«Ge­fragt ist mo­der­ne Be­ton­­tech­no­lo­gie»

Piet Eckert und Stefan Bänziger beleuchten die Herausforderungen und Potenziale, die der Einsatz von Recycling­beton im modernen Bauwesen mit sich bringt. Und sie denken darüber nach, was der Baustoff in ökologischer Hinsicht leisten könnte.

Publikationsdatum
12-11-2024

Herr Bänziger und Herr Eckert, wo liegen aktuell die grössten Potenziale für den Einsatz von recyceltem Beton in der Bauindustrie?

Piet Eckert: Sein Einsatz konzentriert sich derzeit auf Fassaden und Doppelschalen-Systeme, doch diese sind ökologisch und strukturell kaum zukunftsfähig, vor allem wegen des hohen CO²-Ausstosses und Aufwands. Die Herausforderung besteht darin, RC-Beton auch in anspruchsvollere Anwendungen wie intelligente Tragsysteme für Decken zu integrieren, wo der Grossteil des Verbrauchs liegt. Andernfalls wird RC-Beton Opfer seiner eigenen Limitierungen.

Stefan Bänziger: Auch das Untergeschoss bietet normalerweise Potenzial, wie beispielsweise das Schulhaus Hofacker zeigt (vgl. Kasten). Die unterirdische Turnhalle erfordert viel Material, insbesondere wegen der geforderten Wasserdichtigkeit. Beton ist in solchen Bereichen unverzichtbar, jedoch nicht so beansprucht, dass Hochleistungs­beton nötig wäre – hier Recyclingbeton (RC-Beton) aus Betongranulat einzusetzen, ist darum nachhaltig. Allerdings fällt bei grossen Aushubmengen oft minderwertiges Material an. Es wäre einerseits nachhaltiger, unterirdische Volumen erst gar nicht auszu­heben oder sie möglichst klein zu halten und so den Betonbedarf zu senken. Dies steht jedoch im Widerspruch zur Schonung der knappen Baulandreserven. Das Bauen bleibt auch in diesem Kontext stets ein Spannungsfeld, in dem das Optimum gefunden werden muss.

Eckert: RC-Beton ist heute oft ästhetisch ansprechender als herkömmlicher Konstruktions­beton. In der Erweiterung des Schulhauses Hofacker als gestockte Version ausgeführt, wertet er den historischen Kontext der denkmalgeschützten Gebäude gestalterisch auf. Die bearbeitete Beton­oberfläche wirkt weniger spröde und schafft einen Bezug zu den bestehenden Natursteinarbeiten. Besonders bemerkenswert sind die Farbnuancen, die durch das Stocken entstehen. Je vielfältiger die Zuschlagsstoffe im RC-Beton sind, desto reicher und interessanter wird das Farbspektrum.

Können Sie beim Zuschlag Einfluss nehmen?

Bänziger: Es erfordert Überzeugungsarbeit, da Vorbehalte gegenüber RC-Beton bestehen, insbesondere beim Sichtbeton. Doch mit den Muster­wänden (vgl. Cover) des Amts für Hochbauten der Stadt Zürich, die die gestalterischen Möglichkeiten demonstrieren, wird klar, dass RC-Beton vielfältiger ist, als oft vermutet. Obwohl er hauptsächlich Betongranulat enthält, sind maximal 5 Massenprozent an Fremdmaterial zulässig, was der gestockten Oberfläche eine gesprenkelte Textur verleiht. Besonders bei innen liegenden Bauteilen kann man den Anteil an Mischabbruchgranulat variieren; nur die statische Beanspruchung ist limitierend. Es wäre wünschenswert, Mischabbruchgranulat auch im Aussenbereich verwenden zu dürfen, um die gestalterische Vielfalt zu erhöhen. Der Wasser-Zement-Wert (W/Z-Wert) spielt dabei eine wichtige Rolle. Früher bestimmten wir Bauingenieure diesen selbst. Heute sind die Grenzwerte durch Normen und Expositionsklassen stärker reguliert. Diese Normierung ermöglicht aber die sichere Anwendung von Recyclingbeton im Betonbau in Ergänzung der Tragwerksnorm SIA 262– und dies ohne vertiefte Analysen. Bei bewitterten Fassaden ist der W/Z-Wert auf 0.55 beschränkt, während im Innenbereich ein solcher von 0.65 möglich ist. 

