New York, We Have a Problem
Als Milliardär kann man sich heute von Elon Musk ins All fliegen lassen oder sich ein Luxus-Apartment im 425 Meter hohen Wolkenkratzer von Rafael Viñoly an der 432 Park Avenue leisten. Dieses vermeintliche Wohnparadies für Superreiche entpuppte sich jedoch schon bald als Albtraum für die Bewohnenden. Was ist passiert?
Inzwischen haben diese den Bauträger gar auf 125 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt. Der Grund? Seit der Einweihung des Hochhauses im Jahr 2015 erleben die Nutzer hoch über der Stadt eine unliebsame Überraschungen nach der anderen. In der Klage ist von mehr als 1500 Mängeln die Rede: Der Abfallzerkleinerer in der Spüle verursacht ohrenbetäubenden Lärm («wie eine Bombe»), Aufzüge bleiben stecken und verwandeln sich («an Halloween») zu albtraumhaften Fallen, starke Vibrationen und Schwankungen bringen die Bewohner um den Schlaf, verursachen Überschwemmungen und Kurzschlüsse.
Dies sei auf bauliche und technische Fehler zurückzuführen, so sei etwa das Schwingungsverhalten des hohen und schlanken Gebäudes unter Windbeanspruchung falsch berechnet worden. Einige Bewohner hätten ihre Wohnungen während Monaten nicht benutzen können, was nicht nur zu Unannehmlichkeiten, sondern auch zu psychischen Schäden geführt habe.
Diese Schilderungen mögen im ersten Moment belustigend wirken, sie zeugen aber auch von der hohen Symbolkraft dieses Wolkenkratzers. Obschon er mittlerweile bereits nicht mehr das höchste Wohngebäude New Yorks ist, gilt er nach wie vor als Ikone einer neuen Generation sehr hoher und schlanker Hochhaustürme («Pencil Towers» oder «Superskinny»), die die Skyline von Manhattan neu prägen.
Das Haus 432 Park Avenue zeichnet sich durch geometrische Reinheit aus, die auf dem Prinzip des Quadrats basiert. Die Geometrie erinnert an ein Werk von Sol LeWitt (tatsächlich liess sich der Architekt jedoch von einem von Josef Hoffmann entworfenen Korb inspirieren) und verleiht dem Turm eine geradezu überhebliche Distanziertheit gegenüber der Umgebung. Daher löste die Nachricht von den «sich auftürmenden» Problemen der Bewohner auch kollektive Schadenfreude aus und liess die Kritik am Projekt wieder aufflammen. Die 16-jährige Louisa Whitmore aus Vancouver hat auf TikTok sogar eigens eine Hate-Page für den Wolkenkratzer geschaffen: @432parkavehatepage.
Endloser Mittelfinger
Schon am ersten Tag nach der Fertigstellung verglichen einige Kritiker das Hochhaus mit einem ausgestreckten Mittelfinger, der über die Stadt ragt. Doch das ist nicht der einzige Vergleich, der sich aufdrängt. Der Turm, dessen reine und abstrakte Form die zynischen Mechanismen offenlegt, die Manhattans Gestalt prägen, erinnert auch an das Monumento Continuo, das «endlose Monument», das die Gruppe Superstudio Ende der 1960er-Jahre in einer Reihe von Collagen darstellte.
Die so aussergewöhnliche wie verstörende Vision der toskanischen Architektengruppe basiert ebenfalls auf der unendlichen Wiederholung eines quadratischen Elements. Sie verbildlicht den paradoxen Extremismus, der von der Rationalität der Moderne ausgeht. Sie sublimiert den westlichen Positivismus zur konkreten Vorstellung und verfolgt die ideale Form des Industriekapitalismus, bis sich jegliche Funktion in einem unendlichen, nutzlosen Band auflöst: Die perfekte Maschine verkommt zu einer gewaltigen, kalten Ruine, die Utopie kehrt sich in eine Dystopie.
Mit dieser Umkehrung sprach Superstudio auch eine anthropologische Dimension an: Das Auseinanderdriften von Ideologie und Materialität stellt den Menschen selbst infrage und versetzt ihn in eine zugleich vor- und postmoderne Dimension (Rousseaus «edler Wilde» mit NASA-Technologie). Das ist eine ironische und verzweifelte Einladung zur kathartischen Erneuerung aus den perfekt geformten Trümmern der westlichen Gesellschaft.
Doch ein genauerer Blick auf das Viñoly-Hochhaus holt uns brüsk auf den Boden der Tatsachen zurück. Unter der perfekten Schale offenbaren sich – abgesehen von der atemberaubenden Aussicht – keine aussergewöhnlichen oder revolutionären planerischen Ideen, sondern eine banale Vorstellung von Luxus und eine rein vertikale Abfolge von übergrossen Wohnungen, die den grössten Teil des Jahres leer stehen und irgendwann zu Höchstpreisen weiterverkauft werden. Kein «endloses Monument», sondern ein «endloses Investieren», das die Gestalt unserer Städte weit stärker beeinflusst als die Architektur.