Mensch oder Maschine?
Am 28. Juni lud die Schweizerische Akademie der technischen Wissenschaften SATW an die Empa ein, um über die Folgen der Digitalisierung für das Bauen zu diskutieren. Eines wurde schnell klar: Alles wird anders.
Seit zwei Jahren experimentiert die Planungs- und Baubranche am NEST-Gebäude der Empa mit innovativen Technologien, Baustoffen und Konstruktionen (vgl. TEC21 22/2016). Am Nachmittag des 28. Juni 2018 bot sich wieder eine gute Gelegenheit, sich über die neuesten Entwicklungen zu informieren und verschiedene Units am NEST zu besichtigen, darunter auch das im Bau befindliche DFAB House. Anschliessend fand in der Empa-Akademie die Veranstaltung TecToday «Digitale Transformation – Zukunft des Bauens?» der Schweizerischen Akademie der technischen Wissenschaften SATW statt. Ein Input-Referat und eine Podiumsdiskussion später war klar: Die Baubranche gilt als konservativ und träge, doch das könnte sich in Zukunft ändern.
Fabio Gramazio, Professor für Architektur und digitale Fabrikation am Departement Architektur ETHZ und Initiator des DFAB House, plädierte in seinem Input-Referat dafür, Mensch und Maschine als komplementär zu betrachten: Früher oder später würden Roboter alle Arbeiten übernehmen, die sie besser, schneller und billiger erledigen können als Menschen, auch auf der Baustelle; es gäbe aber viele Tätigkeiten, für die der Mensch unersetzlich sei. Umso wichtiger sei es für die Schweizer Baubranche, auf diesen Gebieten möglichst an der Spitze dabei zu sein, anstatt die Programmierungshoheit internationalen IT-Konzernen zu überlassen. Als konkrete Beispiele stellte Gramazio zwei Bauten vor: zum einen das Dach des Arch_Tec_Lab der ETH Zürich und die Rolle des «digitalen Handwerkers», und zum anderen die vier Innovationen, die am DFAB House getestet werden.
Die Diskussion bot Gelegenheit, verschiedene Standpunkte zu vertiefen. Marco Hutter, Assistenzprofessor für Robotiksysteme an der ETH Zürich, erforscht die Möglichkeiten, autonome Maschinen in komplexen Szenarien einzusetzen, etwa für die Inspektion von Minen oder Rettungsaktionen im alpinen Gelände. Er bestätigte, dass Roboter repetitive Arbeiten ideal verrichten können; überall dort jedoch, wo es auf unerwartete Situationen zu reagieren gilt – wie auf der Baustelle –, seien Menschen auch langfristig unverzichtbar.
Nathalie Rossetti vom Zürcher Architekturbüro Rossetti+Wyss betonte, die Hoheit über den Entwurf müsse bei den Architekturschaffenden bleiben, auch wenn es heute möglich sei, mit digitalen Werkzeugen Flächen und Kosten zu optimieren. Daher sei es wichtig, sich die neuen Technologien aneignen und gezielt anzuwenden, anstatt von ihnen beherrscht zu werden. Reto Largo, Geschäftsführer der Forschungs- und Innovationsplattform NEST an der Empa, sprach sich dezidiert dafür aus, das Potenzial neuer Technologien schnellstmöglich auszuloten.
Der Ingenieur Thomas Wehrle, Vizedirektor und Bereichsleiter Spezialbau bei Erne Holzbau, bestätigte, dass die neuen Fabrikationsmöglichkeiten nicht zwingend zu einer bestimmten Raum- oder Formensprache führen müssten. Wichtig für ein gutes Gelingen sei jedoch, dass die ausführenden Firmen, die sie umsetzen sollten, möglichst früh in die Planung einbezogen werden.
