Gemeinden unter Beobachtung
Wie es nach dem Nein zur «Zersiedelungsinitiative» weitergehen soll
Ist der Zustand der Landschaft für die Bevölkerung überhaupt ein brisantes Thema? Nach dem deutlichen Nein zur «Zersiedelungsinitiative» bei nicht einmal 40%-igem Stimmanteil darf dies vermutet werden. Dennoch muss die Raumplanung nun ihre Lehren aus den bekannten Vorwürfen ziehen, die Bauzonenfläche sei überdimensioniert.
Die Gemeinden haben wie gewohnt geliefert. Ohne ihr aktives Mitwirken hätte der vergangene Abstimmungssonntag nicht derart reibungslos über die Bühne gebracht werden können. Damit jede Stimme demokratisch zählt, setzt jeder nationale Urnengang jeweils ein bestens eingespieltes Räderwerk in den über 2000 Schweizer Gemeinden in Gang: Etwa vier Wochen im Voraus senden die Gemeindekanzleien das Stimmcouvert den angemeldeten Einwohnerinnen und Einwohner per Post zu; danach bieten sie das Personal auf, überwachen die Wahlbüros und entschädigen am Sonntagabend jeden einzelnen Stimmenzähler mit bis zu 30 Franken pro Arbeitsstunde. So funktioniert die Schweiz an jedem Urnengang nach bestem Milizgewissen: Was die hohe Politik in Bern bestimmt, setzt die kommunale Basis im Sinn ihrer Gemeindeautonomie um.
Das gilt für die Organisation des Wahl- und Stimmrechts; das gilt aber auch für die Raumplanung in der Schweiz. Die Leitlinien für einen haushälterischen Umgang mit der Landschaft und dem Boden setzt das nationale Gesetz fest; ihre überprüfbare Anwendung ist Sache der Kommunalpolitik. Die Gemeindeexekutive ebenso wie die kommunalen Bauämter und die beigezogenen Ortsplaner sind wichtige Scharniere im föderalistisch organisierten Raumplanungsräderwerk.
Und hier haben die Gemeinden noch nicht geliefert, sondern stehen nun unter Beobachtung, denn mit der Zersiedlung darf es so nicht weitergehen. Am zweiten Februarsonntag hat die Schweizer Stimmbevölkerung die «Zersiedelungsinitiative» abgelehnt und damit ein Einfrieren der Bauzonen verhindert. Beinahe zwei Drittel sprachen sich dafür aus, den Gemeinden weiterhin Spielräume für das räumliche und ökonomische Wachstum zu gewähren und die aktuellen Verdichtungsbemühungen keinesfalls zu torpedieren.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga, neu zuständig für die Raumentwicklung in diesem Land, versteht die Ablehnung als Zuspruch für das aktuelle Raumplanungsgesetz. Vor sechs Jahren hatte die Bevölkerung seiner Verschärfung zugestimmt: Kantone und Gemeinden haben damals den Auftrag gefasst, die Baulandreserve zu verkleinern und restriktivere Regeln bei Neueinzonungen zu verlangen.
In wenigen Wochen läuft dazu ein erstes Ultimatum ab. Nur Kantone, die bis Ende April einen gültigen Richtplan vorweisen können und ihre eigenen Planungsgesetze mit dem Mehrwertausgleich ergänzt haben, dürfen Änderungen in den kommunalen Ortsplanungen zugestehen. Aus 12 von 26 Ständen – darunter Zürich, Wallis, Graubünden oder Schaffhausen – ist allerdings bekannt, dass diese Bedingungen bis anhin nicht erfüllt werden. Ihnen droht auch ohne «Zersiedelungsinitiative» ein temporäres Einzonungsverbot.
Primär stehen die Gemeinden unter Beobachtung, die überdimensionierten Bauflächen endlich auszuzonen. Ebenso sind nun der Bund und die Kantone angehalten, auf eine fristgerechte Erledigung der Pendenzen zu pochen. Die Bevölkerung habe kein Vertrauen gehabt in die Instrumente der Initianten, betonte Bundesrätin Sommaruga. Dieses Vertrauen dürfen jedoch auch die Raumplanungsbehörden bei Bund, Kantonen und Gemeinden nicht aufs Spiel setzen.