollen, dies auf dem Mobil­telefon konfigurieren, speichern und am Workshop mit der CNC-Handfräse selbst herstellen. 

Für mich war das eine Herausforderung, da wir Zeitfenster von vier Stunden mit vier Personen haben und jede Person ein fertiges Möbel produzieren soll. Das bedeutet, wir müssen relativ schnell herausfinden, was diese Personen sich gestalterisch wünschen. Der Konfigurator musste also so programmiert werden, dass es genug interessante Optionen gibt, zugleich aber einfach genug, damit es nicht ausufert. Wir hatten von Anfang an einige fixe Herstellungs­parameter: Die Grösse des Materials, die Bearbeitungszeit und es musste als Serie funktionieren, da wir die Möbel ein paar Wochen später an der «Vienna Designweek» ausstellen wollen. 

Inwiefern bestimmte das Werkzeug das Werk, und welche gestalterischen Herausforderungen ergaben sich dadurch für Sie?

Ich habe gemerkt, dass ich innerlich zwiegespalten war, da das Objekt, das mit dem Konfigurator entsteht, zunächst einmal nur ein konstruktives System ist. Die Teilnehmenden könnten die Form der Platte eigentlich auch frei wählen; es gibt keine konstruktiven Gründe, warum das nicht möglich sein sollte. Wir haben sogar überlegt, es auf die Spitze zu treiben, indem man mit dem Finger auf dem Handy eine freie Form zeichnet, die dann so gebaut würde. Aber das wäre zu betreuungsintensiv und würde als Serie nicht funktionieren. Das andere Extrem wäre ein vordefinierter Hocker, bei dem die Teilnehmenden lediglich die Plattenstärke wählen können. Für mich bestand die Herausforderung darin, einen Mittelweg zu finden und die Regeln so zu definieren, dass verschiedene Möbeltypen hergestellt werden können, genügend Optionen zum Gestalten vorhanden sind und die Ausführung in kurzer Zeit machbar wird.Aktuell kann man Länge, Breite, Höhe, Materialstärke und Eckradius einstellen. 

Wie hat sich Ihre Arbeitsweise im Lauf der Jahre verändert?

Die Arbeitsweise aus den Projekten, die ich gerade geschildert habe, hat sich bei mir im Studium in England entwickelt, wo ich zum ersten Mal mit der CNC-Fräse arbeiten konnte. Mich hat von Anfang an fasziniert, dass man mit diesen Maschinen selbst kleine Serien machen und Ideen in die Welt setzen konnte. Ich nenne diese Objekte immer potenzielle Produkte, weil sie die Qualität fertiger Produkte haben. Diese Art der Produktion hat aber auch Nachteile, denn sie lässt Vertrieb und Marketing ausser Acht. 

Auch in der klassischen Entwurfspraxis braucht es jemanden, der das Produkt herstellt, vermarktet und verkauft.

Das ist richtig, aber man plant es von Anfang an mit ein, weil man das Produkt sowieso nicht selbst herstellen kann. Das ist der Fall, sobald man mit Techniken arbeitet, die teuer sind oder die man nicht kaufen kann. 

Bei der Produktion mit der CNC-Fräse könnte man meinen, man stellt ein gutes Produkt her und dann findet es seine Kundschaft, aber das ist nicht so. Man muss auf Messen gehen, es dort präsentieren und mit Unternehmen in Kontakt treten. Hinzu kommt, dass die Unternehmen ihre eigenen Herstellungsmethoden haben und gar nicht an einem fertigen Produkt interessiert sind. Für sie sind Konzepte spannend, die eine gewisse Offenheit haben. In der finalen Produktion entwickelt man die Objekte dann gemeinsam, damit es wirklich passt. 

Wenn Sie sich die Zukunft des Designs wünschen könnten, wie sähe sie aus? 

Die Rahmenbedingungen sollten fairer werden und die wahren Kosten abbilden, das heisst Rohstoffverbrauch, Energieaufwand für den Transport und Treibhausgasemissionen sollten in die Preise der Produkte einfliessen. Auch Entsorgung und Schadstoffgehalt gehören dazu. Das würde automatisch dazu führen, dass Produkte anders gestaltet würden. 

