Neue Wege für die urbane Innenentwicklung
Erneuerung Wohnsiedlung Dennlerstrasse, Zürich-Altstetten
Die Wohnsiedlung Dennlerstrasse in Zürich-Altstetten verfügt über hohe Ausnützungsreserven – eine Chance für Nachverdichtung und Städtebau. Aus dem Projektwettbewerb gingen richtungsweisende Lösungen für eine Aufgabe mit hohem Allgemeingültigkeitscharakter hervor. Esch Sintzel und Ramser Schmid Architekten überzeugten mit dem Projekt «Polonaise».
Zweistufiger Projektwettbewerb auf Einladung
Das Letziquartier hat sich in den letzten Jahrzehnten von einem locker bebauten Industriequartier zu einem urbanen Mischquartier gewandelt. Die zwischen 1986 und 1992 erbaute Wohnsiedlung Dennlerstrasse hat in ihrer kurzen Geschichte schon viele Veränderungen miterlebt. Mit der Entwicklung des Koch-Areals, der Arealentwicklung «Flur Süd» und weiteren geplanten Bauvorhaben wird sich das unmittelbare Umfeld der Siedlung weiterhin stark verändern. Im Sinne eines langfristigen Engagements, wie es die Eigentümerin Pensionskasse der UBS bezeichnet, soll sich auch die bis heute beliebte Wohnbebauung Dennlerstrasse verändern. Das Projekt hat in erster Linie quantitative Anforderungen bezüglich der Bebauungsdichte zu erfüllen.
Sinnvoll, denn zusammen mit dem Bonus für Arealbebauungen verfügt die Parzelle über eine Ausnützungsreserve von über 100 %. Heute bilden acht gestaffelte Einzelbaukörper zwischen den flankierenden Achsen Dennler- und Flüelastrasse ein stimmiges Ensemble. Die sechsgeschossigen Längsbauten sind frei im üppig bepflanzten Grünraum angeordnet und bilden in der Mitte zwei grosszügige Hofräume – das Flair der Achtzigerjahre ist unverkennbar. Die Strassenräume sind mit der gewählten Setzung jedoch wenig gefasst und entsprechen weder der weiterentwickelten Umgebung noch dem heutigen städtebaulichen Verständnis.
Ertüchtigen, verdichten, anpassen, etappieren
Mit den sich aufdrängenden Instandhaltungsarbeiten überrascht die Aufgabenstellung nicht: Die Bausubstanz ist in der Regel gut, entspricht aber nicht mehr den gegenwärtigen energetischen Anforderungen. Die Wohnungen weisen zwar eine zeittypische Gebrauchszuweisung der Räume auf, erfüllen aber die heutigen Ansprüche an Wohnfläche und privaten Aussenraum. Eine sanfte Sanierung erscheint unter diesen Umständen ausreichend.
Mit zunehmendem Druck zur Innenentwicklung drängen sich jedoch bei grossflächigen und locker bebauten Siedlungen Verdichtungsmassnahmen auf. Durch bauliche Weiterentwicklungen kann gleichzeitig das auf ein klassisches Familienmodell ausgerichtete Wohnungsangebot der demografischen Entwicklung angepasst und die Bewohnerschaft durchmischt werden. Die Realisierung in zwei Etappen umgeht eine komplette Leerkündigung und ein Teil der heutigen Mieterschaft wird in der Siedlung bleiben können. Die notwendigen Rochaden bieten den Bewohnenden zudem die Möglichkeit, ihre Wohnsituation im vervielfältigten Angebot an ihre heutigen Bedürfnisse anzupassen. Laut Eigentümerin sollen die Mieten – und das ist zu hoffen – im mittleren Segment bleiben.
Das Problem der kompensatorischen Bauten
Auch wenn die beiden Strategien Bestandserhaltung und Ersatzneubau in der Gesamtbilanz der grauen CO2-Emissionen nahe beieinander liegen, gilt die rechnerisch leicht bessere Strategie des Erhalts als Königsweg. Städtebaulich führen solch bilanzorientierte Lösungsansätze jedoch oft zu skurrilen Situationen. Um Emissionen zu vermeiden, wird der Bestand möglichst behutsam und zurückhaltend saniert, muss aber zur Dichtekompensation mit massstabssprengenden Neubauten ergänzt werden. Wohlproportionierte und städtebaulich stimmige Strukturen werden damit zu heterogenen Bauzonen.
