Scha­len aus Holz: Aus we­nig viel ma­chen

Schalenbauten gelten als Tragwerke mit effizientem Lastabtrag und geringem Materialbedarf. Ihre Konstruktion aus Mauerwerk oder Stahlbeton gründet auf einer langen Tradition. Doch lassen sich die gleichen Tragwerksprinzipien auch mit anderen Materialien umsetzen, etwa mit Holz?

Publikationsdatum
06-08-2024

Schalentragwerke und die damit typologisch verwandten Bögen, Kuppeln und Gewölbe entstammen alten und weit verbreiteten Tragwerksprinzipien. Im Lauf der letzten Jahrhunderte wurde die Idee, einen grossen Bereich mit gewölbten Flächen oder bogenartigen Elementen zu überspannen, immer wieder angewandt. Jede Epoche schuf sich ihren eigenen Zugang zu diesem Tragwerksprinzip und suchte nach einer angemessenen gestalterischen Ausformulierung.1

Aber der grundlegende Ansatz blieb stets derselbe, nämlich, dass die Lasten vom Scheitel bis zu den Fundamenten mit Druckkräften abgetragen werden. Es ist weithin bekannt, dass druckbeanspruchte Verbindungen, beispielsweise zwischen den Steinen eines Gewölbes, einfacher zu realisieren sind als biege- oder zugbeanspruchte Verbindungen. Gleichzeitig zeichnen sich rein druckbeanspruchte Tragwerke oft durch einen sehr gleichmässigen und damit effizienten Lastabtrag aus. 

Diese Erkenntnis zeigt sich besonders deutlich bei Schalentragwerken, deren Konzeption in der Regel darauf beruht, eine möglichst widerstandsfähige Geometrie zu schaffen, was letztlich zu einem geringen Materialeinsatz führt. Es geht also darum, so salopp es klingen mag, «aus wenig viel zu machen». Wie die Geschichte der Architektur und des Ingenieurwesens verdeutlicht, war diese Prämisse der Sparsamkeit ein wichtiger Treiber für die Entstehung zahlreicher Schalenbauten aus unterschiedlichen Werkstoffen. 

Darüber hinaus veranschaulichen Schalen wie kaum eine andere Typologie, dass effiziente Tragwerke nicht nur technische Artefakte darstellen, sondern auch als elementares Mittel zur Schaffung einzigartiger Räume dienen.

Parallele Entwicklungen

Mit der Entwicklung des Stahlbetons kam es in der Zwischenkriegszeit zum Bau der ersten modernen Schalentragwerke, insbesondere in Deutschland, Frankreich und Spanien.2 Zur gleichen Zeit entstanden in der Sowjetunion erste Zylinderschalen aus Holz. Die von staatlichen Forschungsinstituten entwickelten Holzschalen wurden für Fabrikbauten eingesetzt, vor allem, um unabhängiger von Zement und Stahl zu sein. Gebaut wurden diese Schalen als vollwandige, genagelte Holzkonstruktionen.3

Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich das Bauen mit Stahlbetonschalen für Hallenbauten mit grösseren Spannweiten.4 Die Wirtschaftlichkeit dieser Systeme ergibt sich nicht nur aus dem sparsamen Einsatz von Beton, sondern auch aus dem vergleichsweise geringen Bewehrungsanteil, da die meisten Schalen primär druckbeansprucht sind. 

Bauten von Eduardo Torroja Miret, Pier Luigi Nervi, Félix Candela und Heinz Isler stehen exemplarisch für die zahlreichen Stahlbetonschalen, die in der Nachkriegszeit entstanden sind. Ihre Werke verdeutlichen, dass der Entwurf von Schalen nicht nur von statischen Überlegungen geleitet wird, sondern auch einen ausgeklügelten Bauprozess erfordert. Geometrie, Statik und Konstruktion sind aufeinander abgestimmt und werden so zu einem architektonischen Ausdrucksmittel. 

Es ist weitaus weniger bekannt, dass auch in der Nachkriegszeit immer wieder Versuche unternommen wurden, Schalen oder ähnliche flächig ausgebildete Tragwerke aus Holz zu bauen. Allein der Umstand, dass die Schalung zur Herstellung der Stahlbetonschalen meist recht aufwendig aus Holz gefertigt werden musste, lässt es naheliegend erscheinen, Holz selbst als tragendes Material einzusetzen.

