Erweiterung Empa-Areal Dübendorf
Anonymer Wettbewerb im selektiven Verfahren
Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Versuchsanstalt für Industrie, Bauwesen und Gewerbe, kurz: Empa, ist 1962 vom ETH-Zentrum in Zürich nach Dübendorf ausgezogen. Das Kürzel und der Standort sind seither dieselben geblieben. Der offizielle Name hat sich aber geändert. Zudem haben sich auch die Aktivitäten an der «Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt» den neuen Anforderungen angepasst. Sinnbild dafür ist das vor wenigen Tagen eröffnete Forschungsgebäude NEST, an dem das Gebäude der Zukunft entwickelt werden soll. Ebenfalls verändert hat sich zudem der Raumbedarf des Forschungsstandorts.
Im Auftrag von Empa und ETH hat der ETH-Infrastrukturbereich Immobilien Ende letzten Jahres einen anonymen Wettbewerb im selektiven Verfahren für die Erweiterung des Areals durchgeführt hat. Zur Verfügung steht eine rund 13 400 m2 grosse, weitgehend grüne Wiese; sie soll zu einem Drittel von der Empa selbst, zu zwei Dritteln von der ETH für das «Center for Industrial Research» genutzt werden können. Ebenso vorgesehen ist eine gemeinsame Mensa sowie Parkierungsflächen für rund 550 PWs. Die Realisierung der Bauten ist ab 2017 geplant.
Entwicklungsziele im Wettbewerb
Das NEST-Gebäude ist als zentraler Platz für das neue Technologiequartier gedacht. Mit der Erweiterung will sich der Standort jedoch nach aussen öffnen und einen Austausch zwischen öffentlicher und privater Forschung ermöglichen. Die städtebauliche Innenstruktur und Anbindung an die Umgebung sind in einer Machbarkeitsstudie entworfen worden: Unter anderem soll ein grüner Saum die Freihaltezone zwischen dem erweiterten Forschungsareal und dem benachbarten Wohngebiet bilden.
In den neuen Gebäuden findet vor allem Labor- und Büroarbeit statt, wobei hohe Begegnungs- und Aufenthaltsqualitäten bedeutsam sind. Die Empa hat sich eine gewisse Reputation in Sachen nachhaltiges Bauen erarbeitet. Daher werden für die Raumerweiterung folgende Umsetzungsprinzipien verlangt: konsequente Systemtrennung, ressourcenschonende Materialisierung und geringer Grauenergieeinsatz. Zudem ist eine Zertifizierung nach den Gebäudelabels SGNI und Minergie-Eco gedacht.
Jury-Aussagen zum Resultat
«Vordergründig schien die Aufgabe einfach, das Empa-Areal auf freiem Feld weiterzuentwickeln. Doch das hat sich als anspruchsvolle Herausforderung erwiesen: Heterogene Nutzungen, Fragen der Etappierbarkeit, die städtebauliche Anbindung an eigene und nachbarschaftliche Siedlungsstrukturen sowie die Erwartungen an nachhaltiges, innovatives und zukunftsgerichtetes Bauen führten zur komplexen Bauaufgabe.»
