Neue Be­der­brü­cke, Zü­rich

Die historische Bederbrücke beim Bahnhof Enge musste ersetzt werden. Zeitdruck, äusserst beengte Platzverhältnisse und eine komplexe Baustelle erforderten Präzision in der Planung und Kreativität in der Ausführung.

Publikationsdatum
01-03-2022

Die 1922 gebaute Überführung Bederstrasse über das SBB-Trassee der Gleise 1 und 2 beim Bahnhof Enge befindet sich im denkmalgeschützten Bahneinschnitt Zürich–Wollishofen. Wegen des schleichenden Zerfalls der Betonfestigkeit der Tragstruktur sollte die in Betonbauweise erstellte Brücke durch eine Stahl-Beton-Verbundkonstruktion ersetzt werden. Der Zustand der Brücke war jedoch so schlecht, dass schon 2020, also zwei Jahre vor dem geplanten Rückbau, Sofortmassnahmen verfügt werden mussten. Konkret bedeutete dies eine Lastbeschränkung auf 3.5 t Nutzlast auf der Brückenoberfläche mit Trambetrieb sowie eine punktuell wirkende Unterstützungskonstruktion.

Mehr Raum und neue Zugänge

Beim Ersatz der Bederbrücke wurde aus denkmalpflegerischen Gründen ein Tragwerkskonzept entwickelt, das sich an das jenes der bestehenden Brücke anlehnt. Um der geforderten Erhöhung der lichten Höhe im Gleisbereich – sie betrug im Bestand lediglich 5.20 m – Rechnung zu tragen, entschieden sich die Planerinnen und Planer aus statischen Gründen für eine Stahlverbundbauweise anstatt der bisher verwendeten Stahlbetonbauweise. So konnte eine sehr schlanke und statisch effiziente Fahrbahnplatte entwickelt werden, die die Mindestvorgabe der lichten Höhe von 5.5 m über dem SBB-Trassee ohne wesentliche Auswirkungen auf das darüber liegende Gleistrassee der Verkehrsbetriebe Zürich VBZ bewirkte.

Zu dem integralen Projekt gehörten neben dem Brückenersatz die nachfolgenden Projektbestandteile: Die VBZ-Kapphaltstelle in die stadtauswärts geführte Fahrrichtung auf der heutigen Brücke wird aufgehoben, um die Sicherheit des Langsamverkehrs dank einer Entflechtung der Verkehrsströme und einer neuen durchgängigen Velospur zu verbessern. Die neue Brücke wird daher um 6.5 m verbreitert. Weitere Ausbauten sind eine neue Treppe vom Perron 2 zum denkmalgeschützten Garten der Kantonsschule Freudenberg als direkter Zugang für die Schülerinnen und Schüler. Eine neue unterirdische Velostation mit 70 Plätzen soll im Widerlager Ost der verbreiterten Brücke untergebracht werden, zusammen mit der Erneuerung der Treppe zum Perron 1.

Die geschützten und an der bestehenden Brücke aufgehängten Perrondächer beim Bahnhof Enge werden mit einer selbsttragenden Struktur entkoppelt. Infolge der Begradigung der situativen Lage gegenüber der bestehenden Brücke musste wegen des behindertengerechten Ausbaus der öV-Haltestellen auf der Brücke der Strassenbau- und VBZ-Gleisbauperimeter bis zur angrenzenden Steinentischstrasse um ca. 200 m verlängert werden. Neben der Neugestaltung des Strassenraums wurde hier auch die gesamte VBZ-Gleisanlage im Perimeter ersetzt.

Im gesamten Projektperimeter wurde dem Umgang mit der geschützten Bausubstanz Rechnung getragen. So behielt man etwa die bestehenden südseitigen Widerlagerpostamente bei ebenso wie das Erscheinungsbild der verlängerten Widerlagerwand. Auch die Formgebung eines Tragwerkskonzept der neuen Brücke entstand in Anlehnung an den Bestand. Die konsequente Ausbildung der Knotenbereiche der neuen Brücke mit den im Stützenbereich voutierten Stahllängs-, Betonquerträgern und den vorfabrizierten Betonstützen erinnern stark an die bestehende Brücke.