Hohle und vollwandige Holzschalen

Die Entwicklung von Holzschalen wurde von einer regen Forschungstätigkeit begleitet. Oft dienten von Universitäten oder Firmen errichtete Prototypen als Grundlage für Projekte in der Praxis. In der Nachkriegszeit kam es insbesondere in Europa und Nordamerika zu zahlreichen Anwendungen.5 Gerade in der Schweiz sind einige interessante Werke entstanden, auf die es sich einzugehen lohnt.6

Der Ingenieur Heinz Hossdorf, vor allem bekannt für seine Stahlbetonschalen sowie die modellstatischen Versuche, entwickelte zusammen mit der Firma Lignoform aus Benken ein Projekt für eine von shed-artigen Holzschalen überspannte Halle (ca. 1955–1959), die allerdings nicht realisiert wurde (Bild 1). Vorgesehen war, die Schalen als gebogene Hohlkasten-Konstruktion aus Sperrholz zu bauen.7 Die Anordnung der shed-artigen Schalen erinnert stark an die zuvor entstandenen Stahlbetonschalen der Gummibandweberei in Gossau SG (1954–1955).

Ein weiterer, besonders eindrücklicher Bau stellt die Halle des fêtes, geschaffen für die Expo 64 in Lausanne (1963–1964), dar. Allerdings handelt es sich hier nicht um ein druckbeanspruchtes Tragwerk, sondern um eine zugbeanspruchte Konstruktion. Die Architekten Gérard Châtelain, Arthur Lozeron, François Martin, Claude Michaillet, Marc Mozer und das Ingenieurbüro Perreten & Milleret errichteten für das weitgespannte Hallendach ein Spannbandtragwerk aus filigranen Sperrholzlamellen.8

Der Ingenieur Hans-Heini Gasser baute mehrere vollwandige, doppelt gekrümmte Holzschalen, deren Geometrie auf einem hyperbolischen Paraboloid beruht. Dazu zählen die Kirche Bethanienheim in St. Niklausen (1971–1972), erbaut zusammen mit dem Architekten Otto Schärli, und die Mehrzweckhalle für das Kinderdorf Leuk (1985), die zusammen mit Heidi und Peter Wenger realisiert wurde (Bild 3).9

Hyperbolische Paraboloide haben mehrere Vorteile: Zum einen weisen die Schalen eine doppelt gekrümmte Fläche auf, was ideal für den Lastabtrag in mehrere Richtungen ist, zum anderen können sie aus geraden Brettern gebaut werden, was die Konstruktion erheblich vereinfacht. Gasser errichtete seine Holzschalen jeweils auf einem Lehrgerüst. Sie bestehen aus nur zwei Lagen an Holzlamellen mit einer Stärke von 24–30 mm, einzig die Randträger sind stärker ausgebildet. 

Bereits zuvor wurden in Deutschland hyperbolische Paraboloide für Holzschalen erforscht und auch realisiert. An der Hochschule Stuttgart errichtete Curt Siegel, bekannt durch sein Buch «Strukturformen» (1960),10 zusammen mit Franz Krauss und Fritz Leonhardt einen Versuchsbau bestehend aus zwei hyperbolischen Paraboloiden (1963).11 Ausserdem erprobten Herbert Kupfer, Anton Gattnar und Julius Natterer an der Technischen Universität München die Nutzung von hyperbolischen Paraboloiden für zugbeanspruchte Konstruktionen anhand verschiedener Prototypen. Die Forschung bildete die Grundlage für die Hängeschale «Sonnensegel» in Dortmund (1967–1969), erbaut vom Architekten Günther Behnisch und dem Ingenieur Günter Scholz.12

Die Entwicklung von Holzschalen mit kontinuierlichen Geometrien zeigt nicht nur zahlreiche Parallelen zum Bau von Stahlbetonschalen, sondern auch Querbezüge zu weiteren verwandten Tragwerkstypologien wie Gitterschalen, Hebelstabwerke, Faltwerke oder Hängekonstruktionen. Ausserdem bestehen viele Querbezüge zum Schiff- und frühen Flugzeugbau, bei denen es ebenfalls um die Schaffung komplexer, doppelt gekrümmter Flächen geht, die hohen Belastungen ausgesetzt sind. Gerade hinsichtlich der Verleimungstechniken von Holzplanken und Furnieren weisen diese Konstruktionen unverkennbare Ähnlichkeiten zum Bau von Holzschalen auf.

