Kom­pak­te Ar­chi­tek­tur und ver­steck­te Tech­nik

Ein Laborgebäude in Bellinzona umhüllt sein hochtechnisiertes Inneres mit glatten Fassaden. Die Heizenergie kommt aus dem Netz, die Kälte aus dem Untergrund.

Publikationsdatum
09-12-2021

Eine wundersame Struktur irritiert das Auge unterwegs zwischen Bellinzona und Lugano. Ein «Palazzo dei Diamanti» des verspäteten Industriezeitalters sitzt da inmitten grüner Felder. Die waffeleisenartige Fassade verrät nicht, dass es sich um eine Kehrichtverbrennungsanlage handelt. Der stolze Auftritt des 15 Jahren alten Bauwerks (Architektur: Livio Vacchini) entspricht gleichwohl dessen zentraler ­Bedeutung für die Region. Was die Müll­camions herbeischaffen, fliesst, umgewandelt in Energie, über ein Fernwärmenetz zurück in die Gegend zwischen dem Nordufer des Lago ­Maggiore und Bellinzona.

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An dieses Netz angeschlossen wurde nun ein Bau, der sich wie ein architektonischer Gegenspieler zu dem Müllkraftwerk ausnimmt: Eine vollkommen glatte Haut, grosse Zurückhaltung und strenge städtebauliche Disziplin zeichnen das Laborgebäude aus, das der Tessiner Architekt Aurelio Galfetti gemeinsam mit seinem Team realisierte. Stellt dieser wohlfeil gestaltete Neubau nicht einen augenzwinkernden Kontrast zum Infrastrukturgebäude dar?

Vollkommene Glätte

Der Bauherrschaft – dem Institut für Biomedizin IRB und anderen Forschungsinstituten der Universität der italienischen Schweiz – bescheren die Architekten lichtdurchflutete Labors entlang der Fassaden, die sich um einen dunkleren Kern mit ­Nebenräumen und dienenden Nutzungen legen, getrennt von einem über die Labors belichteten Flur. Erschlossen wird der Riegel quer dazu über ein Foyer, das den Bau in unaufgeregte Symmetrie teilt. Das ist eine luftige Geste; ansonsten ist die Architektur logisch angeordnet, klar und nachvollziehbar. Die beinahe komplette Verglasung des Institutsgebäudes scheint Open Access zu Forschungsdaten baulich manifest machen zu wollen.

Wohltemperiertes Wasser

Im Verborgenen befindet sich die Technik: der Anschluss an die Fernwärme, aber beileibe nicht nur dieser. Von der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) in Giubiasco kommen zwei Leitungen mit unterschiedlichem Temperaturniveau an. Diejenige mit 90 °C heissem Wasser dient der Pro­duktion von Warmwasser und dem Vorwärmen von Dampf für das Sterilisierungssystem. 60 °C warme KVA-Abwärme wird derweil gebäudeintern für die Raumklimatisierung genutzt: als Wärmequelle für die Bauteilaktivierung und zur Vorwärmung des mechanischen Luftwechsels.

Für den öffentlichen Fernwärmebetreiber ermöglicht die Lieferung zweier Tem­peraturniveaus ein Recycling des Energieangebots: Der Niedertemperaturkreislauf speist sich aus dem Rücklauf des heis­seren Kreislaufs. Die Kaskadennutzung steigert die Ausbeute der KVA-Abwärme und verbessert den Wirkungsgrad des Ver­bundsystems. Der Volumenstrom und die ­Pumpenleistung für die Wärmeverteilung zwischen Giubiasco und dem IRB-Neubau werden nach Bedarf angepasst, um den effizienten Betrieb jederzeit sicherzustellen.

Die Kälteversorgung des Laborgebäudes speist sich via einem Kühlaggregat aus dem lokalen Untergrund. Saisonal bedingt ist das dafür thermisch genutzte Grundwasser zwischen 11 und 14 °C kühl. Dass sich der Bau trotz grosszügiger Verglasung nicht unerträglich aufheizt, verdankt er jedoch auch der «Closed Cavity Facade» (CCF), die die Laborgeschosse umhüllt. Im Grunde genommen ist das ein technisch aufgerüstetes Kastenfenster, nach innen mit Dreifachverglasung, nach aussen mit einer einfachen Glasscheibe. Der Luftraum dazwischen steht unter stetem Überdruck, der einen Eintrag von Staub und Kondensat verhindert und jegliche äusseren Einflüsse fernhält, die die reinen Laborexperimente beeinträchtigen könnten.

Verborgene Technik

So aufwendig die technischen Anlagen für den Betrieb des Neubaus sind, so ver­borgen bleiben sie. Wie in einem konventionellen Gebäude steht die Heizung – ein Wärmetauscher – im Keller. Und die Architekten achteten gemeinsam mit dem Haustechnikplaner peinlich darauf, dass das Dach von technischem Inventar frei blieb. Alle Abluftanlagen sind in kleine Innenhöfe integriert, die sich nach oben lediglich mit kleinen Kaminen kenntlich machen. Darum herum ist das Dach vollkommen flach: Es besteht aus liegenden Photovol­taikpaneelen im perfekten Raster. Die von den Architekten gewollte Horizontalität verursacht aber eine 15 bis 20 % kleinere Ausbeute von elektrischer Energie im Vergleich zu geneigten Paneelen. Diese Ein­busse nehmen die Auftraggeber in Kauf.

Neubau Istituto di Ricerca in Biomedicina IRB, Bellinzona

 

Nutzung: Labor, Verwaltung, Schule

 

Anschluss an Wärmenetz: Abwärme aus der Kehrichtverbrennung

 

Weitere Energiequellen: Grundwasser (Kühlen)

 

Bauherrschaft: Università della Svizzera Italiana USI

 

Architektur: Studio Galfetti, Lugano

 

Energiekonzept: Steam, Padua (I)

 

Bauphysik: Erisel, Bellinzona

 

Ingenieurwesen: Messi Associati, Bellinzona

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