Umfassendes Tragwerkskonzept

Das Tragsystem des dreifeldrigen, leicht schiefwinkligen Überführungsbauwerks besteht aus einem dreifeldrigen Plattenbalkenquerschnitt in Stahl-Beton-Verbundbauweise. Der Überbau mit den luftdicht verschweissten Stahlhohlträgern ist an den Stützen monolithisch und biegesteif angeschlossen. Die beiden Stützenreihen sind über einen parallel zur Gleisanlage der SBB ausgebildeten Fundationsriegel flach fundiert. Die gute Tragfähigkeit des Baugrunds sowie vermutetes artesisch gespanntes Grundwasser in grösserer Tiefe führten zu diesem Fundationskonzept.

Auf der bestehenden Widerlagerwand West erfolgt die Lagerung gelenkig auf Topflager. Beim Widerlager Ost wird eine monolithische und biegesteife Lagerung auf Bohrpfählen vorgesehen. Diese Bohrpfähle wurden bewusst hinter der bestehenden und erhaltungswürdigen Widerlagerwand angeordnet. So erreichte man neben einer eindeutigen Fixierung der Brücke zur Aufnahme der horizontalen Lasten auch eine Vergrösserung des Brückenrandfelds. Bei einer Lagerung der Brücke auf der bestehenden Wand hätten sich abhebende Lagerkräfte je nach Laststellung ergeben können. Gegenüber der Bohrpfahlfundation bildet der Träger Nr. 1 im verbreiterten Teil der neuen Brücke eine Ausnahme. Mittels drei Neoprengleitlagern wird er auf der Decke des Veloraums innerhalb des Widerlagers Ost aufgelegt. Die Decke des Veloraums wird für die Lastabtragung mithilfe eines Überzugs versteift.

Feste Fahrbahn als Herausforderung

Die Vorgabe der Lichtraumhöhe SBB und die daraus resultierende Konstruktionsstärke der Fahrbahnplatte sowie der vorgegebenen Gleislage durch die VBZ führen zu einer Ausbildung des Tramgleises mit einer 21 cm starken Festen Fahrbahn FFB. Die fugenlose Gesamtlänge der FFB beträgt ca. 62 m, rund 10 m hinter den Brückenwiderlagern ist sie durchgehend geführt. So konnte man bei den Widerlagern vollständig auf komplizierte Fahrbahnübergänge verzichten. Die Feste Fahrbahn ist gleitend auf dem Überbau aufgelegt. Die Einleitung der Brems- und Anfahrkräfte des Trams ins Bauwerk erfolgt je Gleis über zwei mit Elastomerplatten geschützten, in der Brückenplatte eingelassenen Betonschubnocken. Die Anordnung im Drittelpunkt des Hauptfelds begünstigt die Zwangsbeanspruchung der Festen Fahrbahn und bildet gleichwohl deren Bewegungsfixpunkt. Dank einer aufwendigen Berechnungsmethode konnte nachgewiesen werden, dass das beschriebene Konzept der FFB fugenlos über die Gesamtlänge ausgebildet werden konnte.

Für die Fertigstellung der Festen Fahrbahn inklusive der bahntechnischen Anlagen der VBZ standen nur knapp zwei Wochen zur Verfügung. Um die erforderliche Betonfestigkeiten innerhalb dieses Zeitfensters zu erreichen, kam ein faserverstärkter Spezialbeton mit Frühfestigkeitsentwicklung zum Einsatz. Kunststofffasern und nichtrostender Bewehrungsstahl gewährleisten langfristig die Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit des direkt chloridbelasteten Bauteils.

