Part­ner­schaft­li­che Pro­jekt­ab­wick­lung mit Al­li­anz­ver­trä­gen

Der SIA arbeitet an einem neuen Merkblatt für Allianzverträge. Solche Verträge sehen eine neuartige Setzung der wirtschaftlichen Anreize und eine partnerschaftliche Kultur vor. Dadurch werden die Parteien dazu angehalten, das Beste für das Projekt anzustreben und bei Auftreten von Problemen konstruktiv mit den übrigen Partnern Lösungen zu suchen.

Publikationsdatum
03-01-2024
Heinz Ehrbar
dipl. Bauing. ETH/SIA, Präsident Kommission SIA 118 und Leiter der Arbeitsgruppe SIA 2065

Mit einem Anteil von rund 10 Prozent am Bruttoinlandprodukt ist das Bauwesen ein wichtiger Zweig der Schweizer Volkswirtschaft. Um dieses Volumen zu erreichen, sind in Tausenden von Projekten hochstehende Planungs- und Ausführungsleistungen zu erbringen. In der Regel geschieht dies über Aufträge und Werkverträge, die sich auf die entsprechenden Vorschriften des Obligationenrechts und das einschlägige Normenwerk, insbesondere auch des SIA, abstützen. Die Bauherrschaft schreibt die zu erbringenden Leistungen in den Projekten in der Regel detailliert aus. Das Unternehmen bietet auf der ­Basis der Leistungsbeschriebe der Bauherrschaft und unter Berücksichtigung seiner eigenen Leis­tungs­fähigkeit die entsprechenden Preise an. Dieses Vorgehen setzt ein hin­reichend klares Projekt voraus (Art. 5 Abs. 1 Norm SIA 118). Gleichwohl führt es in vielen Fällen zu guten Ergebnissen.

Umgang mit Unvorhergesehenem

Projekte mit einer langen Laufzeit und / oder einem hohem Grad an Komplexität haben eine Vielzahl von Schnittstellen und Risiken. ­Daraus entsteht ein nicht zu vernachlässigendes Potenzial für Änderungen. Es ist hier praktisch ausgeschlossen, dass alle Tatsachen und Eventua­litäten bereits zum Zeitpunkt der Ausschreibung hinreichend genau beschrieben werden können. Die Ursachen liegen oft in der Veränderung von Randbedingungen oder in neuen Erkenntnissen oder Vorgaben. Die Norm SIA 118 und etwa der Art. 373 Abs. 2 OR sehen generelle Regeln zum Umgang mit Unvorhergesehenem vor. Ein detaillierter Mechanismus zur Quantifizierung der zeitlichen und finanziellen Folgen von veränderten Randbedingungen findet sich allerdings nur im Untertagbau (Norm SIA 118/198).

Wer trägt die Risiken?

Tritt in einem Bauprojekt ein Änderungsbedarf auf, birgt dies oft Potenzial für Diskussionen über die Verantwortung und die Quantifizierung der vertraglichen Folgen. Eine wichtige Ursache für solche Diskussionen ist im Grundkonstrukt der traditionellen Vertragsverhältnisse des Bauwesens zu suchen. Sowohl der Auftrag als auch der Werkvertrag (wie auch der Allianzvertrag) sind als reiner Leistungsaustausch konzipiert, bei dem jede Partei ihre eigenen Interessen verfolgt und je einen Teil der Risiken allein trägt. Im Fall von Problemen kann diese Art der Verteilung der Verantwortung zu Blockaden und Kämpfen führen – und manchmal auch zur Absicht, aus einem Problem Profit zu schlagen. Traditionelle Verträge enthalten dementsprechend meistens keine gemeinsamen Ziele.

Aber selbst wenn solche Ziele oder Partnerschafts- und Kooperationspflichten in traditionellen Verträgen vereinbart werden, bleiben ­diese Klauseln wegen der Anreizsetzung dieser Verträge häufig ohne den erwünschten Effekt. Dazu trägt vor allem die individuelle Allokation der Risiken bei. Diese hat zur Folge, dass sich jede Partei vor und nach Vertragsschluss primär auf die eigenen Risiken konzentriert und die Folgen des Eintritts solcher Risiken abzuschieben versucht. Viele Optimie­rungen, eine übergreifende Vorsorge und eine konstruktive, rasche Problemlösung werden so verhindert.

