Fer­tig­bau­tei­le aus Lehm

Vorfabrizierte Bauelemente aus Lehm sind neu im Bauwesen. Ihre Produk­tion erfordert spezielle Methoden, der Transport zur Baustelle logistisches Können. Beim Neubau der Kantonalen Landwirtschaftlichen Schule Mezzana im Mendrisiotto von Conte Pianetti Zanetta und beim neuen, von Herzog  & de Meuron geplanten Ricola-Kräuterzentrum in Laufen war Martin Rauch für die Konstruktion von Lehmfassaden aus vorgefertigten Elementen verantwortlich. Er erläutert die Eigenschaften und das Potenzial des Materials.

Publikationsdatum
11-07-2013
Revision
30-10-2015

Der Lehmbau begleitet den Menschen seit Jahrtausenden. Die allgemeine Erfahrung im Umgang damit ist aber im letzten Jahrhundert in Europa weitgehend verloren gegangen. Seit einigen Jahrzehnten jedoch versuchen Pioniere an diese Bautradition anzuknüpfen. Lehm soll künftig nicht nur als Baustoff für einfache Behausungen oder als elitäres Material betrachtet werden, sondern wieder selbstverständlich werden. Moderne Lehmbauten in ­Industriestaaten wirken beispielhaft für andere Länder, in denen Lehm oft nur als Material für Notbehausungen angesehen wird. Mit ihrer Vorbildwirkung können sie dazu beitragen, dass die traditionelle Bauweise auf heutige Technologien abgestimmt und weiterentwickelt wird, und tragen so global zu einer nachhaltigen Bauweise bei. Das erste vorgefertigte Lehmbauelement der Geschichte war wohl der Adobeziegel1.

Die Grösse von vorgefertigten Teilen war schon immer weitgehend durch die Infrastruktur wie Strassen, Maschinen und Kräne bestimmt. Heute macht die Verkehrsinfrastruktur in Europa grössere Teile im Montagebau möglich. Der handwerkliche Lehmbau ist mit hohem Arbeitsaufwand verbunden. Eine Rationalisierung auf der Baustelle oder in der Werkhalle mithilfe von modernen Baugeräten ist nur beschränkt möglich. Erst die Beurteilung unter ökologischen Gesichtspunkten lässt den Lehmfertig­teilbau in den letzten Jahren zu einer interessanten Alternative werden. Für ­Fertigteile aus Lehm gilt dasselbe wir für den Lehmbau überhaupt: Er hat keine Lobby, und es gibt kaum Fachkräfte oder spezialisierte Firmen und nur wenig Forschung und Entwicklung. Deshalb fehlt es heute Erfahrung und an Vertrauen in die jahrtausendealte Bauweise.

Landwirtschaftsschule Mezzana 

Ein Beispiel für die Verwendung von vorfabrizierten Lehmelementen ist die vom Architekturbüro Conte Pianetti Zanetta geplante und 2012 fertiggestellte Kantonale Landwirtschaftliche Schule Mezzana im Mendrisiotto. Sie umfasst drei Gebäude mit 35cm starken Stampflehmfassaden. 2011 und 2012 wurden in acht Monaten insgesamt 928m2 Wand mit einem hohen Arbeitsaufwand hergestellt und in acht Wochen montiert. Die tragende Gebäudestruktur ­besteht innen aus naturbelassenen und als Sichtmauerwerk ausgeführten gebrannten ­Industrieziegeln und Ortbetondecken. Gedämmt wurde mit 14cm Mineralfaser zwischen den Ziegelmauern und der vollflächig vorgestellten Lehmstampffassade.

Die Elemente aus Stampflehm haben eine Länge von 3 bis 4m und eine Höhe von ca. 1.4m. Sie wurden in ­einer Werkhalle in Vorarlberg in Schalungsabschnitten von 18m Länge vorgefertigt, getrocknet und verpackt, dann zur Baustelle transportiert und dort mit dem Baukran versetzt. Die Elemente wurden mit Lehmsandmörtel verklebt und die vertikalen Nuten mit Trasskalkmörtel ausgegossen. In regelmässigen Abständen wurde die Fassade in der horizontalen Lagerfuge mit nichtrostenden Ankern in der Ziegelmauer befestigt.

