Die Son­nen­fän­ger am Zu­ger­see

Neubau Residenz Rigiblick, Walchwil

Am «Chlimattli», einem steilen Hang am Ostufer des Zugersees, schuf die ARGE Atelier Burkhalter Sumi/Oxid Architektur ein überraschendes Ensemble. Zwischen Bahnlinie und Hauptstrasse bilden die vier Punktbauten ein durch Tunnel verbundenes Gefüge mit Blick auf die Rigi.

Publikationsdatum
11-09-2024

Es gibt Projekte, die brauchen viel Ausdauer und noch mehr Geduld. Die «Residenz Rigiblick» der diesjährigen «Prix Meret Oppenheim»-Preistragenden Marianne Burkhalter und Christian Sumi in Zusammenarbeit mit Oxid Architektur gehört dazu: Am Ufer des Zugersees liegt das steile Grundstück «Chlimattli», eingeklemmt zwischen dem Bahntrassee auf Höhe der Haltestelle Walchwil Hörndli und der Hauptstrasse. 

Nach dem Gewinn des privaten Studienauftrags im Jahr 2013 musste das Projekt vorerst auf Eis gelegt werden, weil die SBB die Bahnlinie bei Walchwil auf einer Länge von 1.7 km zu einer Doppel­spur ausbaute. Die üblichen Einsprachen verzögerten das Teilprojekt der Gesamterneuerung der Strecke Zug–Arth-Goldau und damit auch den Baustart des Wohnprojekts. 

Wo heute die «Residenz Rigi­blick» steht, zeigt das Satellitenbild noch eine grüne Wiese. Die starke Hanglage wird erst vor Ort spürbar: Zwischen der Bahnlinie und der Zugerstrasse, die der Uferlinie folgt, liegen ganze 27 m Höhenunterschied. Eine Herausforderung für alle, die hier bauen wollen. Ein Klassiker an solch extremen Lagen: Das beliebte und kontrovers dis­kutierte Terrassenhaus. 

Doch die ARGE Atelier Burkhalter Sumi / Oxid Architektur dachte um und entschied sich für vier identische Punkthäuser in Schmetterlingsform. Durch die gestaffelte Anordnung konnte das Team die Aushubmenge auf ein vernünftiges Mass reduzieren. Der Hang wurde mit einer rückverankerten Spritzbetonwand gesichert.

Inzwischen sind Wildblumen über die Aufschüttung gewachsen und die Gebäude fügen sich harmonisch in den Hang ein. Zum See hin zeigen sich die Häuser transparent; mit viel Glas und eindrücklichen Ausblicken auf den Zugersee und die Rigi. Zum Hang hin ist der Rücken mit Beton verstärkt. Jenen, die nun denken, die Wohnungen seien im absoluten Luxussegment angesiedelt, sei ein Blick auf die Mietpreise1 empfohlen. Diese zeigen, dass die Bauherrschaft nicht eine maximale Rendite anstrebt, sondern zusammen mit einer cleveren Architektur einen Kompromiss zwischen wirtschaftlicher und sozialverträglicher Bebauungsstrategie gesucht hat.

Die einladende Zufahrt und die geknickten Baukörper nehmen die Geste der vorliegenden Bucht auf. Im Zickzack führt ein Weg zu den Häusern hinauf. Wie ein Kaninchenbau verbindet ein im Hang verstecktes Tunnelsystem alle vier Gebäude miteinander. Ausgangspunkt ist eine grosszügige Lounge, die nicht nur als Aufenthaltsraum, sondern auch als Verteiler dient. Dieser Raum greift das Thema der sozialen Utopie von Wohnbauten der 1960er- und 1970er-Jahre auf: Hier können sich die Bewohnerinnen und Bewohner treffen, gemeinsam kochen oder Fussball­spiele anschauen. 

Vor der Lounge schliesst eine Terrasse mit einer Feuerschale für gesellige Abende an. War das Projekt ursprünglich als Alterswohnsitz mit entsprechendem Augenmerk auf eine hindernisfreie Architektur und Raum für den so­zialen Austausch angedacht, leben heute vor allem Berufstätige in den Wohnungen. Und es zeigt sich: In einer Zeit, in der es immer mehr Single- und Zweipersonenhaushalte gibt, gewinnt das soziale Konzept wieder an Bedeutung. Neben verschiedenen Freizeitaktivitäten wird die Lounge tagsüber auch gerne als Workspace benutzt.

Ein goldfarben gestrichenes Volumen stülpt sich in den Raum und verweist auf das darüberliegende Schwimmbad. Die goldenen Stützen scheinen sich von der Lounge nach oben in das Bad durchzubohren, weinrot gestrichene Farbflächen und Spiegelwände zieren die Sichtbetonwände. Wer hier im Wasser seine Bahnen zieht, geniesst gleichzeitig den Ausblick auf die symmetrische Bergspitze der Rigi. 

Zurück in der Lounge zweigen zwei Gänge ab. Die ausgeklügelte Signaletik aus hochglänzender Kunststofffolie von Chalet5 nimmt das Relief des Sichtbetons auf und weist den Weg durch die verästelten Korridore. Die Symbole stehen für die vier Häuser und die beiden gemeinschaftlichen Räume: Im einen Gang führen einen schwarze Tropfen zum Schwimmbad und grüne Dreiecke zum Haus 54. Im anderen Gang signalisieren goldene Rhomboide die Lounge und weinrote Quadrate den Zugang zu Haus 52. 

Weiter gibt es orangefarbene Sechsecke, die zu Haus 50 und blaue Kreise, die zu Haus 48 führen. Die Farben finden sich auch in den Treppenhäusern, an den Eingangstüren sowie an den Aussenstützen wieder und sorgen für Identität und Orientierung. Wie die Arme eines Oktopus verbinden die langen, rhythmisierten Gänge die Häuser miteinander. An den Enden findet man über die farbigen Treppenhäuser wieder ans Tageslicht und in die Schmetterlingsbauten zurück.

Auch nach zahlreichen realisierten Bauten webt das Duo Burkhalter Sumi ebenfalls bei der Residenz «Rigiblick» mit einem Augenzwinkern bekannte Details ein: So beispiels­weise den «Schwalbenschwanz» auf dem betonierten Dach, der an die Handschrift von Le Corbusier erinnert. Und auch, dass die beiden am Ende der Be­gehung die Schaukel auf dem Spielplatz oben am Hang gleich selbst testen, zeigt, dass sie ihre Unbekümmertheit nicht verloren haben. 

Neubau Residenz Rigiblick, Walchwil
 

Bauherrschaft
Cortom, Walchwil, vertreten durch 
Bentom, Zug


Architektur
Arge Atelier Burkhalter Sumi 
und Oxid Architektur, Zürich


Bauleitung
Hürlimann + Beck Architekten, ­Walchwil


Bauingenieur
Wismer + Partner, Rotkreuz ZG


Gebäudetechnik
Tobias Hürlimann Sanitär, Heizung, Metallbau, Walchwil ZG


Bauphysik
Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich


Landschaftsarchitektur
Neuland, Zürich


Fertigstellung
2022


Auftragsart
Studienauftrag auf Einladung

Anmerkung
1 Nettomietzins für eine 2.5-Zimmer-Wohnung mit 55 m2 ab 1750 Fr./Mt. oder 3.5-Zimmer-Wohnung mit 102 m2 ab 3200 Fr./Mt.