Preisgericht
Sachpreisrichterinnen & Sachpreisrichter: Prof. Dr. Roman Boutellier, Vizepräsident für Personal und Ressourcen ETH Zürich (Vorsitz); Drazenka Dragila-Salis, Direktorin Infrastrukturbereich Immobilien ETH Zürich; Prof. Dr. Gian-Luca Bona, CEO Empa Dübendorf; Prof. Dr. Jürg Dual, Vorsteher Departement-MAVT ETH Zürich; Dr. Urs Leemann, Mitglied der Direktion Empa Dübendorf; Reto Lorenzi, Leiter Stadtplanung Dübendorf
Fachpreisrichterinnen & Fachpreisrichter: Dr. Thomas Beck, Direktor Hochschule der Künste Bern; Marie-Theres-Caratsch, Departement Technik und Architektur HSLU Luzern; Prof. Kees Christiaanse, Vorsteher Institut für Städtebau ETH Zürich; Prof. Dr. Mario Fontana, Institut für Baustatik und Konstruktion ETH Zürich; Massimo Fontana, Fontana Landschaftsarchitektur Basel; Prof. Harry Gugger, Direktor EPFL; Silva Ruoss, Guagliardi Ruoss Zürich
Rangliste
1. Rang: «RECHERCHE URBAINE», Gesamtleitung / Architektur, Bauingenieur Penzel Valier Zürich; Landschaftsarchitektur Maurus Schifferli Landschaftsarchitektur; HLKKS-Ingenieure Gruner Gruneko Basel
2. Rang: «FLAGSHIP», Gesamtleitung / Architektur Staufer & Hasler Architekten, Frauenfeld; Landschaftsarchitektur Martin Klauser Landschaftsarchitekt, Rorschach; Bauingenieur Création Holz, Herisau; HLKKS-Ingenieure ARGE Calorex + Widmer, Wil SG
3. Rang: «KONTINUITÄT», Gesamtleitung / Architektur Barkow Leibinger Gesellschaft von Architekten, Berlin; Landschaftsarchitektur Capatti Staubach Landschaftsarchitekten, Berlin; Bauingenieur Conzett Bronzini Partner, Chur; HLKKS-Ingenieure Reese Ingenieure, Hamburg
Würdigung der Vorschläge (Auszug aus dem Jurybericht)
«Recherche urbaine»
Das Preisgericht freut sich am Siegerprojekt, weil es eine überzeugende Antwort auf die städtebauliche Fragestellung, aber auch auf die geforderte Funktionalität geben kann. Die Gebäudestrukturen schaffen genügend Stabilität und Flexibilität, um auf sich ändernde Nutzungsanforderungen reagieren zu können. Das Projekt verspricht einen Ort mit grosser Aufenthaltsqualität, guten Kommunikationsmöglichkeiten und einer klaren Identität zu schaffen.
Städtebau: Das Projekt «Recherche urbaine» verfolgt entschieden die Absicht das gesamte Empa-Areal als kohärenten Campus zu fassen. Folgerichtig wird ein zentraler öffentlicher Raum geschaffen. Dieser verbindet den Bestand im Westen mit der projektierten Erweiterung im Osten. Vor allem besticht die städtebaulich abgeklärte und gleichzeitig subtile Setzung. Neben dem «Forschungspark» spannt der «Empa-Park» das in sechs Baufelder aufgeteilte Erweiterungsareal auf. So entsteht eine städtische Morphologie, die auf überraschende Weise grosszügig und dicht wirkt. Die Parkierung der Autos erfolgt unterirdisch.
Nutzung: Der bestehende Zugang zum Areal wird durch den Empfangspavillon und den Forschungsplatz aufgewertet. Das Areal, das lediglich durch Vorfahrten und Anlieferung belastet ist, wird konsequenterweise durchgehend für den Mischverkehr gestaltet. Als «Herzstück der Forschung» ist die Industriehalle prominent zur Überlandstrasse hin angeordnet, wo sie gleichzeitig als Lärmschutz für die nördlichen Gebäudeteile und Baufelder agiert. Das nördlich davon angeordnete Gebäude komplettiert das Raumprogramm des ETH-Bereichs.
Auf dem Baufeld C sind die Räume für die Empa eingerichtet. Im Erdgeschoss sind neben den Labors die Sondernutzungen für Seminare, Vorlesungen und Café; in den Obergeschossen die Büro- und restlichen Laborräume angeordnet. Alle drei Gebäude sind nutzungstechnisch von einer in Längsrichtung durchgehenden, mittleren Erschliessungszone strukturiert. In den Bürobereichen fördern runde Atrien die Kommunikation und unterstützen die natürliche Beleuchtung. Auffällig sind zudem die umlaufenden Vordächer.
