Neues Leben im Zwischenraum
Umsicht – Regards – Sguardi 2017
Wohnen in der Agglomeration und trotzdem vernetzt sein? Die Siedlung Zwicky Süd in Dübendorf macht es vor – und erhielt für ihren ganzheitlichen Ansatz die Auszeichnung Umsicht – Regards – Sguardi 2017. Ein Grund zum Feiern.
Man könnte von einem Unort sprechen: Keine 30 Minuten entfernt vom Zürcher Stadtzentrum in Dübendorf gelegen, befällt einen bei der Anfahrt mit dem öV ein mulmiges Gefühl: Man befindet sich mitten in einem Gewerbe- und Industriegebiet, eingeklemmt zwischen zwei stark befahrenen Strassen. Betritt man die Siedlung Zwicky Süd der Genossenschaft Kraftwerk1, ist von der verkehrsumtosten Lage nur noch wenig zu spüren. Mit kluger Verdichtung nach innen haben die Projektverfasser einen kleinen, abgeschirmten Kosmos geschaffen, den sich seine Bewohner bereits nach kurzer Zeit zu eigen gemacht haben.
Als wir ankommen, ist das Zwicky-Süd-Sommerfest schon in vollem Gang. Die vielen Stände spiegeln auch die soziale Zusammensetzung der Siedlung wider: Da ist zum Beispiel Ponnuthurai Mansola aus Sri Lanka, die selbst gemachte Samosas verteilt. Ausser ihr leben noch fünf Flüchtlingsfamilien in der Siedlung. Das Bier stammt selbstverständlich aus der hauseigenen Brauerei «Monsterbräu», die in einem der Gewerberäume im Erdgeschoss eingezogen ist. Diese bunte Vielfalt und die Unterstützung von Kleingewerbe liegen der Genossenschaft am Herzen. Im Rahmen des Fests wird auch der «Umsicht-Sesam» eingebaut. Den Schlüsseltresor erhielten alle Preisträger der Auszeichnung als Trophäe und bleibende Erinnerung.
Mutiges Wohnexperiment
Adrian Altenburger und Barbara Zibell, beide Jurymitglieder von Umsicht – Regards – Sguardi 2017, erklären, weshalb Zwicky Süd ausgezeichnet wurde: Es sei ein weitsichtiges und integratives Projekt, das seinen sozialen Innovationsanspruch mit einer hochstehenden Architektur unterstreiche. Ein mutiges Wohnexperiment, das erst im Zusammenwirken verschiedenster Disziplinen ermöglicht wurde. Das Publikum nimmt die Worte der Juroren mit Applaus auf. Die Identifikation mit dem Projekt ist deutlich spürbar. Julia Hofstetter von der Genossenschaft Kraftwerk1 lädt später zur Führung durch die Siedlung. Deren gesamte Architektur ist auf die Vernetzung und den Austausch unter den Bewohnern ausgerichtet.
Höhepunkt des Rundgangs ist der Auftritt der Opernsängerin und Bewohnerin Sela Bieri. In einer Wohnung deklamiert sie singend die Fakten der Siedlung: Nur 0.24 Parkplätze pro Wohneinheit, das demografische Gefüge bildet jenes der Stadt Zürich ab, Energieversorgung mit Solarzellen. In eine Arie verpackt entfaltete dieses Wissen eine ganz neue Dramatik.
Wöchentliches Plenum
Nach der Führung sitzt Hanna auf der Terrasse ihres sogenannten Grosshaushalts. Die Bepflanzung mit den massgefertigten Blumenkisten aus Holz macht einen professionellen Eindruck. «Das war Teamwork», erklärt die 28-Jährige, die Mitglied im Vorstand der Genossenschaft ist. Einmal in der Woche treffen sich alle elf Bewohnerinnen und Bewohner und besprechen, was es zu tun gibt: Müssen Abläufe geändert werden? Was muss neu angeschafft werden? Oder kann es gleich selbst hergestellt werden? Das Know-how dazu ist vorhanden: Ein Gärtner, eine Architektin und eine Diakonin leben in der Wohnung. Der jüngste Bewohner ist 23 Jahre alt, der älteste 50. Eine Mischung, die gut funktioniere. Auch dank der Raumaufteilung, die Gemeinschaft zulässt, aber auch Intimsphäre gewährt: Im grossen Wohnzimmer ist genug Platz für das gesellige Beisammensein; die Schlafzimmer dagegen befinden sich abgetrennt in einem eigenen Trakt und bieten so genügend Rückzugsmöglichkeiten. Die Psychologin und Studentin der Umweltnaturwissenschaften an der ETH ist fasziniert vom Gedanken der Genossenschaften. (Eine Wohnform, die in ihrer ursprünglichen Heimat Deutschland nie so populär wurde wie hierzulande.)
Die Siedlung Zwicky Süd sei bewusst in einem Zustand übergeben worden, der Freiräume für künftige Ergänzungen und Aneignungen lässt, erklärt Genossenschafts-Geschäftsführer Andreas Engweiler den schlichten Ausbaustandard. Davon zeugt zum Beispiel die karge Fassade mit den Gittervorrichtungen. Mit den Jahren soll sie von Pflanzen überwuchert sein, die die Bewohner selbst hegen. Hanna greift den Gedanken auf: «Es braucht Leute, die sich engagieren, die den Siedlungsraum weitergestalten wollen. Genauso wichtig sind aber auch Bewohner, die einfach nur hier leben. Die Balance muss stimmen.»
Umsicht – Regards – Sguardi 2017 geht auf Wanderschaft – mit einer Ausstellung und Begehungen der prämierten Werke.
Nächste Stationen:
Wanderausstellung: 11.– 29. 9. 2017 an der USI in Mendrisio,
Begehung: 3. 10. 2017 Bahnhof Oerlikon.
Alle Veranstaltungen im Rahmen von Umsicht – Regards – Sguardi 2017 finden Sie online unter www.sia.ch/umsicht
Die prämierten Projekte von Umsicht – Regards – Sguardi 2017 finden Sie hier.