Gefragt ist moderne Betontechnologie, um diese Grenzen auszuloten und die gewünschten Eigenschaften zu erzielen – durch Zusatzmittel, Versuche und Optimierung der Zusammensetzung. Insbesondere der Zementgehalt stellt hinsichtlich des CO²-Ausstosses einen wichtigen Parameter dar, an dem der RC-Beton gemessen und mit Primärbeton verglichen wird. Idealerweise sollte überall Beton mit einem möglichst hohen Recyclinganteil eingesetzt werden. Sobald er jedoch nur eine gestalterische und keine statische Funktion erfüllt, wird das Argument dafür schwächer. Die CO²-Bilanz von RC-Beton ist nicht besser als die von Primärbeton, was ein erheblicher Nachteil ist, besonders wenn kein CO²-reduzierter oder optimierter Zement verwendet wird. Es bleibt die Ressourcenschonung und Abfallminimierung als zentrale Verpflichtung, der wir nachkommen müssen.

Können alle Unternehmen die bautechnologische Weiterentwicklung von RC-Beton umsetzen?

Bänziger: Grundsätzlich ja. Viele Betonwerke haben ihren Beton weiterentwickelt und Versuche unternommen. Dennoch gibt es Vorbehalte, besonders in ländlichen Gebieten, wo Betonwerke seltener sind und Bauherrschaften keine verbindlichen Vorgaben machen. Dort ist es oft schwierig, die gleiche Betonqualität zu erreichen wie in Werken, die hauptsächlich für die Stadt Zürich produzieren, wo RC-Beton in der Ausschreibung eine Vorgabe ist. 

Eckert: Vorgaben können zwar herausfordernd sein, fördern jedoch oft Kreativität und innovative Lösungen. Technokratische Aussagen, die etwas als unmöglich erklären, überzeugen nicht und führen zu Zweifeln. Es geht vielmehr darum, Möglichkeiten zu schaffen, anstatt Gründe zu finden, warum etwas nicht machbar ist. Diese umsetzungsorientierte Denkweise ist entscheidend, um eine defensive Position zu vermeiden.

Bänziger: Eine Grundvoraussetzung für den Fortschritt von RC-Beton ist, dass er aktiv in Baumeisterausschreibungen bestellt wird. Dies initiiert den Prozess, RC-Beton zu standardisieren. Das Potenzial ist enorm, da im Hochbau ein Grossteil der Konstruktionen weder exponiert noch statisch ausgereizt ist. Oft jedoch geschieht die automatische Bestellung nicht – entweder aus Unkenntnis oder aufgrund falscher Informationen.

Eckert: RC-Beton als Fassadenmaterial ist vergleichsweise unkompliziert, da er sich nur selbst tragen muss. Interessant wäre, hochleistungsfähigen mit schwächerem Beton zu kombinieren. So könnte RC-Beton gestalterisch und strukturell effizienter eingesetzt werden. Schlanke Betonstrukturen bieten bereits heute leistungsfähige Antworten auf den Klimawandel und könnten in Kombination mit RC-Beton CO²-optimiert werden. Leider sind Planungs- und Bauprozesse oft so langsam, dass Paradigmenwechsel während Projekten kaum berücksichtigt werden können. Diskussionen wie diese sind daher wichtig.

Wie lässt sich der Widerspruch zwischen schlanken Querschnitten und geringeren Festigkeitswerten von RC-Beton auflösen?

