«Photovoltaik-Fassaden sollten sich vom Exoten zum Mainstream entwickeln»
Die Bevölkerung stimmt am 9. Juni über das «Stromgesetz» ab. Barbara Sintzel, Präsidentin der SIA-Kommission für Nachhaltigkeit und Umwelt, beleuchtet die Bedeutung der Vorlage für die Bau- und Planungsbranche. Für sie stellt die Abstimmung die Weichen für eine innovative Zukunft.
SIA: Warum brauchen wir das Stromgesetz?
Barbara Sintzel: Ein wichtiger Aspekt ist die Energieversorgung. Wenn wir uns von Öl und Gas abwenden wollen und vermehrt auf erneuerbare Energien setzen, steigt unser Strombedarf erheblich – auch durch die Umstellung auf mehr Elektromobilität. Wir müssen also dafür sorgen, dass wir genügend Strom zur Verfügung haben und die erneuerbaren Energien ausbauen.
Wie wird der Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Schutz der Landschaft und der Biodiversität in Einklang gebracht?
Wir müssen sicherstellen, dass der Landschaftsschutz auch in Zukunft gewahrt bleibt, besonders in sensiblen Naturgebieten. Ich sehe grosses Potenzial der erneuerbaren Energien in Regionen, die bereits stark infrastrukturell erschlossen sind, beispielsweise entlang der Nationalstrassen, in Gewerbegebieten oder in den Vorstädten. Ich hoffe, dass wir dieses Potenzial stärker nutzen können, um mehr Strom zu erzeugen und gleichzeitig die alpine Landschaft zu schützen.
Welche Innovationen sind wichtig, um das neue Stromgesetz umzusetzen?
Innovation sollte darauf abzielen, Photovoltaik als selbstverständlichen Bestandteil in die Bauplanung zu integrieren. Zudem brauchen wir effektive Lösungen für den Vorbereich der ISOS-geschützten Gebäude, wie wir es zum Beispiel bei Solar-Ziegeln sehen, wo bereits vielversprechende Lösungen existieren. Speichertechnologien sind auch ein zentrales Thema. Ob jedes Gebäude eigene Speicher benötigt oder die Elektrizitätswerke uns Lösungen auf Quartierebene anbieten, ist noch zu klären. Es hat sich aber gezeigt, dass besonders in den Wintermonaten die Strommangellage entschärft werden kann, wenn man den Abendstrom vom eigenen Speicher nutzt.
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Wollen wir das Netto-Null- Ziel erreichen, dann besteht Handlungsbedarf bei der Integration von Photovoltaik in den Gebäuden und insbesondere in den Fassaden. Erfahrungen mit der Planung von PV-Fassaden, bewährten Praktiken oder zum Lebenszyklus solcher Systeme sind zentral. Wie können wir ausserdem sicherstellen, dass genügend Solarpanels als Reserve verfügbar sind, falls einige im Laufe der Zeit ausfallen? Es ist also auch wichtig, bei der Planung nicht nur den Einbau, sondern auch den gesamten Lebenszyklus zu berücksichtigen.
Wie wird sich das neue Stromgesetz auf das praktische Schaffen der Planerinnen und Planer auswirken?
Photovoltaik-Fassaden sollten sich vom Exoten zum Mainstream entwickeln. Bevor man sich beispielsweise für eine Metallfassade entscheidet, sollte man immer überlegen, ob eine PV-Fassade möglich ist. Zudem könnten die Fassaden von den oberen zu den unteren Stockwerken variieren. Es braucht daher eine neue Typologie von Gebäuden, die den Einsatz von PV-Fassaden ermöglicht. Ich sehe bei diesem Thema zudem ein grosses Innovationspotenzial der Schweizer PV-Branche in der Zusammenarbeit mit Hochschulen und Fachhochschulen.
Kritiker meinen, dass die Technologien für den Ausbau der Photovoltaik noch nicht reif seien. Wie sehen Sie das?
Solche Aussagen sind problematisch. Ich verstehe zwar das Unbehagen gegenüber technischen Elementen an den Hauswänden; doch entscheidend ist, wie wir die Akzeptanz von PV-Fassaden erhöhen und unsere Mitglieder für diese Themen sensibilisieren. Es wäre daher sinnvoll, unser Engagement in der Weiterbildung zu verstärken.
Wie sehen Sie die langfristige Entwicklung der Planungs- und Baubranche in der Schweiz im Kontext der Energieziele des Bundes bis 2050?
Die Baubranche befindet sich in einer grossen Transformation. Die Nachfrage nach nachhaltigen Planungs- und Bauleistungen ist gestiegen – eine Entwicklung, die dringend nötig ist. Angesichts der ungebremsten globalen Erwärmung zählt jede Massnahme. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass die Planung nur einen Teil der Bauwirtschaft ausmacht. Wir sind auch auf die Baustoffhersteller angewiesen, wo es ebenfalls Wandel hin zu neuen Produktionsmethoden braucht, um damit die grauen Treibhausgasemissionen zu senken und die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Nur so können wir unsere Ressourcen effizient nutzen, über genügend Energie verfügen, das Bauen langfristig ermöglichen – und hoffentlich die negativen Auswirkungen des Klimawandels bewältigen.
Darüber stimmen wir am 9. Juni ab: Das Stromgesetz
Das Stromgesetz («Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien») soll die Grundlage schaffen für die Stärkung der Versorgungssicherheit und den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien im Einklang mit Landschaft und Umwelt. Es definiert ambitionierte Ausbauziele für die erneuerbaren Energien und schafft bessere Rahmenbedingungen für den Zubau neuer Produktionsanlagen und die Erhöhung der schweizerischen Winterstromproduktion. Konkret soll die Schweiz bis 35 Terawattstunden Strom aus Sonne, Wind, Biomasse oder Geothermie produzieren. Gegen das Massnahmenbündel hat eine Gruppe von Gegnerinnen und Gegnern das Referendum ergriffen.