«Im Fernunterricht ist das Gegenüber oft unsichtbar und unhörbar»
Prof. Felix Wenk ist Studiengangleiter Bauingenieurwesen an der Hochschule für Technik in Rapperswil. Hier spricht er über den neuen Alltag an der Hochschule und berichtet, wie sich Studierende und Dozierende darin zurechtfinden.
Espazium: Herr Wenk, Wie findet zurzeit die Lehre an der Hochschule für Technik in Rapperswil statt?
Felix Wenk: Seit dem Bundesratsbeschluss vom 13. März 2020 finden an der Hochschule keine Präsenzveranstaltungen wie Vorlesungen, Übungen und Praktika mehr statt. Mittlerweile wird in allen Studiengängen ausschliesslich online unterrichtet. Die Lernplattform Moodle mit den integrierten Plug-ins für Vorlesungen, Übungen und Praktika dient den Dozierenden und Studierenden als eines von mehreren Unterrichtstools. Intrinsisch haben die Dozierenden Online-Foren geschaffen, um die bisherigen Erfahrungen untereinander auszutauschen. Die technische Ausrichtung der Hochschule half sehr bei der Einführung des Fernunterrichts.
Welche sonstigen Auswirkungen hat die gegenwärtige Situation auf den Hochschulbetrieb?
Neben einem Hochschulkrisenstab haben wir in den einzelnen Studiengängen kleinere Taskforces gebildet, um die Dozierenden und Studierenden im neuen Alltag zu unterstützen. Neben den Studierenden arbeiten auch die meisten Hochschulmitarbeiter von zu Hause. Durch die rückläufige Präsenz mussten die Mensa und Cafeteria schliessen.
Leider können auch Informationsveranstaltungen nicht wie gewohnt stattfinden. Um die Studiumsinteressierten trotzdem erreichen zu können, bieten wir solche nun online an.
Welche Herausforderungen ergeben sich für die Dozierenden und Studierenden im Alltag?
Der Fernunterricht ist für alle ungewohnt. Die Dozierenden mussten sich innert kurzer Zeit intensiv mit den neuen Tools vertraut machen. Wer in einem Vorlesungssaal vor einer Klasse unterrichtet, kann sofort erkennen, ob seine Botschaft beim Publikum ankommt. Im Fernunterricht ist das Gegenüber weitgehend unsichtbar und unhörbar.
Die Dozierenden müssen daher andere Wege finden, um den Puls bei den Studierenden zu fühlen. Auch können längere Vorlesungen am Bildschirm monoton wirken. Die Dozierenden müssen für Auflockerung besorgt sein.
Die vorhandenen Online-Werkzeuge ermöglichen andererseits viele interessante Formen der Interaktion. Für Gruppenarbeiten bieten sich beispielsweise virtuelle Räume an, Fragen lassen sich über einen Chat austauschen. Der Fernunterricht fordert aber von allen Betroffenen ein hohes Mass an Selbstdisziplin.
Wie werden betreuungsintensive Aufgaben wie Semester- und Abschlussarbeiten, die ja teilweise mit externen Partnern oder gar im Ausland stattfinden, abgewickelt?
Zur Betreuung von Studienarbeiten halten wir Webkonferenzen ab – die Besprechungen können so ohne wesentliche Einschränkungen fortgeführt werden. Man sieht und hört sich, und die Arbeitsfortschritte lassen sich mittels Screensharing direkt am Bildschirm besprechen. Für Webkonferenzen müssen weder die Studierenden noch die betreuenden Personen an die Hochschule kommen – das spart Zeit. Die angebotenen Bachelorarbeiten im Ausland, z.B. in Italien, Norwegen oder Chile, finden aufgrund der aktuellen Situation nicht wie geplant statt. Für die betroffenen Studierenden haben wir kurzfristig Alternativthemen gefunden.
Haben die derzeitigen Umstellungen Konsequenzen für die fachliche Ausbildung der Studierenden oder deren bevorstehenden Eintritt in die Berufswelt?
Da wir den Stundenplan im Fernunterricht praktisch vollumfänglich einhalten, sollten die Lernziele grösstenteils erreicht werden. Umfragen bei Studierenden zeigen, dass rund 80% den Fernunterricht als gleichwertig oder sogar besser empfinden. Die Bestätigung erfolgt dann in der Prüfungssession.
Wie wir mit den Modulschlussprüfungen im Juni respektive im August/September verfahren, ist zurzeit noch nicht abschliessend geklärt. Wir arbeiten an verschiedenen Szenarien.
Welche Chancen ergeben sich mutmasslich aus dem veränderten Unterrichtsbetrieb?
Der Einstieg in den Fernunterricht war mangels Erfahrung nicht ohne Risiko. Nach den ersten Wochen können wir jedoch bereits eine erste positive Bilanz ziehen. Es zeigt sich, dass dem Fernunterricht zwar die soziale Komponente weitgehend fehlt, die Dozierenden aber trotzdem gut auf die individuellen Bedürfnisse der Studierenden eingehen können. Beispielsweise können die Studierenden ihre Fragen im Chat ohne den sonst in der Klasse herrschenden Konformitätsdruck stellen.
Da die Vorlesungen aufgezeichnet werden, lassen sie sich zu einem späteren Zeitpunkt nochmals im eigenen Tempo ansehen. Die wegfallende Anwesenheitspflicht hat zudem positive Auswirkungen auf familienorientierte Teilzeitmodelle, eine nachhaltige Mobilität und das Klima.
Wie lang wird es schätzungsweise dauern, bis die Hochschule wieder in den Normalbetrieb übergehen kann?
Vorerst bleibt die Hochschule gemäss Bundesratsbeschluss bis zum 19. April 2020 für Präsenzveranstaltungen geschlossen. Im Gegensatz zu anderen Hochschulen und Universitäten schliesst Rapperswil allerdings eine Rückkehr zum Normalbetrieb im laufenden Semester nicht aus, falls der Bundesrat dafür grünes Licht gibt.
Zur Person:
Prof. Felix Wenk, Dipl. Bauing. ETH SIA, Studiengangleiter Bauingenieurwesen an der Hochschule für Technik Rapperswil.
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