Eckert: Es ist möglich, leistungsfähige, schlanke Querschnitte mit weniger tragfähigen Materialien zu kombinieren, etwa durch Vorfertigung oder Riemenkonstruktionen mit feinem Füllmaterial. Dabei stehen verschiedene Bauelemente nicht in Konkurrenz zueinander, sondern agieren als integrierter Verbund. Derzeit arbeiten wir an der Rückkehr zu 16 cm dicken Decken, die bauphysikalisch nachgewiesen sind und im Vergleich zu herkömmlichen 28 cm messenden Decken erhebliche Vorteile bezüglich Ressourcenschonung und reduzierter CO²-­­Emissionen bieten. Im Schulhaus Hof­acker wurden bereits solche Ansätze umgesetzt, etwa durch leistungsfähige Hybridsysteme, bei denen Holz, Stahl und Beton ihre optimalen Eigenschaften an definierter Stelle ausschöpfen. In der Forschung an der TU Dortmund streben wir an, Abbruch- und Recyclingwerke mit der Vorfertigungsindustrie zu verknüpfen. Ziel ist es, eine synergetische Zusammenarbeit zu fördern, bei der leistungsfähige Schalendecken im Kontext eines kohärenten Systems entwickelt werden. Das schafft schlanke Systeme mit unterschiedlichen Leistungsniveaus.

Bänziger: Die Tendenz geht häufig zu Holz, obwohl es bezüglich Materialvolumen teurer ist als Beton. Ein Paradigmenwechsel zeichnet sich jedoch ab: Anstelle von massiven Holzbalken wird über schlankere, vorgefertigte und vorgespannte Beton­träger nachgedacht, die leistungsfähiger sind und die Geschosshöhe reduzieren können. Es geht darum, das richtige Material am richtigen Ort einzusetzen, ob Holz, Beton oder Stahl-Holz-Mischkon­struktionen. In ganzheitlichen Ökobilanzen können filigrane Beton­konstruktionen konkurrenzfähig sein, da sie dank ihrer Schlankheit Material und CO² einsparen – wie beim Schulhaus Hofacker. Noch heute würden wir dieses Tragwerk so bauen. Das ist bemerkenswert, da der Planungsstart über acht Jahre zurückliegt und sich seither viel verändert hat. Bei anderen, langjährigen Projekten stelle ich oft nach der Realisierung fest, dass das Konzept aus der Zeit gefallen ist.

Es braucht Referenzprojekte. Sehen Sie solche eher bei der öffentlichen Hand oder in der Privatwirtschaft?

Eckert: Ich sehe Potenzial bei beiden. In der Privatwirtschaft zählen leistungsorientierte Kriterien stärker. Man vertraut eher auf die Fachkompetenz und akzeptiert performative Lösungen, wenn sie nachweislich besser sind. Bei der öffentlichen Hand dominieren dagegen oft ideologische und politische Argumente. Entscheidungen müssen oft vor Gremien gerechtfertigt werden, was zu weniger innovativen Bestellungen führen kann.

Bänziger: Der Kostendruck ist bei privaten wie öffentlichen Bauherrschaften entscheidend. Wir müssen intelligente, effiziente und gleichzeitig kostengünstige Lösungen entwickeln. RC-Beton standardisieren und gleichzeitig auf Tragwerksebene noch nachhaltigere Lösungen entwickeln.

Eckert: Es besteht nicht immer ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen Kostendruck und der Entscheidung für nachhaltige Bauweisen. Oft sind institutionelle Auftraggeber motiviert, ein ökologisches Benchmark-Projekt zu realisieren, das sowohl wirtschaftlich als auch nachhaltig ist. Dennoch kann man auch im öffentlichen Sektor mit leistungsorientierten Argumenten überzeugen. Das zeigt das Schulhaus Hofacker, wo wir eine smarte Kombination aus Holz-, Stahl- und Betonelementen entwickelt haben. 

War es schwierig, Ihr Fachwissen zu vermitteln und die Entscheidungsträger zu überzeugen?