Veränderte Parameter

Auch wenn mittlerweile der Bau von Stahlbetonschalen stark zurückgegangen ist und Bauverfahren mit Holz viel mehr Beachtung geschenkt wird, stellen Holzschalen bis heute eine seltene Ausnahme dar. Eine dieser Ausnahmen bildet das Elefantenhaus im Zoo Zürich (2008–2014). Der Architekt Markus Schietsch und das Ingenieurbüro Walt + Galmarini konzipierten die Konstruktion als aufgelöste Schale aus Brettsperrholz.13

Die Potenziale von Holzschalen und ähnlichen Flächentragwerken wurden in den letzten Jahren auch in der Holzbauforschung erkannt, unter anderem von Yves Weinands Forschungsgruppe an der EPFL14 oder von Werner Sobek,15 Achim Menges und Jan Knippers16 an der Universität Stuttgart. In ihrer Forschung beschäftigen sie sich nicht nur mit neuen Konstruktionsverfahren, sondern auch mit den erweiterten Anwendungsbereichen von Holz im Bauwesen, insbesondere bei leichten Tragwerken.

Angesichts der Herausforderungen des klimagerechten Bauens haben sich die entwurfsbestimmenden Parameter stark verändert. Der Fokus richtet sich zunehmend auf Baustoffe, deren Herstellung geringere CO2-Emissionen verursacht und weniger graue Energie erfordert. Die Nachfrage nach Alternativen zu den etablierten Bauweisen begünstigt die Nutzung von Bausystemen aus Holz und Holzwerkstoffen. Aufgrund des natürlich nachwachsenden Rohstoffs weisen sie eine deutlich bessere bauökologische Bilanz auf. Mit der Entwicklung von umweltfreundlicheren Klebstoffen ist davon auszugehen, dass sich diese Bilanz in Zukunft noch weiter verbessern wird.

Doch auch Holz stellt keine unendliche Ressource dar.17 Die Nachfrage nach Bauholz muss im Einklang mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder stehen. Ausserdem verändern sich unsere Wälder aufgrund des Klimawandels: Der Anteil der Fichte, die für das Bauen meistverwendete Holzart, nimmt stetig ab, während der Anteil von Laubhölzern wie der Buche stark ansteigt.18

Diese Situation erfordert von der Holzindustrie und dem Bauwesen ein Umdenken, denn der Holzbau im Zeichen von «mass timber» entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Es bedarf neuer Strategien, um die Ressourcen gezielter zu nutzen und die Waldbewirtschaftung langfristig zu verbessern. Gerade die Schaffung materialsparender und damit leichter Konstruktionen verspricht neue Anwendungsmöglichkeiten für den Holzbau.19

Modulare Systeme

Holzschalen waren zwar nie so verbreitet wie Stahlbetonschalen, angesichts der heutigen Herausforderungen stellen sie aber, besonders bei grösseren Spannweiten, eine interessante Tragwerkstypologie für das umweltgerechte Bauen dar. Der Einsatz leistungsfähiger Holzwerkstoffe wie Formsperrholz für Schalen und räumliche Tragwerke ist Gegenstand eines Forschungsprojekts, das in den letzten Jahren an der ETH Zürich entstand.20

Ausgehend von der Idee, die Fasern des Holzes möglichst gezielt zu nutzen, wurden verschiedene Ansätze entwickelt. Die Studien umfassen einfach gekrümmte Flächen, vergleichbar mit Tonnenschalen (Bild 4), aus verschiedenen Schalensegmenten zusammengesetzte Formen (Bild 5) und doppelt gekrümmte Flächen für schirmartige Schalen (Bild 6). Alle Ansätze basieren auf einheitlichen oder ähnlichen Bauteilen, was zu modularen Systemen führt. 

Die Modularität erleichtert nicht nur die Vorfertigung im Bauprozess, sondern ermöglicht auch einen einfachen Rückbau und die Wiederverwendung der einzelnen Komponenten. Ausserdem verfügen die eingesetzten Holzwerkstoffe über sehr gute technische Eigenschaften, sie eignen sich für die digital gesteuerte, industrielle Herstellung und sie begünstigen die Nutzung von Laubhölzern.

Die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Verarbeitungsprozessen von Holz eröffnet zahlreiche Potenziale für die zeitgenössische Architektur. Insbesondere mit der Konstruktion von Holzschalen können sehr leichte und materialsparende Strukturen mit einer guten bauökologischen Bilanz geschaffen werden – ganz nach dem Prinzip, aus wenig viel zu machen.

