«Je­des Bau­ele­ment muss zwei Funk­tio­nen er­fül­len»

Der Zürcher Solararchitekt Beat Kämpfen erstellt Häuser, die gute ­Gestaltung mit Energieeffizienz und nachhaltiger Bauweise verbinden. Im Gespräch erläutert er, weshalb das heute selbstverständlich sein sollte – aus Rücksicht auf die Umwelt, aber auch für das Wohlbefinden der Benutzerinnen und Benutzer.

Publikationsdatum
10-11-2017
Revision
10-11-2017

TEC21: Der Begriff «Solares Bauen» wird häufig mit Seide-Wolle-Bast-Ästhetik assoziiert. Ihre Entwürfe dagegen beweisen, dass ökologischer und gestalterischer Anspruch vereinbar sind. Sie zählen nachhaltige Bauweise und Energieeffizienz zu den Randbedingungen, denen die Architektur zu genügen hat, ohne sie plakativ zu zelebrieren. Wie definieren Sie diese Haltung?
Beat Kämpfen: Ich verstehe mich als modernen Architekten, der Räume mit Licht, Luft und Sonne baut. Dazu will ich alle verfügbaren Baustoffe einsetzen, auch thermische Kollektoren und Photovoltaikmodule. Wenn eine Fassade Wärme und Strom produzieren kann, warum sollte sie das nicht tun? Die Energiewende ist eine Lebensnotwendigkeit. Es ist Aufgabe jeder Architektin und jedes Architekten, sich damit zu beschäftigen. Wir haben eine Schlüsselposi­tion beim Bauen und müssen uns in einem frühen Projektstadium mit konzeptionellen Fragen auseinandersetzen. Dazu gehört auch, wie sich ein Gebäude zum Klima des Ortes verhält. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass die passive Nutzung der Sonnenenergie – dass die Sonne ins Haus hineinscheinen kann – für das Wohlbefinden der Menschen nördlich der Alpen äusserst wichtig ist. Trotzdem wissen wohl 90 % der Architekten nicht, wie die Sonnenbahn verläuft. Mich überrascht das immer wieder.

TEC21: Wie gelingt es, diese Aspekte in den Entwurf zu integrieren?
Beat Kämpfen: Für mich bedeutet das einen konstanten Spagat zwischen einer möglichst angemessenen Architektur und einer möglichst unschädlichen Bauweise. Diese Haltung lebt von Kompromissen. Es braucht Ab­striche an der Architektur – vieles ist möglich, aber nicht alles –, und es braucht Abstriche bei der Ökologie. Ich wähle nicht die beste Energielösung, sondern die beste, die architektonisch verträglich ist. Ich ­vertrete eine pragmatische, bescheidene Architektur, die tägliche Bedürfnisse befriedigt. Dazu gehört auch, dass jedes Bauelement mindestens zwei Funktionen erfüllen muss. Es reicht nicht, dass eine Fassade lediglich den Wetterschutz gewährleistet; sie soll – neben ihren ästhetischen und repräsentativen Funktionen – zusätzlich Gutes tun, zum Beispiel Energie produzieren, Pflanzen als Klettergerüst dienen oder ­Vögeln Nistmöglichkeiten bieten. Ein Geländer ist nicht nur eine Absturz­sicherung, es kann auch Warmwasser produzieren.