Eckert: Diese Frage ist zentral. Unsere Aufgabe besteht darin, durch nachvollziehbare und schlüssige Systeme zu überzeugen. Je plausibler diese sind, desto einfacher lassen sie sich erklären. Wir vermeiden es, direkt über Gestaltung zu argumentieren, weil das schnell in subjektiven Diskussionen endet. Stattdessen setzen wir auf systemische und konzeptionelle Erklärungen, die zeigen, wie die Elemente sinnvoll zusammenwirken. Versteht man den Ansatz, erkennt man den Mehrwert.

Bänziger: Wenn Fakten schlüssig in die Planung integriert sind, fördert dies das Verständnis für das Tragsystem. Dabei muss stets die Leistungsfähigkeit des Materials im Blickfeld bleiben. Für die Fachwerke über der Turnhalle beispielsweise konnte kein RC-Beton eingesetzt werden – die Pfosten und Gurten bestehen aus selbstverdichtendem Ortbeton, die Zugdiagonalen aus Rundstahl. Wir bewegen uns am Limit der Materialeigenschaften mit ausgereizten Querschnitten. Um ein Ecolabel zu erfüllen, müsste aber mindestens 50% des Betonvolumens mit RC-Beton ausgeführt werden. Sofern technisch möglich. Dieser Satz öffnet Ingenieuren Tür und Tor zu sagen, dass weitgespannte oder vorgespannte Decken in RC-Beton nicht umsetzbar sind. So entstehen klassische, bewährte Konstruktionen. Es braucht Mut zu neuen Ansätzen, kreative Lösungen und ein ökologisches Bewusstsein, um neue Wege zu beschreiten und die Verantwortung für nachhaltiges Bauen zu tragen.

Sind Unternehmen zurückhaltend in der Anwendung von RC-Beton oder gelingt es, auch sie durch fachliche Argumente zu gewinnen?

Bänziger: Glücklicherweise reichen bei entsprechenden Ausschreibungen vor allem Unternehmen eine Offerte ein, die sich der Anforderungen bewusst sind und die Unterlagen sorgfältig studieren. Sie entscheiden im Vorfeld, ob sie sich auf das Projekt einlassen wollen. Bei der Schulanlage Hofacker mit ihren anspruchsvollen Ortbetonunterzügen und Fachwerken hatten wir das Glück, mit einem erfahrenen Baumeister und einem hervorragenden Polier zusammenarbeiten zu können. Sie brachten das nötige Know-how und qualifizierte Fachkräfte mit. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Eckert: Ein solcher Bau ist immer eine kollektive Leistung. Es hängt nicht nur von der Architektur und von der Tragwerksplanung ab, sondern von allen Beteiligten. Die Bauindustrie, oft als «un­sophisti­cated» betrachtet, erfordert eine intelligente Zusammenarbeit aller Akteure. Besonders beim Tragwerk gibt es noch viel Potenzial für innovative Lösungen. Beeindruckend ist, wie viele Handwerker und Unternehmungen die Herausforderung als Showcase für ihr Können annehmen. Ihr Engagement und Stolz spiegeln sich im Gebäude wider, das auch in 100 Jahren noch Bestand haben wird.

Sollten Tragwerke nutzungsflexibel gestaltet sein, um die lange, nachhaltige Lebensdauer zu erreichen?

Eckert: Strukturen, die sich an künftige Anforderungen anpassen lassen, sind langlebiger und resilienter. Starre Systeme, die nur für eine bestimmte Nutzung konzipiert sind, werden schneller obsolet. In einer sich rasch verändernden Welt ist es entscheidend, Gebäude nicht nur für die gegenwärtigen Bedürfnisse zu planen, sondern auch für unvorhersehbare Veränderungen in der Zukunft. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit.

Bänziger: Maximale Flexibilität ist allerdings nicht immer sinnvoll, besonders wenn sie zu grossen Spannweiten und dickeren Betondecken führt, wie dies oft bei Bürogebäuden der Fall ist. Im Wohnungsbau können kleinere Spannweiten die Dimensionen der Tragwerkselemente reduzieren und ressourcenschonender sein. Es gilt – wie so oft –, unterschiedliche Aspekte abzuwägen. Eine universelle Lösung gibt es nicht.

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