Die gewählte Architektursprache und ihre konstruktive Umsetzung erlauben das Einhalten auch strenger energetischer Anforderungen und versprechen einen kostengünstigen Unterhalt. Die vorgeschlagene Struktur der Gebäude schafft grosse zusammenhängende Nutzflächen, die sich bei ändernden Nutzungsanforderungen einfach anpassen lassen.
Freiraum: Abgeleitet aus einer Zellenstruktur wird ein abstrahiertes Bodenmuster aus mineralischen und vegetativen Flächen entwickelt, das sich über das gesamte Areal erstreckt. Das organisch geformte System besticht durch einen hohen Grad an Flexibilität und steht im klaren Kontrast zur architektonischen Strenge. Der zentrale Forschungsplatz wird auf stimmige Art und Weise an seinen Enden, im Norden und Süden, durch hallenartige Haine akzentuiert, die sich zur Mitte hin auflockern. Der sogenannte Empa-Park im Osten des Areals wird durch locker gestreute Baumgruppen strukturiert und von einem Wegenetz durchzogen.
«Flagship»
Das Projekt sucht die Fortsetzung des Bestands mit neuen Mitteln. Das lange Laborgebäude im Westen erhält einen markanten Partner im Osten, der entlang der Überlandstrasse einen starken städtebaulichen Akzent setzt und der Empa das Gesicht eines gepflegten und professionellen Industrieareals verleiht. Dank der geschickten Anordnung der Parkplätze in zwei Untergeschossen entfällt ein oberirdisches Parkhaus.
Städtebau und Nutzung: Durch die Konzentration der Gebäude der ersten Etappe am Südrand des Areals entsteht im Norden und somit im Zentrum der Gesamtanlage eine grosse zusammenhängende Grünflache, die für spätere Entwicklungen alle Möglichkeiten offen lässt. An dieser grünen Lunge liegt zentral und prominent das Innovationsgebäude NEST. Selbst mit der Verdichtung einer zweiten Etappe verbleibt ganz im Norden ein grüner Aussenraum, mit ansprechender Fläche und qualitativ guten Aufenthaltsqualitäten.
Die ikonografisch ansprechende Architektur mit strukturierter Metallfassade wirkt frisch und modern. Sie widerspiegelt das von Technik geprägte Innenleben und verleiht dem Areal eine neue stimmige Adresse, die gut zum modernen Selbstverständnis der Empa passt. Durch die Zusammenfassung der Laborräume von Empa und ETH Zürich entsteht ein formstarkes und ganz auf diesen Zweck ausgerichtetes Laborgebäude mit einem gut nutzbaren dreibündigen Grundriss und grosser Kompaktheit.
Die Tragwerke der Gebäude sind zum grossen Teil aus Holz. Während dies bei den Hallen zu guten und ökologischen Lösungen führt, ergeben sich damit im Laborbau schwerwiegende Probleme.
Freiraum: Aus der Kompaktheit der ersten Etappe und der Lage an der Strasse resultiert ein grösstmöglicher und lärmfreier Freiraum der gut mit seinem Umfeld vernetzt ist. Der Freiraum zeichnet sich aber durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Freiraumstrukturen aus, die weder inhaltlich, räumlich noch formal in einem Zusammenhang stehen. Eine übergeordnete Konzeption ist weder formuliert noch erkennbar.
Fazit: Das vorgeschlagene Konzept bietet in seiner Kompaktheit, wie auch in der Materialisierung gute Grundlagen für die gewünschte Umsetzung einer nachhaltigen Arealentwicklung. Der städtebauliche Ansatz überzeugt in seiner Selbstverständlichkeit und Kraft und führt in der gestalterischen Umsetzung zu einer guten Identität für Empa und ETH. Zweifel bestehen jedoch bei der Ausformulierung des prominenten Zugangsraums, der einen starken Anlieferungscharakter aufweist. Zwischen den Gebäudezeilen entstehen sehr enge und lange Aussenräume, deren Aufenthaltsqualitäten in Frage gestellt werden. Die symmetrische Kopfausbildung des Laborgebäudes ist nicht nachvollziehbar.