Wenn wir nun die Umweltfolgekosten einpreisen, dann werden Möbel wieder zu teuren Objekten, die sich nicht jeder leisten kann …

Es braucht etwas zwischen den beiden Polen billig und teuer. Früher hat es bei Ikea eine mittlere Qualität gegeben. Zum Beispiel gab es mal Bilder­rahmen aus Holz – heute gibts nur noch furnierte Pressspanplatten, die natürlich viel schlechter altern. Wenn die furnierten Rahmen einen Kratzer bekommen, dann sind sie kaputt, während das dem Holz nicht viel ausmacht. Die gute Mitte ist ein gesellschaft­liches Thema. Es gibt nur Highend-Qualität und Billigware, aber nicht das gute Standardprodukt. 

Welche konkreten Lichtblicke sehen Sie aktuell auf dem Markt?

Wir machen häufig Projekte mit einer Schreinerei aus Winterthur, die «Wiederverwerkle» heisst. Sie arbeiten auch mit dem baubüro in situ zusammen, das in Winterthur das K118 gebaut hat. Wiederverwerkle verkauft nur recyceltes Material. Sie haben eine Schreinerei und einen Werkstoffhof, wo sie auch Maschinen verkaufen. 

Ich finde, es gibt viele gute Entwicklungen und ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Zum Beispiel die Firma reseda, ebenfalls aus Winterthur, produziert in der Schweiz mit lokalen Materialien. Oder Girsberger, die Remanufacturing machen, 
das heisst, sie nehmen alte Möbel entgegen, arbeiten sie auf und verkaufen sie wieder. Und «Restemöbel» aus dem Raum Basel stellen Möbel aus Materialresten her. Ebenfalls spannend sind Kuori aus Zürich, die einen biologisch abbaubaren Kunststoff aus Bananen­schalen herstellen. Der grösste Effekt entsteht natürlich, wenn etablierte Player umdenken und ihre Produktions­weisen verändern. Einige haben schon Secondhand-Marktplätze lanciert, wo man die bei ihnen erworbenen Produkte wieder verkaufen kann.

Im Rahmen Ihrer Forschungstätigkeit an der ZHAW machen Sie ein Projekt zum Thema Upcycling mit der SBB. Können Sie erläutern, worum es dabei geht?

Das Projekt besteht aus einem praktischen und einem analytischen Teil. Die SBB hat einen Bestand an Büromöbeln, die für die heutige Zeit nicht mehr geeignet sind, Stichwort Aktenschränke. Bisher bestand das Angebot der Möbelhersteller darin, die alten Möbel zurückzunehmen, zu entsorgen und dann neue zu liefern. Im praktischen Teil des Projekts bauen wir mit der SBB-internen Arbeitsintegrationswerkstatt «SBB anyway» solche alten Büro­möbel um. Da werden aus Aktenschränken Schliessfächer. Wir haben schon einige Prototypen gebaut und sind nun dabei, gemeinsam mit der SBB den Umbauprozess inklusive Anleitung zu gestalten.

… und der analytische Teil?

Wir erstellen eine CO²- und Kostenbilanzierung über das ganze Projekt, sodass wir die Mechanismen beim Upcycling besser verstehen. Im Moment ist wegschmeissen und neu kaufen billiger und darum wird das auch so gemacht, trotz des Netto-Null-Ziels. Wir machen die Ökobilanzierung in unserem Projekt, um die einzelnen Faktoren überhaupt erst mal zu benennen und deren Effekt beziffern zu können. 

Danach überlegen wir, welche Bedingungen sich verändern müssen, damit das Upcycling günstiger als der Neukauf wird. Nachhaltigkeit wird in der Diskussion schnell zum Lifestyle, einer Ideologie oder einer Glaubenssache; das interessiert mich nicht. Ich möchte die Zahlen kennen, um kreative Lösungen auf Basis von Fakten zu finden. 

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