Im Fall der Wohnsiedlung Dennlerstrasse sind die Abstände zwischen den einzelnen Gebäuden zu gering, um dazwischen solitäre Ergänzungsbauten zu platzieren. Um die Geschossfläche zu verdoppeln, mussten Teile des Bestands rückgebaut werden. Dies bot den teilnehmenden Teams die Chance, die Bebauung neu zu denken. Entsprechend vielfältig waren die Wettbewerbsbeiträge. Während in der ersten Stufe des Verfahrens auch ein kompletter Ersatz vorgeschlagen wurde, pendelte sich der Anteil der Rückbauten in der zweiten Stufe bei rund 50 % ein.
Von den sechs verbleibenden Beiträgen konnten die Entwürfe der ARGE Esch Sintzel und Ramser Schmid Architekten sowie EM2N Architekten besonders überzeugen. Beide Teams nutzten die Möglichkeiten der hohen Eingriffstiefe und schafften es, die Bebauung in eine schlüssige, zeitgemässe und vor allem ganzheitliche neue Lesart zu transformieren. Die übrigen Beiträge konnten das Potenzial der Aufgabe nicht nutzen, Alt steht neben Neu. Hier treffen städtebauliche und architektonische Sprachen aufeinander, die trotz Vermittlungsbemühungen nicht in einen Dialog treten können.
Urbane Gartenhöfe statt freistehende Baukörper
Das Siegerprojekt der ARGE Esch Sintzel und Ramser Schmid Architekten wandelt die grüne Parzelle mit acht Einzelbaukörpern in zwei städtische Gartenhöfe um. Die Verdoppelung der Bewohnerzahl und die Urbanisierung des Letziquartiers erhöhen die Anforderungen an den Aussenraum. Die Typologie der Freiräume ist verständlich: Strasse – Platz – Hof. Die Strassenräume zur Flüela- und Dennlerstrasse werden gefasst, weit vorspringende Eckrisalite bilden entlang dieser Achsen adressbildende Vorplätze. Die Akzentuierung der Ecken unterstützt die Lesbarkeit des Areals, schafft aber auch einen wehrhaften Ausdruck in der gewählten Hoftypologie. Die gestaffelte Volumetrie der Einstülpungen in die Höfe schafft eine Verwandtschaft zu den bestehenden Baukörpern und lässt viele Wohnungen am Aussenraum teilhaben.
Im Gegensatz zu den porös geformten Hofräumen ist der Quartierplatz zwischen den beiden Baukörpern präzise gefasst. Die Urbanität des Platzes beschränkt sich jedoch auf seine Geometrie. Die neu angelegte, querende Strassenachse endet beidseitig an der Parzellengrenze. Die Überführung der Einzelbaukörper in zwei Grossformen schafft eine Effizienz, die trotz der hohen Dichte vergleichsweise schlanke Baukörper ermöglicht. Dadurch sind die Wohneinheiten gut belichtet und auch kleine Wohnungen haben eine mehrseitige Orientierung mit Weitblick. Das Siegerteam hat nicht ergänzt und ersetzt, sondern Neues geschaffen: Die Hälfte der bestehenden Bausubstanz wurde nicht rückgebaut, sondern vielmehr in die neue Bebauung integriert.
Aber auch EM2N Architekten ist es mit dem zweitplatzierten Projekt «Robbi» gelungen, die Bebauung städtebaulich neu zu übersetzen. Durch die Überformung der gestaffelten Randbebauung in eine rippenartige Typologie konnte die Dichte auch im Bestand deutlich erhöht und gleichzeitig ein neuer architektonischer Ausdruck für das gesamte Areal gefunden werden. Wie bei allen Wettbewerbsbeiträgen blieben die Bauten in Längsrichtung des Grundstücks erhalten, die Gebäude in Querrichtung wurden rückgebaut. Die hohe Dichte der Randbebauung ermöglichte es, auf mittige Querbauten zu verzichten und einen zentralen Innenhof für die ganze Überbauung zu schaffen.