«Kontinuität»
Der Projektvorschlag überzeugt durch ein klares und eigenständiges Konzept, die gestalterischen Prinzipien werden gekonnt und präzise umgesetzt. Es entsteht dadurch zwar ein neues Quartier mit hoher Identität und neuer Adresse. Die gewünschte Eingliederung in den Bestand und die Stärkung der gesamten Anlage werden durch diesen Grundsatzentscheid zu wenig umgesetzt.
Städtebau: Die Weiterentwicklung des bestehenden Empa-Campus erfolgt durch ein neues städtebauliches Muster. Rechteckige und kompakte Baukörper mit variierenden Höhen und versetzter Anordnung bilden eine teppichartige Struktur ohne Richtung. Das Herzstück des Areals, das Innovationsgebäude NEST, wird zum Verbindungsglied für das neue und das alte Areal. Um dieses Zentrum werden die Neubauten in zwei Cluster gegliedert. Es entsteht ein neues Quartier mit dynamischen gleichwertigen Zwischenräumen, die Begegnungen fördern sollen und eine neue Identität vermitteln. Die Projektverfasser haben entschieden, die Werkhallen nicht zu überbauen, sondern als niedrige Einzelbauten auszubilden. Diese Varianz in der Gebäudehöhe, verbunden mit der abfallenden Geländetopographie, optimiert die natürliche Belichtung der höheren Baukörper, ermöglicht vielfältige Ausblicke und Blickbezüge und schafft eine einprägsame Silhouette.
Die architektonische Gestaltung der Gebäude ist augenfällig und selbstbewusst. Obwohl jeder Baukörper eine spezifische Fassade aufweist, sind über alle Gebäude einheitliche gestalterische Prinzipien umgesetzt. Die Fassade des Erdgeschosses ist bei allen Gebäuden transparent. Direkte Einblicke in die Themen und Arbeitsabläufe werden möglich und sollen in der vorgefundenen baulichen Dichte eine charismatische Atmosphäre schaffen und den Forschungscharakter des Campus vermitteln.
Nutzung: Die Laborgebäude weisen einen dreibündigen funktionalen Laborgrundriss auf. Bezüglich der Arbeitsumgebung sowie der Qualitäten im Bereich der Raumbeziehungen und Kommunikationszonen bietet dieser Regelgrundriss wenig Potenzial. Zudem weisen die Erschliessung wie die Haustechnik noch Optimierungsbedarf auf.
Die Mensa ist durch einen zweigeschossigen Anbau erweitert und wird über einen attraktiven hofartigen Zugang erschlossen. Dieser Vorplatz erweitert sich zum Gebäude NEST und stärkt die Identität der Mitte. Durch den hohen Anteil an Beton auch in der Tragkonstruktion und bei den Oberflächen (Sheddächer) werden ökologische Nachteile in Kauf genommen.
Freiraum: Mit dem Ziel, eine campusartige Anlage zu schaffen, erstreckt sich eine zusammenhängende Belagsfläche mit einem feinkörnigen Natursteinzuschlag durch das ganze Areal. Als zentraler Aufenthalts- und Begegnungsort spannt sich zwischen dem NEST-Gebäude und der Mensa ein Platz auf. Im Bereich der Höhensprünge schaffen chaussierte Plateaus mit Sitzmauern zusätzliche Aufenthaltsmöglichkeiten. Aus der Struktur der Anlage resultieren gut proportionierte Freiräume, die eine gute Durchwegung und Orientierung gewährleisten. Die Räume werden aber primär durch die Bauten definiert, denn die wenigen Bäume auf dem Areal wirken verloren und stehen weder im Dialog noch im Kontrast zur Härte des Areals.