Stundenscharfe Bauabläufe, millimetergenaue Montage

Relevante Rahmenbedingungen während des Baus waren einerseits die Verbreiterung der Brücke und die damit verbundene Verkehrsentflechtung, die die Aufrechthaltung des motorisierten Individualverkehrs überhaupt ermöglichte. Wäre die stadtauswärts geführte Kapphaltestelle erhalten geblieben, wäre der Verkehr während mindestens sechs Wochen unterbrochen gewesen. Andererseits war die aus Sicht des VBZ-Betriebs zwingende Bedingung, den Unterbruch innerhalb der Sommerferien anzusetzen, eine echte Herausforderung für den Brückenersatz im Bereich der Gleisanlage.

Das Bauen unter Betrieb der SBB und der VBZ sowie die Verkehrsführung des MIV und der Schüler der angrenzenden Kantonsschule erforderte eine sorgfältige Bauphasen-, Verkehrsführungs- und Intervallplanung. Die detaillierte Ausarbeitung dieser Themen im Bauprojekt trugen in der Realisierung ihre Früchte. Stundenscharf geplante Bauabläufe sowie ein durchkoordiniertes Bauprogramm unter Einbezug der zahlreichen Beteiligten sind zwingend notwendig für den Erfolg dieser hochanspruchsvollen Bauphasen.

Aus dieser Planung resultierte ein Bauablauf in einer Vorarbeitenphase und drei Hauptbauphasen. Besonders erwähnenswert ist die Bauphase 2, in der innerhalb von sechs Wochen in den Sommerferien 2021 der Brückenbereich der VBZ-Gleisanlage rückgebaut, neu erstellt und mit einer neuen Gleisanlage (FFB) ersetzt wurde. Fünf SBB- und neun MIV-/VBZ-Sperrwochenenden sowie zahlreiche Nachtsperren waren notwendig, um die Brücke zu ersetzen.

Entscheidend für den erfolgreichen Brückenersatz waren neben der detaillierten Planung der Bauabläufe auch konzeptionelle Überlegungen im Tragwerk sowie den engen Einbezug der Bauherrenvertreter: So erlaubte der Einbau der sieben 37 m langen Stahlhohlkastenträger mittels eines Grosskrans zusammen mit einer speziellen Vorrichtung für eine aufgehängte Schalung der Fahrbahnplatte einen äusserst raschen Bauablauf. Besonders erwähnenswert sind die millimetergenaue Montage der Stahlträger unter Beihilfe der Bauherrenvermessung sowie die Logistik des Stahlbauers, die die Fertigung und den Antransport von 37 m langen Trägern möglich machte. So konnten zeitraubende Schweissungen auf der Baustelle vermieden werden.

Ein anderes wesentliches Element für den raschen Bauablauf war die Vorfabrikation der 14 Stützen mit den entsprechenden Anschlüssen an den Fundationsriegel und an die Fahrbahnplatte, wo die sorgfältige Ausbildung der Anschlussbewehrung im hoch beanspruchten Knotenbereich entscheidend war. Organisatorisch soll als wesentlicher Faktor die gute Zusammenarbeit mit den Bauherrenvertreter PL TAZ S. Wüst und GPL/OBL SBB P. Gebhart und U. Herzog erwähnt werden. Deren hohe Verfügbarkeit und Flexibilität sowie die kurzen und raschen Entscheidungswege führten ebenfalls zum Erfolg der Bauphase 2.

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
SBB Infrastruktur, Zürich (Federführung), Stadt Zürich – Tiefbauamt und VBZ

 

Projektverfasser / Bauleitung
INGE BL13 c/o Bänziger Partner AG, Zürich (Federführung) / Locher Ingenieure, Zürich

 

Sachverständiger
Flückiger & Bosshard, Zürich

 

Konzept Gestaltung
E. Imhof Architekturbüro, Luzern

 

Bauherrenvermessung
terra vermessung, Zürich

 

Experte Qualitätskontrolle Stahlbau / Korrosionsschutz
SCE GmbH

 

Baumeister
Specogna Bau, Kloten

 

Rückbau
E. Meier, Wettingen

 

Stahlbau
Schneider Stahlbau, Rapperswil

 

Strassenbau
Tibau, Zürich

 

VBZ Gleisanlage – Spezialkonstruktion Brückenbau
edilon)(sedra , Zürich