Heis­ser, tro­cke­ner, näs­ser: Schwei­zer Städ­te im Kli­ma­wan­del

Hitze und Starkregen nehmen zu, nicht nur in den grossen Städten. Behörden sind mit neuen Themen konfrontiert und finden unterschiedliche Wege, um die Anliegen der Klimaanpassung in die Planung zu integrieren.

Publikationsdatum
14-06-2022

Sitten war eine der ersten Schweizer Städte, die sich einer klimaangepassten Stadt­entwicklung annahm. Unter Begleitung des Bundesamts für Raum­entwicklung lancierte die Walliser Kantonshauptstadt von 2014 bis 2016 das Projekt «Acclimatasion». Die Verwaltung wählte dafür einen projektbezogenen Ansatz und realisierte selbst eigene Vorhaben. Ebenso ging sie aktiv auf private Bauherrschaften zu, um mit ihnen gemeinsam Massnahmen auf privaten Parzellen umzusetzen. Daraus entstanden ein Leitfaden für private Bauherrschaften und Planungsverantwortliche sowie eine verbindliche hitzemindernde Richtlinie für die Planung und Pflege des öffentlichen Raums.

Hitze und Extremereignisse

Der Klimawandel konfrontiert Städte und in der Schweiz primär mit zwei Herausforderungen: zunehmende und länger andauernde Hitze mit Trockenheit sowie Extremwetterereignisse wie Starkregen und Überschwemmungen. Obwohl die Tagestemperaturen und Niederschlagsmengen in Städten und dem Umland vergleichbar sind, wirken sie sich in dichten Siedlungsräumen anders aus, denn eine kompakte Baustruktur verstärkt beide Probleme. Eng beieinander stehende Bauten verhindern eine gute nächtliche Durchlüftung, Aussenräume und Gebäude mit Asphalt, Beton, Stahl und Glas speichern die Hitze. Es bilden sich sogenannte Hitze­inseln, und die Anzahl Tropennächte, die die Bewohnerinnen und Bewohner besonders gefährden, nimmt zu, je nach Klimaszenario sogar erheblich. In einem Szenario ohne genügenden Klimaschutz würde beispielsweise in Neuenburg die Anzahl Tropennächte von heute durchschnittlich 1.5 auf 22 Tropennächte im Jahr 2050 ansteigen.

Während die Hitze primär im Sommer auftritt, kann Stark­regen zu jeder Jahreszeit fallen. Die Klimaszenarien CH2018 gehen zwar von zunehmender Trockenheit im Sommer und vermehrtem Stark­regen im Winter aus, aber gerade der Sommer 2021 war die Ausnahme und führte eindrücklich vor Augen, welch grosse Schäden anhaltender Regen verursachen kann. Die Versiegelung der Oberflächen und die Kanalisierung des Regenwassers verschärften die Situation in den Städten. Nicht nur Bäche, Flüsse  und Seen, die über ihre Ufer treten, führen zu Überschwemmungen; lokal auftretender Starkregen verursacht laut kantonaler Gebäudeversicherungsstatistik schon heute die Hälfte der Überschwemmungsschäden.

Strategie oder Projekte

Was kann man tun, um Hitzerisiko und Überschwemmungsgefahr in Siedlungsräumen entgegenzuwirken? Der Grundlagenbericht des Bundes «Hitze in Städten» bietet eine umfangreiche und hilfreiche Übersicht der wirksamsten Massnahmen mit Beispielen. Gute Durchlüftung, Entsiegelung und Begrünung sind die neuen Maximen der Planung. Unter den Schlagwörtern Hitzeminderung, Stadtklima und Schwammstadt erarbeiten auch die städtischen Verwaltungen und Gemeinden Projekte, Konzepte und Strategien. Oft werden die Themen kombiniert angepackt, denn Grün und unversiegelte Böden wirken sowohl einer übermässigen Erhitzung als auch einer Überlastung der Abwassersysteme bei Stark­niederschlag entgegen und leisten zusätzlich noch einen Beitrag an die Biodiversität.

Ein Vergleich zeigt: Einige Städte gehen die Klimaanpassung strategisch-konzeptionell an, während andere Städte und Gemeinden eher mit einzelnen Projekten Erfahrungen sammeln und ihre Ziele in Legislaturplänen und anderen über­geordneten Strategien festsetzen. Wie Sitten geht auch Biel mit konkreten Ideen voran: Bei der Um­gestaltung des Schüsskanals wird ein Grossteil des Bodens entlang des 2 km langen Kanals entsiegelt, sodass Regenwasser inkl. Dachwasser versickert. Das entlastet das Kanalisationssystem und fördert die Baumgesundheit, was wiederum zu einer besseren Kühlungsleistung an heissen Tagen führt.