TEC21: Sie bezeichnen sich als «Solar­architekten», obwohl Ihre Architektur sich nicht auf diesen Aspekt reduzieren lässt. Liegt das daran, dass Ihr Zugang zur Sonne nicht ideologisch, sondern emotional ist?
Beat Kämpfen: Es stimmt, dass die Sonne mir sehr viel bedeutet. Sie ist der Quelle allen Lebens auf der Erde und hat auch das Leben der Menschen immer geprägt. Es ist für die Qualität eines Raums von entscheidender Bedeutung, wie er zur Sonne orientiert ist; ich behaupte sogar, dass das der wichtigste Einflussfaktor ist. Auch wenn manche von Nordwohnungen schwärmen, weil man die Aussicht geniessen kann, ohne geblendet zu werden: Es ist kein Zufall, dass die sonnige Seite des Zürichsees, die Goldküste, die höchsten Immobilienpreise aufweist. In einer Wohnung ohne Südfenster hat man in unseren Breitengraden im Winter kein direktes Sonnenlicht. Das ist eine psychische Belastung. Früher zweifelte niemand daran. In den Anfängen der architektonischen Moderne, bei den ersten Entwicklungen des Zeilenbaus, hat man lange darüber debattiert, wie die Zeilen orientiert sein sollen. Anfänglich hatten Zeilen mit Nord-Süd-Wohnungen mehr Anhänger. Erst allmählich hat sich die später übliche Ausrichtung der Zeilen durchgesetzt, weil sie «gerechter» ist in dem Sinn, dass in ­einer Ost-West-Wohnung alle Räume etwa gleich viel Sonnenlicht bekommen. Seit den 1950er-Jahren ist dieser Typus Standard. Dabei ist eine Ost-West-Wohnung sehr ungünstig: Im Sommer bekommt sie so viel Sonne, dass Überhitzung droht, und im Winter im ungünstigen Fall überhaupt keine. In einer Nord-Süd-Wohnung dagegen hat man im Sommer weniger Einstrahlung, weil die Sonne steiler steht, und im Winter mehr. Darum bin ich überzeugt, dass das die richtige Orientierung ist.

TEC21: Vor 25 Jahren galten Solararchitekten als Öko-Freaks.
Beat Kämpfen: Als ich an der ETH Architektur studiert habe, sprach man nicht über Energie, Holzbau oder Gebäudetechnik; ich habe diese Themen erst 1981–82 in Kalifornien entdeckt. Damals waren uns die USA diesbezüglich weit voraus. Mittlerweile haben wir sie überholt, und man muss kein Öko-Freak mehr sein, um sich mit Energiefragen zu beschäftigen. Heute erwartet die Gesellschaft, dass man es tut. Das Interesse an Weiterbildung auf dem Gebiet des öko­logischen Bauens ist mittlerweile riesig, und die Entwicklung ist längst nicht ab­geschlossen. Meine Zukunftsvision sind Bauten, die sich wie Bäume den Umwelteinflüssen anpassen: dank der Nutzung von Sonne und Regen autark bezüglich Energie- und Wasserhaushalt, ohne dass man das System permanent am Computer überwachen müsste. Die Architekten täten gut daran, sich vermehrt mit biologischen Prozessen zu beschäftigen…

Bauprojekt: Sunny Watt, Watt ZH    

Baujahr: 2010    

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
Kämpfen Bau GmbH, Zürich


Architektur, Innenarchitektur und Bau­biologie
kämpfen für architektur ag, Zürich


Tragkonstruktion
timbatec ag, Zürich  

 
HLKS-Planung
Naef Energietechnik, Zürich; Gerber Haustechnik, Schwerzenbach ZH    


Akustikplanung
Amstein + Walthert, Zürich  

 
Bauphysik
Amstein + Walthert, Zürich


Elektroplanung
Naef Energietechnik, Zürich


Geologie/Geotechnik
Sieber Cassina Partner AG, Zürich  

 
Holzbau
Hector Egger Holzbau AG, Langenthal BE    
 

Technische Angaben
 

Energiebedarf    
Heizung/Warmwasser: 37 936 kWh/a    
El. Hilfsenergie und Wärmerückgewinnung: 11 105 kWh/a
Elektrizität Haushalt: 60 829 kWh/a    
Gesamtenergiebedarf: 109 870 kWh/a    
 

Eigen-Energieversorgung
Photovoltaik Dach (740 m2 dachintegrierte,monokristalline Solarzellen): 88 400 kWh/a
Solarthermie Dach (60 m2 Vakuum-Röhrenkollektoren): 18 061 kWh/a
Geothermie: 5 Erdwärmesonden in 300 m Tiefe
Gesamtproduktion: 106 461 kWh/a    
 

Auszeichnung
Schweizer Solarpreis 2011
 

Zertifizierung
Minergie®-P-ECO, bilanzierte Null-Heizenergie-Siedlung  

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