Erosion und Wetterfestigkeit

Wird Lehm mit ausreichend Wasser bearbeitet, wird die durch Trockenheit hervorgerufene Festigkeit aufgehoben und das Material wieder plastisch und formbar. Dies ist kein Nachteil, sondern eine Qualität. So können Elementfugen im Lehm leicht retuschiert werden. Durch seine Wasserlöslichkeit kann das Material unbeschränkt ohne Qualitätseinbusse wieder­verwendet werden. Viele Versuche und Entwicklungen gehen dahin, ihm diese Qualität zu nehmen, um es dauerhafter zu machen. Durch Zusätze ist dies zwar möglich, allerdings ­werden positive Eigenschaften dabei beeinträchtigt: Vor allem ist der Lehm dadurch nicht mehr schadstofffrei ins Erdreich rückführbar.

Lehm hat nicht nur gute thermische und feuchtigkeitsregulierende Eigenschaften, sondern auch eine positive Energiebilanz.2 Sein Erosionsverhalten im Aussenbereich ist kalkulierbar. Die Stampflehmtechnik gilt als die wetterfesteste Verarbeitungsweise. Aufgrund der Lebendigkeit und Farbigkeit des Materials sind lokale Unterschiede im Erosionsverhalten und «Beschädigungen» nicht auffällig. Die Farbe bleibt aufgrund der Lichtechtheit der Lehmpigmente unverändert, und das Material zeigt einen natürlichen und charakteris­tischen Alterungsprozess.

Der Beanspruchung der Oberfläche durch Schlagregen mit Frosteinwirkung kann durch sorgfältige Materialwahl, Verarbeitung und konstruktive Lösungen entgegengewirkt werden. Die Erosion ist abhängig von Wandhöhe, Materialzusammensetzung, Wetter- und Wind­belastung. Bei leichtem Regen ist die Belastung gering, da der Lehm die Feuchtigkeit gut absorbiert und nach dem Regen schnell wieder abgibt. Bei starkem Regen verhindert das Quellverhalten der Tonmineralien zwischen dem Mineralgerüst eine komplette Durchfeuchtung nach innen. Die von der Lehmwand nicht mehr absorbierte Wassermenge rinnt an der Aussenfläche ab. Diese kleinen Rinnsale haben eine auswaschende Wirkung; Lehmpartikel und Sand werden abgelöst und ausgespült. Grössere mineralische Gesteins­kör­nungen sind im festeren und trockeneren Innenteil der Wand fixiert. Für das kontrollierte Abrinnen des Wassers bei lang anhaltendem starkem Regen müssen zusätzliche Massnahmen ergriffen werden: In der Horizontalen sollten alle 30 bis 60cm Erosionsbremsen in Form von Mörtel-, Stein- oder Ziegelleisten eingebaut werden.

Ricola-Kräuterzentrum in Laufen

Das Ricola-Kräuterzentrum vereint alle Prozesse der Kräuterverarbeitung wie Trocknen, Schneiden, Mischen und Lagern in einer Halle. Der von Herzog & de Meuron geplante Bau misst 111 × 28.9 × 10.8m. Der Autor ist als Subplaner für die Entwicklung und Herstellung der 3000m2 grossen Stampflehmfassade verantwortlich. Das Herstellen, Trocknen und Montieren der Wände dauert ein Jahr. Nur durch die Vorfertigung in einer Halle in Zwingen, einem Nachbardorf von Laufen, ist dies in so kurzer Zeit möglich. In der Halle konnte auch im Winter produziert werden, und der zeitraubende Trocknungsprozess erfolgte nicht auf der Baustelle.

Mit der Herstellung der Blöcke wurde bereits vor Baubeginn angefangen. Grösse und Gewicht der fast 700 Elemente sind durch die Kapazität der in der Halle vorhandenen Kräne bestimmt. Die fast 5t schweren Lehmstampfblöcke aus lokalem Material und das Aushubmaterial ohne Stabilisierung werden in einer 50m langen Fertigungsanlage fabriziert. Ein Beschicker füllt die Mischung 16-lagig in die Schalung, Walzen und Stampfer verdichten sie bis zu einer Segmenthöhe von 1.3m. Unmittelbar nach der Fertigstellung wird die Schalung entfernt, und die 3.36m langen Lehmblöcke werden zur Trocknung umgelagert.