Verbindliche Grundlagen schaffen

Basel, Zürich, Winterthur und an­dere grosse Städte wählen oft ein strategisch-konzeptionelles Vorgehen. In der Regel wird eine Stadt­klimaanalyse durchgeführt, um die Temperaturen im Siedlungsgebiet für einen durchschnittlichen Sommertag heute und etwa für das Jahr 2030 zu modellieren. Durch die Überlagerung dieser Daten mit den bestehenden Nutzungen sowie Grün- und Freiräumen werden besonders vulnerable Orte identifiziert: Ein Hitzestau über Bahngleisen ohne angrenzende Anwohnerschaft ist weniger verheerend als Tropen­nächte in der Umgebung eines Altersheims. Darauf aufbauend werden Ziele und Massnahmen definiert: zur Hitzeminderung und Entlastung, zur Begrünung, zum Umgang mit Wasser und zur besseren Durch­lüftung. Diese Strategien sind be­hördenverbindlich, müssen also bei allen Bauvorhaben der öffentlichen Hand berücksichtigt werden. Privaten Bauherrschaften können sie als Planungshilfe und Informationsgrundlage dienen, sie sind aber – wie auch der Leitfaden der Stadt Sitten – nicht verbindlich.

Konzeptionell oder konkret: Es braucht beides

Beide Vorgehen haben ihre jeweiligen Vorteile. Kleinere konkrete Projekte orientieren sich am Machbaren und zeigen den Beteiligten und der Öffentlichkeit auf, worum es geht. Der Fokus auf die Umsetzung übersetzt die Herausforderungen auf die Ebene der konkreten Massnahmen: Aus grossen Worten wie Entsiegelung und Begrünung wird ein Projekt mit offen verlegten Bodenplatten, Kiesbelag und neu gepflanzten Lindenbäumen. Das hilft den Verantwortlichen dabei, Mehrwerte und Aufwand mit Beispielen greifbar zu vermitteln und alle Akteure einzubeziehen.
Demgegenüber erarbeitet die strategisch-konzeptionelle Herangehensweise nicht nur Massnahmen im Bereich des Machbaren, sondern auch Grundlagen, die den Handlungsbedarf in Bereichen mit wenig Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Die Klimaanalysen der Hitzesituationen 2030 verdeutlichen die Dringlichkeit einer konsequenten und flächendeckenden Klimaanpassung. Wobei das Jahr 2030 fast zu nah scheint, wenn man sich die Planungshorizonte städtebaulicher Prozesse vor Augen führt. Kein Baum, der heute gepflanzt wird, kann bis 2030 sein Kronenvolumen und eine volle Verdunstungsleistung entwickeln.

Das entscheidende halbe Grad

Unabhängig von den geplanten Vorkehrungen in den ersten Städten wird ein zentraler Punkt bei der ­Klimaanpassung fast nirgends angesprochen: Konsequenter Klimaschutz ist die Voraussetzung für den Erfolg unserer Anpassungsmassnahmen. Auch die Berechnungen für 2030 beruhen allesamt auf der Annahme, dass die Ziele des Pariser Abkommens erreicht werden und die globale Erwärmung 1.5 °C nicht übersteigt. Gleichzeitig eröffnete der jüngste IPCC-Report 2022 mit dem unmissverständlichen Hinweis, dass die bisher vereinbarten nationalen Reduktionsziele nicht ausreichen werden, um die Klimaerwärmung unter 2 °C zu halten. Dieses halbe Grad Celsius ist für die Klimaanpassung entscheidend: Denn bei 2 °C treten Extremwetterereignisse mindestens doppelt so intensiv wie bei einer Erwärmung um 1.5 °C.

Was das für die Schweiz und die einzelnen Ortschaften bedeutet, ist derzeit nicht abschätzbar. Klar ist: Hitze, Starkregen und Trockenheit werden längst nicht nur die grossen Schweizer Städte, sondern auch weniger prominente Siedlungsräume und Agglomerationen oder Ortskerne betreffen. Höchste Zeit also für alle Planungsverantwort­lichen, sich der klimaangepassten Planung anzunehmen.

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