Kom­pak­te Hy­bri­de

Zukunftsweisende Bauten der Arbeit

Waren Arbeitswelten früher strikt nach Tätigkeit getrennt, so sind Hand- und Kopfwerker heute unter einem Dach vereint: Eine neue Typologie entsteht. Zwei Beispiele illustrieren, wie die Bauten dieser New Old Economy aussehen.

Publikationsdatum
10-11-2016
Revision
11-11-2016

In den vergangenen Jahren sind verschiedentlich hybride Industriebauten entstanden, die sowohl Büros als auch Werkplätze anbieten, oft vertikal zueinander organisiert oder gar miteinander verzahnt. Sie entsprechen nicht mehr dem Bild einer Fabrik, wie es sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts verfestigt hat: breit gelagerte Werkhallen, flankiert von Spezial­gebäuden wie Silos und Lager, und beim Zugang ein Verwaltungsgebäude, das bevorzugt in der Vertikalen organisiert ist, sodass es das Meer der Sheds wie ein Leuchtturm überragt. 

Selbst dort, wo die Werkhallen gestapelt wurden, hat man Produktions- und Büroarbeitsplätze im Allgemeinen säuberlich voneinander getrennt. Verständlicherweise, verlangen doch die beiden Nutzungen nach unterschiedlichen Gebäudetiefen und Raumhöhen; die eine produziert Emissionen, während die andere empfindlich ist gegenüber Immissionen. Vor allem aber gehören sie unterschiedlichen Kulturen an, die sich früher so schwer mischten wie Öl und Wasser. 

Ich erinnere mich an die alte Sulzer-Kantine beim Escher-Wyss-Platz, wo den Arbeitern im Blaumann ein eigener Bereich reserviert war. Mein Gedächtnis kann sich täuschen, wenn es hier Tischtücher sieht, aber mit Sicherheit waren die Tische aufgedeckt. Die Arbeiter wurden bedient, während die Angestellten ihre Speisen selbst holen mussten. Ob damit den Blue Collars Ehre erboten wurde oder ob es bloss um einen Schutz der White Collars ging: Die beiden Welten blieben auch in der gemeinsamen Mittagspause säuberlich voneinander getrennt. 

Die Arbeitswelten haben sich jedoch gewandelt. Büros ähneln bisweilen Werkhallen, und Werkhallen können aussehen wie Labors. Grosse Serien werden heute meist anderswo produziert; Industrien jedoch, die innovativ Spezialitäten produzieren, sind oft gerade deshalb noch hierzulande tätig, weil sie auf eine enge Verknüpfung von Entwicklung, Design, Prototyping, Produktion, Marketing und Qualitätskontrolle angewiesen sind. Nähe ist dabei von Vorteil, und hybride Gebäude, die Büros und Werkhallen stapeln wie das Nœrd in Zürich (vgl. TEC21, Sonderheft «Umsicht», 2013) oder der Bau der Sky-Frame in Frauenfeld, stellen entsprechende Räume zur Verfügung. Das Hilti Innova­tionszentrum ist zwar kein Industriebau, es kann aber als eine Art Prototyp für zukünftige Bauten der Arbeit gelten, die einer Industrie dienen, die unter starkem Innovationsdruck steht. 

Die beiden in diesem Heft vorgestellten Beispiele gehen die Aufgabe unterschiedlich an, in gewisser Hinsicht sogar gegensätzlich. Das Projekt für Sky-Frame geht vom Grundsatz möglichst flexibler Räume aus – nicht von ungefähr stand der Wettbewerb unter dem Motto «open system». Während der tief greifenden Überarbeitung des Konzepts rückten die Funktionen zwar enger zusammen, das Prinzip einer neutralen Baustruktur in Form eines rationalen, weit gespannten Stahlskeletts, das sämtliche Arbeitsräume prägt, blieb jedoch bestehen. Die Unterscheidung in Büros und Werkhallen erfolgt hier sekundär, über unterschiedliche Raumhöhen und vor allem über den Ausbau, zu dem auch die Aussparung des Dachgartens gerechnet werden kann.

Das Hilti Innovationszentrum dagegen forciert die Unterschiedlichkeit der Arbeitssituation durch eine Ausdifferenzierung in eine riesige, stützenfreie Halle und eine Baumasse, die sie umgibt und die man auch als eine Art Baublock mit einem raumhaltigen Dach über dem Hof lesen kann. Die Tragstruktur und die Raumstruktur sind hier miteinander gekoppelt, und die Nähe der unterschiedlichen Bereiche wird unter Nutzung ihrer Differenz erreicht. 

Die neuen Hybride sind nicht nur bezogen auf die Anforderungen heutiger Industrie, sondern auch städtebaulich interessant. Die Funktionstrennung als Errungenschaft der Moderne, die die üblichen Zonenpläne festschreiben, wird seit Längerem infrage gestellt. Es läge nahe, solche Bauten als Vorboten einer Stadt zu sehen, die wieder stärker unterschiedliche Arten des Arbeitens mit dem Wohnen vermischt. Es fällt leicht, sich vorzustellen, dass die Schichtung Wohnungen einschliessen würde, sodass man sich dem alten Traum von einer vertikalen Stadt annähern würde.

Der Inte­gration von Industrie in die Kernstädte scheinen jedoch nach wie vor Grenzen gesetzt zu sein. Der Zu- und Auslieferungsverkehr, der notwendige Freiraum für Lastwagenmanöver und potenzielles Wachstum und nicht zuletzt der nach wie vor relativ hohe Raumbedarf bleiben Eigenheiten, die eher für periphere Lagen sprechen und einer erfolgreichen Konkurrenz von Industrie oder grösserem Gewerbe mit Wohn- oder Büronutzungen entgegenstehen.
 

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