Die Wand ist monolithisch und 45cm stark. Aus hygienischen Gründen sind auf der Innenseite alle Poren mit einer Lehmschlämme geglättet. Aussen ist sie unbehandelt und mit horizontalen Trasskalkmörtelleisten versehen. Sukzessive werden die Teile zur 3km entfernten Baustelle nach Laufen transportiert, mit einer Hebevorrichtung versetzt und mit Lehmmörtel verbunden. Anschliessend werden die Elementfugen mit Wasser vorgenetzt und mit der Stampflehmmischung gefüllt und eingestampft. Nach dem Abtrocknen sind die Elemente zu einem monolithisch geschichteten Erdblock verbunden.

Vorfertigung und Transport

Die Vorfertigung hat entscheidende Vorteile: Sie ist wetterunabhängig, terminlich kalkulierbar, verkürzt die Arbeitszeit auf der Baustelle und kann somit in industrialisierte Bauprozesse ­integriert werden. Damit erweitern sich die Einsatzmöglichkeiten von Lehmbauteilen: ­Statisch belastete Wandelemente, grossflächige temperaturregulierende Wandverkleidungen, Raumteiler mit integrierter Wandheizung, aber auch Öfen und Waschbecken werden möglich. Die Vorfertigung in der Werkhalle erlaubt eine optimierte Detailarbeit. Das ermöglicht eine flexible Ausführung auch bei grossen Dimensionen.
Die relative Weichheit des Materials erfordert besondere Transportbedingungen und eine sorgsamere Versetzarbeit als Betonfertigteile. Erfahrungsgemäss ist aber der Transport gut möglich, und die Montage mittels individuell hergestellter Hebevorrichtungen ist Standard geworden.

Natürlich sollten die Transportwege möglichst kurz sein. Um dies zu erreichen, muss die Nachfrage nach Lehmfertigteilen noch wachsen. Dann würde deren Produktion attraktiv, die Wertschöpfung regionalisiert und das Angebot an Fertigteilen um einen baubiologisch und ästhetisch hochwertigen Baustoff erweitert. Bei grossen Volumen an Lehmstampfarbeiten ist es sinnvoll, in der Nähe des Einbauorts eine temporäre Vorfertigungsanlage einzurichten. Die Elemente können dann aus lokal verfügbarem Lehm hergestellt werden. Stampflehm ist ein Baustoff, der kreatives Verhalten in architektonischer wie technischer Hinsicht herausfordert. Er steht unbegrenzt zur Verfügung, hat eine lange Tradition, kann zeitgemäss eingesetzt werden und gewinnt wieder an Aktualität.

Anmerkungen 
1 Adobe ist das englische Wort für ungebrannte, luftgetrocknete Lehmziegel im Gegensatz zu den gebrannten. Ihre Herstellung benötigt im Vergleich mit Ziegeln wenig Energie. 
2 Stampflehm hat je nach Zusammensetzung ein spezifisches Gewicht von 1700–2100kg/m³ und kann deshalb nicht als Isolierbaustoff gewertet werden. Die Wärmeleitfähigkeit beträgt je nach Zusammensetzung 0.64–1.03W/mK.


Lehm und Stampflehm

Lehm ist ein Gemisch aus Sand (Korngrösse > 63µm), Schluff oder Silt (Korngrösse > 2µm) und Ton (Korngrösse < 2µm). Er entsteht aus verwitterten Gesteinen, die vor allem durch mechanische Prozesse wie Reibung in Bächen und Gletschern, Sprengung durch gefrierendes Wasser oder Ausdehnung und Zusammenziehen infolge Temperaturwechsel zersetzt werden.

Stampflehm wird aus Lehm, Sand und Schotter hergestellt. Alle Bestandteile kommen in der Natur häufig vor. Vorteilhaft ist, dass man dadurch 50–100 % des Aushubmaterials für den Bauvorgang verwenden kann. Im besten Fall bleibt dann vom Aushub nur der Humus übrig. In der Stampflehmmischung sind etwa 30 % Lehm enthalten, den Rest bilden Schotter und Sand mit einer Körnung von 0–32mm. Je nach Beschaffenheit des Aushubmaterials kann die Bindigkeit durch Zugabe von Tonpulvern oder fettem Lehm und der Steinanteil durch Zugabe von Schotter erhöht werden. Wenn der Steinanteil zu hoch ist, muss das Material gesiebt werden.

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