Lukas Ingold ist Architekt in Zürich. Die hier präsentierten Studien entstanden im Rahmen seiner Forschungstätigkeit bei Prof. Dr. Joseph Schwartz an der ETH Zürich. Seine Publikation «Formsperrholz: Material, Struktur, Raum» sowie die Ausstellung «holz formen – wood taking shape» wurden durch den Bund Schweizer Architektinnen und Architekten BSA und den Architekturrat der Schweiz gefördert. Für die Kuration der Ausstellung, die in den nächsten Monaten an verschiedenen Stationen in der Schweiz zu sehen sein wird, arbeitet Lukas Ingold mit Caspar Schärer und Heike Biechteler zusammen.

Anmerkungen
 

1 Franz Hart: Kunst und Technik der Wölbung. Callwey, München, 1965. Siehe auch: Erwin Heinle, Jörg Schlaich: Kuppeln aller Zeiten – aller Kulturen. DVA, Stuttgart, 1996.

2 Jürgen Joedicke (Hg.): Schalenbau. Konstruktion und Gestaltung. Karl Krämer, Stuttgart, 1962, S. 10–17.

3 Olga Arkhipkina: «SDK CNIPS and the Development of Soviet Timber Barrel Shells (1922–1939).» In: Engineering History and Heritage, Vol. 174, Nr. 3, 2021, S. 103–112.

4 Jürgen Joedicke (Hg.): Schalenbau. Konstruktion und Gestaltung. Karl Krämer, Stuttgart, 1962.

5 Gernot Minke: Holzflächentragwerke. Arbeitsgemeinschaft Holz, Düsseldorf, 1969, S 1–5.

6 Hansjakob Strässler: «Entwicklungen im Ingenieur-Holzbau.» In: Schweizerische Bauzeitung, N. 25, 1976, S. 340–344.

7 Gaudenz Risch: «Neue Möglichkeiten im Holzbau.» In: Werk. Nr. 3, 1959, S. 80–85.

8 Anton Steurer: Entwicklung im Ingenieurholzbau. Der Schweizer Beitrag. Birkhäuser, Basel, 2006, S 114–117.

9 Hans-Heini Gasser: Flächentragwerke in Holzbauweise. Lignum, Zürich, 1996, S. 26–29.

10 Curt Siegel: Strukturformen der modernen Architektur. Callwey, München, 1960.

11 N.N.: «Hyperbolisch-parabolische Schale aus Holz.» In: Bauen + Wohnen, Nr. 10, 1963, S. X12–X14.

12 Clementine Hegner-van Rooden: «Klug konstruiert.» In: Schweizerische Bauzeitung TEC21 15/2023, S. 26–30.

13 Mario Rinke, Martin Krammer: Architektur fertigen. Konstruktiver Holzelementbau. Triest, Zürich, 2020, S. 162–163.

14 Yves Weinand (Hg.): Neue Holztragwerke. Architektonische Entwürfe und digitale Bemessung. Birkhäuser, Basel, 2017.

15 Stefan Neuhäuser, Martin Weickgenannt, Christoph Witte, Walter Haase, Oliver Sawodny, Werner Sobek: «Stuttgart Smartshell – A Full Scale Prototype of An Adaptive Shell Structure..» In: Journal of the International Association for Shell and Spatial Structures, Band. 54, Nr. 178, 2013, S. 259–270.

16 Achim Menges, Jan Knippers (eds.): Architektur Forschung Bauen. ICD / ITKE 2010–2020. Birkhäuser, Basel, 2020.

17 Werner Sobek: non nobis – über das Bauen in der Zukunft. Band 1. avedition, Stuttgart, 2022, S. 81–82.

18 Esther Thürig: «Multitasker im Klimawandel.» In: Carla Ferrer, Thomas Hildebrand, Celina Martinez-Cañavate (Hgs.): Touch Wood. Material, Architektur, Zukunft. Lars Müller Publishers, Zürich, 2022, S. 56–59.

19 Charles Binck, Michael Klippel, Andrea Frangi: «Holzbau in neuer Dimension.» In: Carla Ferrer, Thomas Hildebrand, Celina Martinez-Cañavate (Hgs.): Touch Wood. Material, Architektur, Zukunft. Lars Müller Publishers, Zürich, 2022, S. 104–107.

20 Lukas Ingold: Formsperrholz: Material, Struktur, Raum. Bund Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA) / werk edition, Zürich, 2022.

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