Wie SIA-Präsident Stefan Cadosch erläuterte, befinden sich die Planungs- und Bauabläufe – und damit auch die vom SIA definierten Projektphasen – im Wandel. Dies sorge für eine gewisse Verunsicherung; entsprechend sei die Planerbranche in zwei Lager gespalten, Euphoriker und Skeptiker stünden sich gegenüber. Als Verband habe der SIA indes die Aufgabe, über Sinn oder Unsinn neuer Technologien zu entscheiden. Vielmehr gehe es seit jeher darum, ein Normenwerk zu schaffen, das den jeweils aktuellen Stand der Technik im Sinn einer Best Practice zu kodifizieren, um den Mitgliedern eine Orientierung zu bieten – und dieses Normenwerk mit den üblichen Werkzeugen kompatibel zu machen. Das heisse zum Beispiel, dass die Normen integraler Bestandteil digitaler Werkzeuge sein könnten, sodass die aufwendige Überprüfung, ob ein Entwurf in allen Punkten normenkonform sei, zugunsten kreativerer Tätigkeiten entfallen könnte.
Ebenso lebhaft, wie die Diskussion auf dem Podium verlief, setzte sie sich auch während des anschliessenden Apéros fort. Und es ist absehbar, dass sie noch intensiv weiter geführt werden muss... es kommt viel Neues auf uns zu.
Am DFAB House werden verschiedene Innovationen getestet. Eine Auswahl:
Mesh Mould (schalungsfreie Vor-Ort-Fabrikation einer statisch optimierten Betonwand):
Die neue Bautechnologie vereint die sonst getrennten Funktionen Schalung und Bewehrung. Ein digital generiertes Modell eines Stahldrahtgitters wird mittels eines Roboters in hoher Präzision gefertigt und danach mit Beton gefüllt. Dank den engen Maschen des Gitters und der spezifischen Betonmischung fliesst der flüssige Beton nicht heraus.
Partner: NFS Digitale Fabrikation, ETH Zürich, Noe-Schaltechnik, Schlatter Industries, Stahl Gerlafingen
In situ Fabricator (Robotische Vor-Ort-Fabrikation):
Ein mobiler Roboter, der für die Vor-Ort-Fertigung von Bauelementen ausgelegt ist.
Partner: NFS Digitale Fabrikation, ETH Zürich
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Smart Slab (Additive Vorfabrikation funktional integrierter Deckenelemente):
Mit einem 3-D-Sanddrucker werden hochaufgelöste, formgebende Elemente einer Geschossdecke vorfabriziert. Die Einzelelemente werden mit einer Füllung aus ultrahochfestem, faserverstärktem Beton ausgegossen und mit Ankern für die nachträgliche Vorspannung auf der Baustelle ausgestattet (vgl. «Schlanker, weiter, stärker» und «Hochfest weiter dank UHFB»).
Partner: NFS Digitale Fabrikation, ETH Zürich, Bürgin Creations, Frutiger, Stahlton, voxeljet
Smart Dynamic Casting (Vorfabrikation nicht-standardisierter Betonelemente mittels robotischem Gleitbauverfahren):
Eine kontinuierliche, robotische Gleitschalungsbauweise erlaubt es, tragende Betonstrukturen mit variablem Querschnitt ohne Schalungsabfall vorzufabrizieren.
Partner: NFS Digitale Fabrikation, ETH Zürich, Pemat, Zühlke Engineering
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Spatial Timber Assemblies (Massgeschneiderte, robotische Vorfabrikation von Holzbauelementen):
Die dreidimensionale, robotische Vorfertigung von hochintegrierten Holzbauelementen erweitert die geometrischen Gestaltungsmöglichkeiten der Vorfabrikation, minimiert den Montageaufwand von Einzelelementen und erleichtert die Integration von Technik.
Partner: NFS Digitale Fabrikation, ETH Zürich, ERNE Holzbau, best wood SCHNEIDER
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Digital Living:
Im DFAB House testen die Bewohnerinnen und Bewohner neue Produkte, Systeme, Services und Applikationen.
Partner: digitalSTROM, ABB, Amazon, Microsoft, Nussbaum, Samsung, Schenker Storen, Schibli, Securiton, Smarter Applications, V-ZUG, Zehnder Group
Weitere Infos: https://www.empa.ch/de/web/nest/digital-fabrication