Ein Quartier mit vielen Beteiligten
Soll ein umfangreiches Investitionsprojekt ein Stadtquartier sein und nicht bloss ein Renditeobjekt, dann müssen viele Parteien an einem Strang ziehen. Mit der «Papieri» in Cham wird derzeit ein Beispiel realisiert.
Er engagiere sich gern für «Dinge, die sofort passieren», sagt Gerold Werder von sich. Das ist eine kleine Spitze gegen die Lokalpolitik und gegen langwierige Planungen. Werder ist Präsident des Vereins «Langhuus». Dieser hat von der Gemeinde Cham den Zuschlag bekommen, eine Hälfte des einstigen Verladehauses der Papierfabrik in Cham zu bespielen.
Qualifiziert hat sich der Verein dafür über Jahre hinweg: 2015, die Papierproduktion war abgeschaltet und das Industrieareal lag brach, eröffnete Werder gemeinsam mit anderen Engagierten auf einem ungenutzten Parkplatz eine kostenlose Velowerkstatt in einem Container. 2017 dann zog man ins benachbarte Langhaus, baute eine Bar und eine Bühne und schuf damit Raum für Kunst und Kultur im kleinen Massstab.
Dann gab es eine zweijährige Pause, 2021 und 2022, in der die Gemeinde das denkmalgeschützte Gebäude aufwendig restaurierte. Derweil feilten die Vereinsmitglieder am Konzept für eine langfristige Nutzung, bewarben sich als Nutzer, detaillierten die Pläne gemeinsam mit einer Architektin – und nun legen alle selbst mit Hand an beim Innenausbau.
Wertvolles Engagement
Für die Cham Group, die Investorin, die das einstige Papierfabrikareal zu einem neuen Quartier mit Wohnungen für 2500 Menschen und 1000 Arbeitsplätzen umbaut, sind Leute wie Werder unbezahlbar. Auch wenn er sich als engagierter Pragmatiker zeigt – Menschen wie er sind Teil einer langfristigen Planung und komplexer Verfahren. Man kann sie nicht einplanen, aber sie erwecken ein Quartier, das sonst nur Baumasse bliebe, zum Leben. Das zahlt sich langfristig aus.
Dass der Verein sein Engagement vor Ort umsetzen kann und der Investor sein Bauprojekt, hängt direkt miteinander zusammen. Um das einstige Industrieareal nördlich des Zentrums für Wohnen und Arbeiten nutzen zu können, bedurfte es einer Umzonung. Dadurch stieg der Wert des 12 ha grossen Geländes enorm, und der Eigentümer war zu einer Mehrwertabgabe verpflichtet. Hier umfasste diese etwa 20 % des Grundstücks, die an die öffentliche Hand übergeben wurden. Darunter das Langhaus und das Gleisbett, einst der quer durch das Städtchen führende Anschluss der Fabrik an die Bahn.
Aus Letzterem ist nun ein Fussgänger- und Fahrradweg geworden, der eine der Erschliessungen des Areals unabhängig vom Autoverkehr bietet und tangential aufs Langhaus zuläuft. Man kann darin einen Weg in eine vielversprechende Zukunft sehen und ein Zeichen der engen und fruchtbaren Kooperation von Gemeinde, Bevölkerung und Investor.
Grosser Massstab, umsichtiges Vorgehen
Dabei ist die Grössenordnung des Geplanten, auch wenn es unter dem charmant-dialektalen Namen «Papieri» daherkommt, enorm für eine Gemeinde mit gerade einmal 17 000 Einwohnern. Drei bis zu 14 Stockwerke hohe Hochhäuser entstehen hier, ein gewaltiger, 166 m langer und bis zu acht Stockwerke hoher Riegel mit Wohnungen, und zahlreiche weitere Neubauten für Gewerbe und Wohnungen. Und das sind nur die ersten beiden, bis 2024 realisierten Bauabschnitte; danach folgt noch weitaus mehr.
Um eine solche Baumasse realisieren zu können und zum Erfolg werden zu lassen, bedurfte es eines umsichtigen Vorgehens, eines 2014 verabschiedeten Masterplans und 2016 einer Volksabstimmung über den Bebauungsplan; für die einzelnen Bauten gab es ein Planerwahlverfahren. Die firmierenden Architekten bürgen für Qualität: Galli Rudolf, Huggenbergerfries, Boltshauser, Pool, Büro Konstrukt. Aber hier werden nicht allein zahllose Kubikmeter Neubauten realisiert. Viel vom Altbestand bleibt bestehen und wird saniert: nicht nur das überschaubare Langhaus, sondern auch der Kalanderbau von 1912 – ein gewaltiger Produktionshallentrakt entlang des das Grundstück flankierenden Flüsschens Lorze – und inmitten des Areals das ehemalige Kesselhaus.
Starker Gestaltungswille
Natürlich ist das nicht bloss Gutmenschentum zuzuschreiben. So dicht und reizvoll am Wasser wie die alten Fabrikhallen dürften Neubauten gar nicht mehr realisiert werden. Zudem tragen sie zur Identität des neuen Stadtviertels bei: «Es ist noch die Papieri Cham!» Dass es nicht der Investor ist, der das feststellt, sondern eine Denkmalpflegerin des Kantons Zug, Franziska Kaiser, spricht für das umsichtige Vorgehen des Investors und dessen Vermögen, zahlreiche Interessen zu bündeln. In dem grossmassstäblichen Umbau sieht die Denkmalpflegerin «eine Superchance» der Mitwirkung und des Erhalts.
Ihr Kollege Oliver Tschirky, Gebietsdenkmalpfleger und heute als Berater in den Bauprozess involviert, stellt die hohe Qualität der Bestandsbauten heraus: «Bis in die 1950er-Jahre gab es hier einen sehr hohen Gestaltungswillen.» Tatsächlich bilden die Fabrikhallen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem seriellen Stakkato der Strebepfeiler und so funktionalen wie eleganten Details wie Konsolsteinen und Simsen aus Naturstein, die sich effektvoll von den weissen, subtil gerahmten Backsteinflächen abheben, eine hohe Messlatte für die unmittelbar benachbarten Neubauten.
Begeisterung für den Charakter
Auch Lukas Fehr, Leiter Entwicklung bei der Cham Group, gibt zu, dass er sich erst mal an die Mitwirkung der Denkmalpflege habe gewöhnen müssen – zahlreiche Bauten auf dem Areal sind entweder im Bestand oder aber in der Kubatur geschützt. Doch mittlerweile ist er froh: «Da haben wir eine DNA, an der wir weiterstricken.» Und die Begeisterung für den Charakter der Zeitzeugen industrieller Arbeit merkt man ihm wie auch dem Programm für die Umnutzungen an. Hier würde er am liebsten sofort seinen Schreibtisch aufstellen, so Fehr schmunzelnd im obersten Stockwerk des Durolux-Gebäudes aus den 1950er-Jahren, und bei der Besichtigung des Kesselhauses glänzen seine Augen. Nicht erstaunlich, dass zwischen die imposanten offenen Galerien des Betonbaus aus den 1940ern eine Brauerei und ein Co-working-Hub einziehen sollen: So wird der Geschmack industrieller und handwerklicher Arbeit einen direkten Weg in die Jetztzeit finden.
Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Erfolgsfaktor Baukultur | La culture du bâti – un facteur de réussite | Cultura della costruzione: un fattore di successo».