Traditionelle Vertragsmodelle

Die Auswirkungen dieser Strukturen zeigen sich insbesondere in den folgenden Punkten:

  • Ausbleiben einer fachlich möglichst umfassenden Gesamtbetrachtung des Projekts und des Bauwerks Mangelhafte (gesamtheitliche) Analyse der Risiken
  • Unzureichende Kommunikation zwischen den Projektpartnern
  • Brachliegen von möglichen Synergien
  • Abwehren, Abschieben und Abstreiten statt Suchen nach Lösungen im Fall von Problemen

Es gibt Massnahmen, mit denen versucht werden kann, die Spannungspotenziale traditioneller Verträge zu reduzieren. Dazu gehören beispielsweise genauere Leistungsbeschriebe, eine einlässliche Regelung des Änderungswesens (Voraussetzungen, Prozesse und Folgen), eine faire Risikoverteilung und ein gemeinsames Risikomanagement, gemeinsame digitale Projekträume, das Festlegen klarer Entscheidungswege oder das Vereinbaren von aussergerichtlichen Konfliktlösungsmechanismen. Viele Projekte haben gezeigt, dass mit solchen Ansätzen erfolgreich gebaut werden kann.

Partnerschaftsmodelle

Ein anderer Ansatz zur Behebung der erwähnten Spannungspotenziale besteht darin, diese gar nicht erst entstehen zu lassen, indem ein Vertragsmodell gewählt wird, das die Interessen aller Parteien berücksichtigt: Die Bauherrschaft und ihre Vertragspartner gewinnen entweder gemeinsam oder verlieren gemeinsam, was dafür sorgt, dass die Eigeninteressen der Parteien mit den Projektinteressen gleichgerichtet werden.

Vor allem im angelsächsischen Raum wurden in den letzten dreissig Jahren verschiedene derar­tige Lösungsansätze entwickelt und praktiziert. Die folgenden fünf Punkte sind für sie charakteristisch:

  • Gemeinsame Tragung sowie Analyse und Steuerung der Risiken (Chancen und Gefahren) unter weitgehendem Ausschluss der gegenseitigen Haftung (dieses Prinzip findet bei absichtlich oder grobfahrlässig pflichtwidrigem Verhalten einer Vertragspartei keine Anwendung)
  • Ersatz der angesichts der Haftungsbeschränkung nutzlos werdenden Schuldzuweisungskultur durch eine lösungsorientierte und wertebasierte Zusammenarbeitskultur («no blame»-Kultur, gemeinsamer Wertekodex)
  • Gemeinsame Bestimmung von Leistungen und Kosten im Dialog
  • Gemeinsame Steuerung des Projekts und gemeinsame Entscheidungen durch ein integriertes Team nach dem Prinzip «best for project»
  • Anreizbasierte und erfolgsab­hängige Vergütung («win-win» oder «lose-lose»)

In Ländern, in denen solche Modelle eingeführt worden sind, haben sie in vielen Fällen massgebend dazu beigetragen, dass die Projektanforderungen besser erfüllt wurden. Das betrifft vielfältige Anforderungen, nicht nur Kosten und Termine. Eine Verbesserung des Ergebnisses verlangt jedoch ein Umdenken und einen besonderen Einsatz von allen Beteiligten.

Partnerschaftsmodelle bedingen in den frühen Phasen einen wesentlich höheren Aufwand als bei der traditionellen Projekt­abwicklung, bis die Realisierungspartner über ein Dialogverfahren gefunden worden sind. Dies gilt insbesondere für den öffentlichen Sektor, in dem das Dialogverfahren mit drei Anbietern bis zu einem angemessenen Reifegrad des Projekts zu führen ist. Deshalb eignen sich solche Partnerschaftsmodelle, zumindest im öffentlichen Sektor, vorläufig wohl nur für genügend grosse und /oder komplexe Projekte. Zudem müssen die Beteiligten bestimmte herkömmliche Handlungsmuster zur Seite legen und die in einem Partnerschaftsvertrag grundlegende Ko­operation leben.

Neues Merkblatt in Arbeit

Der SIA erarbeitet derzeit das Merkblatt SIA 2065 zum Umgang mit Allianzverträgen. Der Begriff Al­lianzvertrag steht dabei für einen werkvertragsähnlichen Mehrparteienvertrag, der die geschilderten charakteristischen Eigenschaften hat. Dieses Merkblatt soll zusammen mit einem Mustervertrag im Verlauf des Jahres 2024 publiziert werden.

Die grösste Neuerung wird im Prinzip der gemeinsamen Risikotragung liegen. Es ist zu hoffen, dass sich sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor zukünftig Bauherrschaften finden, die gewillt sind, Projekte auf der Basis eines Allianzvertrags umzusetzen, um über entsprechende Tatbeweise die Vorteile dieses Modells und damit des Interessensgleichrichtungsvertrags auch für die Schweizer Bauwirtschaft nachzuweisen.

Save the Date
Am 26. September 2023 organisiert der SIA eine Tagung zum Thema Allianzverträge in Bern.

Weitere Infos finden Sie hier.

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