Nach, aber nicht nur im Sinne der SIA 142
Das Verfahren wurde als anonymer, zweistufiger Projektwettbewerb nach SIA 142 ausgeschrieben. Zwei vorgängig erstellte Studien bildeten die Grundlage des sorgfältig vorbereiteten Verfahrens. Die Vorgaben zur Bestellung waren präzise, das Urheberrecht, der Umfang sowie die Parameter für die Weiterbearbeitung im Programm vordefiniert und die Entschädigung der Teams vergleichsweise gut. Der Einfluss der zweiten Stufe auf die Lösungsansätze zeigte jedoch, dass ein mehrstufiges Verfahren nicht dem Wesen einer solchen Aufgabe entspricht. Keiner der drei bestplatzierten Projektvorschläge wurde wesentlich verändert.
Im Gegenteil: Die Weiterentwicklungen beschränken sich allesamt auf Finessen, die in ein honoriertes Vorprojekt gehören. Bei der grossen Vielfalt der Lösungsansätze hatten die spezifischen Optimierungen keinen Einfluss auf die Rangierung. Mit einem entsprechenden Hinweis im Programm würde die SIA 142 dem Preisgericht in einem solchen Fall die Möglichkeit bieten, Bearbeitungsstufen auszulassen, wenn es sich erweist, dass das Wettbewerbsresultat erreicht wurde. Bei der Auswahl nach der fix entschädigten ersten Stufe hatte das Verfahren zudem einen gravierenden Mangel: Die teilnehmenden Teams hatten die Möglichkeit, nach der ersten Stufe aus dem Verfahren auszusteigen – oder sich für die zweite Stufe anzumelden.
Nach SIA 142 ist es die Pflicht der Jury, die Teilnehmerzahl mit jeder Stufe zu reduzieren und damit den Aufwand auf ein sinnvolles Minimum zu beschränken. In Anbetracht von acht Monaten Bearbeitungszeit wäre das beim Wettbewerb Wohnsiedlung Dennlerstrasse durchaus angebracht gewesen. Die notwendige Selektion bei einem mehrstufigen Verfahren kann und darf nicht auf den Schultern der teilnehmenden Teams lasten. Letztlich brachte das Verfahren aber qualitativ hochstehende Lösungsansätze hervor, die für kommende Verfahren wegweisend sein könnten.
-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.
Teilnehmende 2. Stufe
1. Rang, 1. Preis: «Polonaise»
ARGE Esch Sintzel, Zürich und Ramser Schmid Architekten, Zürich; Stauffer Rösch Landschaftsarchitekten, Basel
2. Rang, 2. Preis: «Robbi»
EM2N Architekten, Zürich; Balliana Schubert Landschaftsarchitekten, Zürich
3. Rang, 3. Preis: «Otto e Mezzo»
Adrian Streich Architekten, Zürich; Schmid Landschaftsarchitekten, Zürich
Ohne Rang: «Ameise»
Joos & Mathys Architekten, Zürich; August + Margrith Künzel Landschaftsarchitekten, Binningen
Ohne Rang: «Cacio e Pepe»
Duplex Architekten, Zürich; Westpol Landschaftsarchitekten, Basel
Ohne Rang: «Oliver»
Demuth Hagenmüller & Lamprecht Architekten, Zürich; Lorenz Eugster Landschaftsarchitekten, Zürich
Fachjury
Katrin Gügler, Direktorin Amt für Städtebau, Zürich; Rita Mettler, Landschaftsarchitektin; Vittorio Magnago Lampugnani, Architekt, emerierter Professor ETH Zürich; Thomas Pulver, Architekt; Christian Inderbitzin, Architekt
Sachjury
Thomas Jeney, Geschäftsführer, Pensionskasse der UBS; Patrick Bucher, Head Asset Management, Pensionskasse der UBS; Jürg Meier, Portfolio Management, Fund Manager, UBS Fund Management; Volker Trommsdorff, Construction & Development, UBS Fund Management; Tobias Frei, Asset Management, UBS Fund Management (Ersatz)